Taizé Andacht in der evangelischen Altstadtkirche

Taizè, was sich liest wie eine Begrifflichkeit aus dem Fernöstlichen, ist ein kleiner Ort – 2007 zählte er 179 Einwohner - in Frankreich; gelegen an der Autobahn A6 zwischen Chalon-sur-Saône und Mâcon. Mit dem TGV in südöstlicher Richtung eineinhalb Stunden von Paris entfernt oder in drei Stunden von Freiburg im Breisgau und eine Stunde von Genf, mit dem Auto zu erreichen.
Am 20. August 1940, als in Deutschland ein größenwahnsinniger Diktator einen Weltkrieg anzettelte, um der Welt seinen Stempel von Intoleranz aufzudrücken und der bis in unsere Zeit noch die Folgen hat, dass der Begriff Deutsch manchmal noch einen bitteren Nachgeschmack hat, kam Frére Roger Schutz im Alter von 25 Jahren aus seiner Heimat der Schweiz nach Taizè, um hier eine Gemeinschaft zu gründen, die sich zur Aufgabe gestellt hat, den Menschen zu helfen, die in dieser Zeit des Grauens Schreckliches durchgemacht hatten. Taizè lag in der Nähe der Demarkationslinie, die Frankreich teilte und war somit ein günstiger Ort, um Hilfesuchende aufzunehmen. Frére Roger erwarb mit bescheidenen Mitteln ein leerstehendes Gebäude ohne fließendes Wasser, das aus dem Dorfbrunnen geholt werden musste. Seine Schwester Geneviève half ihm bei der Betreuung der Hilfsbedürftigen, unter denen auch Juden und Agnostiker waren. Nichtsdestotrotz blieb sein Tun und Handeln nicht vor den Schergen der Gestapo verborgen und so musste Frére Roger im Jahr 1942 – gewarnt von einem befreundetem französischen Offizier, - , um einer Verhaftung zu entgehen, in die Schweiz nach Genf fliehen, bis er 1944 mit den ersten Brüdern wieder nach Taizé zurückkehrte. Ostern 1949 wurde dann die Communauté gegründet. Im Winter 1952/53 verfasste Frére Roger dann die Regeln von Taizé, die ein Zusammenleben erst möglich machen.
Heute leben in dieser Gemeinschaft ca. 100 Brüder aus ungefähr 25 Nationen zusammen. Katholiken und Mitglieder verschiedener evangelischen Kirchen. Sie führen ein Leben in Ehelosigkeit, große Einfachheit und geistiger Gemeinsamkeit. Ihren Lebensunterhalt bestreiten sie nur aus dem Erlös ihrer Arbeit. Spenden werden nicht angenommen und eigenes Guthaben wird durch die Communauté an die Armen verteilt. Am 16. August 2005 wurde Frére Roger im Alter von 90 Jahren bei dem Abendgebet von einer geistig verwirrten Frau getötet. Seit dem ist der Deutsche Frére Alois Löser der Prior der Communauté de Taizé.
Jahr für Jahr kommen viele Menschen - vor allem viele Jugendliche – aus allen fünf Kontinenten hierher, um ihr eigenes Leben im Licht des Evangeliums zu betrachten. In gemeinsamen Gebeten, Gesang und Stille offenbart man sich Gott, um inneren Frieden und einen Sinn fürs Leben zu finden , sowie neue Kraft zu schöpfen.
Wenn man jetzt nach Lourdes sieht, den anderen Wallfahrtsort in Frankreich, so sieht man, dass die Gläubigkeit in Lourdes nur auf diesen Ort beschränkt ist. Den „Geist von Taizé“ kann man überall auf der Welt finden. So leben Brüder der Communauté in kleinen Gemeinschaften in den Teilen der Welt – Asien, Afrika und Südamerika -, an Orten, wo sie den Ärmsten der Armen ein Zeichen der Liebe setzen. Sie teilen ihr Leben mit Straßenkindern, Gefangenen und Sterbenden. Seit 1962 besuchen sie und auch Jugendliche von Taizé aus Menschen in Mittel- und Osteuropa, die ihre Heimat nicht verlassen können.
Viele Jugendliche, die in Taizé waren, engagieren sich durch die Ermutigung der Brüder in ihren Kirchengemeinden. Ebenso finden viele Jugendtreffen statt. Das nächste europäische Jugendtreffen findet vom 28. Dezember 2011 bis zum 1. Januar 2012 in Berlin statt.
Doch noch einmal zurück nach Taizé. Es muss etwas Besonderes sein an dieser Gemeinschaft, der Communauté de Taizé, die so viele, vor allem junge Menschen in ihren Bann zieht. Wenn man einmal betrachtet, was einen Menschen ausmacht, was ihn zufrieden macht, so ist es zuerst das Urvertrauen, das sein Leben bestimmt. Wichtig ist auch die Familie, Freunde ein soziales Gebilde, in dem wir uns befinden. Aber wir brauchen mehr, was uns als Mensch ausmacht. So ist neben menschlicher Wärme auch ein gewisses Maß an Spiritualität wichtig. Wer genügend Urvertrauen genossen hat und in einem zufriedenen sozialen Gebäude existiert, wird diese Spiritualität in seinem Glauben finden. Einige von denen, denen dieses Glück nicht beschert wurde, werden ihre Spiritualität in Sucht und Drogen suchen oder werden ein leichtes Opfer verschiedener ominösen Sekten, die Religion mit Diktatur verwechseln und Glauben als Freiheitsentzug. Doch je mehr Freiheit eine Religion bietet, um so größer ist der Glauben. Jedoch ist der Glauben auch wichtig für ein erfülltes Leben im Hier und Jetzt, mit der Erkenntnis, dass es auch ein Davor und ein Danach gibt. Manche Religionen konkretisieren das sogar, wie der Hinduismus und der Buddhismus.
Hier in Taizé ist es sicher die Freiheit zwischen den Kirchen, die Ökumene die keine Wahl bzw. Unterschied zwischen den Kirchen macht. Man ist einfach nur Christ. Aber auch Personen die im Fokus der Öffentlichkeit stehen, haben erkannt, dass Taizé eine wunderbare Sache ist. So ist Lena Meyer-Landrut ein Beispiel dafür. Sie war im August 2008 dort, um eine Woche lang ihren Glauben zu festigen. In einem Interview sagte sie, dass sie solch eine Gemeinschaft noch nie erlebt hätte und das diese jedem gegönnt sein sollte. Als Zeichen des Andenkens an diesen Orden trägt sie deren Zeichen, eine Halskette mit der Symbiose aus Taube und Kreuz.
Doch wie schon erwähnt, Taizé existiert nicht nur in der Communauté in Frankreich. Die Andacht in der evangelischen Altstadtkirche war nach der Liturgie des ökumenischen Ordens von Taizé. An dieser Stelle möchte ich bemerken, dass ich nicht unbedingt ein religiöser Mensch bin, der für seine Zufriedenheit den Segen eines Priesters braucht und sein Gewissen durch regelmäßigen Kirchgang befriedigt, was ich allerdings verneinen muss ist, dass ich nicht gläubig bin. Gottesdienst hat für mich etwas mit dienen und Pflicht zu tun. Glauben bedeutet aber auch, den Glauben des Anderen zu tolerieren. Ich war also völlig unbedarft zu dieser Andacht gekommen. Und was ich dann erleben durfte, war eine wunderbare Sache. Es war eine Andacht, die ohne Predigt, die oft in mahnenden Worten von der Kanzel gehalten wird, auskam. Nur Lesungen aus der Bibel und das Vortragen von Psalmen, die im Wechsel waren mit geistigen Gesängen, die man nicht im Gesangbuch der evangelischen Kirche findet. Lieder mit einfachen Melodien, die mit wenig Worten auskommen, begleitet am Klavier und Querflöte und vom Gospelchor Tonight, Lieder, die aber auch von vielen Besuchern dieser Andacht mitgesungen wurden, obwohl sie nicht zum gewöhnlichen Gottesdienst gehören. Es waren Lieder, die eher an Liturgiegesänge erinnerten; manche in englischer, spanischer Sprache und lateinisch vorgetragen. Doch es waren auch Zeiten der Stille, schweigen vor Gott, die diesen Abend prägten und so verschieden machten von einem gewohnten Gottesdienst. Die Stille die einen ganz nah zu Gott führte und weg von Gedanken des Ichs. Wenn Christ sein auch etwas mit Nächstenliebe zu tun hat, so zeigte sich dieses in den Fürbitten an die Menschen, denen man nicht mit Taten helfen kann, den Kranken, Armen aber auch denen die sich der Hilfe anderer Menschen verschrieben haben.
Aber auch der Ort, die evangelische Altstadtkirche mit ihrer schlichten Einfachheit in der Architektur des Gotteshauses, war geeignet für diese Andacht. Ein sakraler Prachtbau mit barockem Interieur hätte nur störend gewirkt. So war alles auf das Wesentliche konzentriert, auf das Vertrauen zu Gott, so wie es der Titel der Taizé Andacht vorgab. Gerade in der heutigen Zeit, in der alles hektisch zugeht, wo Konkurrenzkampf den Alltag bestimmt, der schon in der Grundschule beginnt. Wo sich jeder der Nächste ist, wo der Neid durch aggressive Werbung geschürt wird, wo nur der Stärkere Rechte hat und die Ärmsten der Armen auf der Strecke bleiben, wo manche Politik als Gier interpretiert werden kann, wo Waffen statt Worte sprechen, da ist es wichtig und gut, dass es noch Orte und Glauben gibt wie Taizé und es macht Hoffnung, dass es gerade so viele Jugendliche sind, die diesen „Geist“ annehmen und sich noch für Spiritualität begeistern können, der Glauben heißt. Jedoch den „Geist von Taizé“ kann man nicht beschreiben, man muss ihn erleben und diese Andacht am 26. Februar war ein Teil davon. Vielleicht ist es nicht ganz objektiv von mir, aber an dieser Stelle will ich meine Begeisterung so ausdrücken und schreiben, dass Taizé für mich Genuss war, wenn man in Verbindung mit Glauben von Genuss sprechen darf.

Autor:

Uwe Müller aus Gelsenkirchen

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