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Wenn der Kölner Dom ins Altenheim kommt

Für Betreuerin Jana Timme (29) und Waltraut Meinhardt (88) gehören im Kölner Caritas-Altenzentrum St. Maternus Tablets und Computer-Spiele zum Alltag. | Foto: Markus Harmann
  • Für Betreuerin Jana Timme (29) und Waltraut Meinhardt (88) gehören im Kölner Caritas-Altenzentrum St. Maternus Tablets und Computer-Spiele zum Alltag.
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Eine 93-Jährige mit einer Virtual-Reality-Brille auf der Nase – das wirkt erst einmal ungewöhnlich.

Im Kölner Caritas-Altenzentrum St. Maternus aber gehört die Hightech-Brille genauso zum Alltag der 117 Bewohner wie Tablets und Computer-Spiele.

Maria Hertwig sitzt in ihrem braunen Sessel und kann nicht glauben, was sie da sieht. Das Gesicht der 93-Jährigen wird von einer dicken, schwarzen Brille verdeckt, die aussieht wie ein großes Fernglas. „Da ist er ja, mein Dom!“, sagt sie und dreht den Kopf nach links und rechts. Mehr als zwei Jahrzehnte lang besuchte Maria Hertwig fast täglich den Kölner Dom. „Ich habe mich in die vordere Reihe gesetzt und ein Vaterunser gebetet“, sagt sie. Ihr kölscher Singsang lässt keinen Zweifel daran, dass die Domstadt ihre Heimat ist. Vor zwei Jahren zog sie ins Caritas-Altenzentrum St. Maternus im Stadtteil Rodenkirchen. Sie ist noch gut zu Fuß, für einen Spaziergang zum Dom ist es für die ehemalige Schaffnerin der Kölner Verkehrs-Betriebe aber mittlerweile zu weit. Eine ihrer Betreuerinnen, Alexandra Kasper, hat ihr den Dom deshalb ins neue Heim geholt – mithilfe dieser besonderen Brille.

Virtual Reality – virtuelle Realität im Altenheim.

Das ist ein noch ungewöhnlicher Ansatz in der Altenhilfe. Im Maternusheim aber stößt er auf großes Interesse, weil er so viele Möglichkeiten bietet. Alexandra Kasper ist soziale Betreuerin in dem Altenzentrum, zuständig vor allem für die digitale Welt. Die Brille ist Teil ihrer Arbeit und für einige Bewohner inzwischen so normal wie der Nachmittags-Kaffee. Brille auf – und ab in eine bekannte oder unbekannte Welt. „Für Frau Hertwig ist es die Welt, die sie von früher kennt. Das setzt Erinnerungen frei. Es ergeben sich Gespräche“, sagt Kasper. Neben der Hightech-Brille gehören auch Tablets und Laptops mit Steuerung und Computer-Spielen seit mehr als einem Jahr zum Alltag der 117 Bewohner.

„Wie passt die neue in die vermeintlich alte Welt? Diese Frage hat mich gereizt“, sagt Kasper. Schnell habe sie festgestellt: „Es sind eher die Sperren im Kopf der Außenstehenden, die sagen, eine 90-Jährige könne doch nicht mit einem Tablet oder einem Laptop umgehen.“ Dabei könnten ältere Menschen das sehr wohl. Gerade Tablets sind sehr intuitiv zu bedienen. Und das ist auch wichtig für Menschen, die etwa an Demenz erkrankt sind. Die Geräte mit ihren Apps und Möglichkeiten haben das Potenzial, Spaß und Ablenkung in den manchmal doch recht gleichförmigen Altenheim-Alltag zu bringen. Und das gilt nicht nur für die Bewohner.

„Auch unsere Mitarbeiter finden es spannend, wenn Neues ausprobiert wird“, sagt Ulrich Schwarz (37). Anfang 2015 übernahm er die Leitung des Altenzentrums des Kölner Caritasverbandes, und ein halbes Jahr später war seine Einrichtung als eine der Ersten im Erzbistum Köln bei Facebook. Täglich wird seither gepostet: Back-Tag in der Wohnbereichsküche, Malerarbeiten im gerade renovierten Zimmer-Trakt, Filmabend „Mir sin die Jecke“ oder Entspannungsmomente mit Tablet und klassischer Musik. Kein Ausflug, kein Angebot, das nicht auf Facebook nachzulesen und -schauen wäre. Fast alle Bewohner oder ihre Angehörigen haben ihr Einverständnis dazu gegeben, dass sie selbst oder ihre Eltern und Großeltern nun regelmäßig auf Facebook zu sehen sind. Schwarz hat die große Offenheit dem sozialen Netzwerk gegenüber überrascht. „Zwar gab es auch einige Angehörige, die gesagt haben: Wie kann man nur? Viele jedoch haben den Vorteil gesehen: Über Facebook können sie nun miterleben, was Mutter oder Vater im Heim machen.“

Renate Porten war 80, als sie sich ein Smartphone gekauft hat. Zuvor war ihr Mann Josef ins Maternusheim gekommen. Über Facebook bekommen sie und die drei zum Teil weit entfernt lebenden Kinder nun immer mit, was der Vater erlebt. „Ich ärgere mich am meisten, wenn meine App nicht funktioniert“, sagt Renate Porten. Dann ruft sie im Heim an und lässt sich Fotos per E-Mail schicken – um auf dem Laufenden zu bleiben.

Wie digital das Altenzentrum inzwischen ist, lässt sich im Eingangsbereich nur erahnen. Das Stammhaus, dessen Portal noch steht, wurde 1927 gebaut. Die digitale Visitenkarte seiner Einrichtung ist, so Heimleiter Schwarz, auch dann ein großer Vorteil, wenn es um neue Mitarbeiter geht. „Sie finden es gut, für ein Altenzentrum zu arbeiten, das an die Zukunft denkt.“ Probleme, neue Fachkräfte zu finden, habe sein Haus – anders als viele andere Einrichtungen der Altenpflege – derzeit nicht. „66 Prozent unserer Mitarbeiter sind Fachkräfte, gesetzlich gefordert ist eine Quote von 50 Prozent.“

Wer hier anfängt, der darf, muss aber kein Faible für soziale Medien mitbringen. So versiert wie Jana Timme (29) sind ohnehin die wenigsten. Vier Stunden in der Woche arbeitet sie als Digitale Betreuerin im Altenzentrum, kümmert sich um die Hardware, erledigt die Updates und testet neue Apps. Heute fährt sie mit Waltraut Meinhardt (88) Autorennen. Die Rallye führt über Feld- und Waldwege, haarscharf an Bäumen, Sträuchern und Leitplanken vorbei. Irgendwann reißt Frau Meinhardt den Controller mit dem Joystick hoch. „Mensch, wieder auf dem Dach gelandet“, sagt sie, schüttelt den Kopf und lacht laut auf.

Studien haben gezeigt, dass durch gezieltes Training mit der Spielekonsole die kognitiven und mentalen Fähigkeiten von älteren Menschen stimuliert werden können. „Es ist schön zu sehen, dass sie sich im hohen Alter auf etwas ganz Neues einlässt“, sagt Betreuerin Jana Timme.

Ob Autorennen oder Kölner Dom – dank digitaler Möglichkeiten halten die Maternusheim-Bewohner spielend leicht Anschluss an die Welt da draußen.

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