Salz oder Zucker?

Das Foto zeigt die meisten der Protagonisten sowie mit Avesta Houssin und Heinz Niski die beiden Macher des Films "Vom deutsch sein und deutsch werden". Foto: Gerd Kaemper
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Die 23-jährige Zahnmedizinstudentin Avesta Houssin, die seit der Flucht aus ihrer Heimat Syrien in Gelsenkirchen lebt, zog nun gemeinsam mit ihrem Flüchtlingspaten, dem 63-jährigen Zahntechniker Heinz Niski aus Gelsenkirchen, eine Bilanz aus 18 Monaten in Gelsenkirchen. In Form eines 40-minütigen Films präsentierte das Duo seine Erlebnisse, Erfahrungen und Begegnungen.

Die Premiere des Films wurde im Alfred-Zingler-Haus gefeiert und dazu fanden sich rund 60 Besucher ein. Das Publikum bestand etwa zu gleichen Teilen aus Syrern und Deutschen. Darunter befand sich auch eine Lehrerin mit sechs Schülern, die wohl aus einer internationalen Förderklassen stammen.
Erfreulich war, dass von den zehn Protagonisten des Films die meisten auch vor Ort waren und der Premiere beiwohnten. Leider fanden sich weder „Prominenz“, noch Honoratioren oder Politiker sowie Vertreter von Flüchtlingshelfergruppen dazu ein. Erfreulicherweise fanden aber auch keine in den sozialen Medien laut polternden Flüchtlings- und Migrationsgegner den Weg nach Bulmke.
Nach einer kleinen Einführung zum Film, in der Avesta Houssin die Intention und Idee des Projektes vorstellte, wurde der Film präsentiert. Dabei sorgte der Film durchaus für gute Laune, wie an dem verhaltenen Gelächter und den schmunzelnden Gesichtern zu erkennen war. An anderen Stellen war festzustellen, dass die Zuschauer emotional aufgewühlt wurden und sogar einige Tränen flossen. Am Ende gab es einen Schlussapplaus.

„Vom deutsch sein und deutsch werden“

In dem Film geht Avesta Houssin auf lockere Art und Weise der Frage nach, was deutsch sein ausmacht. Natürlich bedient sie sich dabei aller Klischees, allerdings auch ebenso bei der Frage danach, was einen Syrer ausmacht. Wenn Sie dann erklärt, dass sie inzwischen Expertin ist im Ausfüllen von Antragsformularen und Formularen zum Erhalt von Anträgen und so weiter, dann muss man nicht Syrer sein, um zu verstehen, was sie uns sagen möchte. Dabei kann man nur staunend zur Kenntnis nehmen, wie gut die Studentin inzwischen Deutsch spricht.
Der Therapeut Reimar Menne, der beruflich sehr viel mit Flüchtlingen zu tun hat, geht im Film der Frage nach den Folgen von Krieg und Verfolgung, Flucht und heimisch werden in der Fremde auf den Grund. Dabei schildert er die Auswirkungen sowohl auf die körperliche wie auch die geistige Gesundheit der Menschen.
Der ehemalige Kulturdezernent der Stadt Gelsenkirchen Peter Rose ist ein Kenner der Stadt und ihrer Geschichte. Er beleuchtet in dem Film die Zeit, als die ersten Gastarbeiter hier ankamen und was damals falsch gelaufen ist, nämlich die Tatsache, dass man nicht miteinander sondern nebeneinander her lebte. Er skizziert wie ganze Straßenzüge und Quartiere zunehmend von türkischen Zuwanderern bewohnt wurden und sich die deutsche Stadtgesellschaft daraus zurückzog.
„Als in den 90er Jahren das Satellitenfernsehen in die Haushalte einzog, konnten die türkischstämmigen Bürger Sender in ihrer Muttersprache empfangen und die Integration geriet in noch weitere Ferne“, gibt der Gelsenkirchener im Film zu bedenken. Wobei er die Schuld daran in der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung sieht.
Außerdem kommen Flüchtlinge zu Wort, die schildern, warum sie ihre Heimat verlassen haben und sich ein neues Leben in Deutschland und genau hier in Gelsenkirchen aufbauen möchten. Spätestens an dieser Stelle wird klar, dass es sich nicht um wirtschaftliche Hintergründe handelt, sondern um die Suche nach einem Leben in Frieden und Freiheit für sich und seine Kinder.
Die Gelsenkirchenerin Anna Abbas ist seit vielen Jahren mit einem Syrer verheiratet. Sie erzählt im Film, welche Unterschiede es gibt zwischen ihrer deutschen und ihrer syrischen Verwandschaft. Dabei spricht sie von einer Bereicherung, die ihre „Mischehe“ für die Kinder bedeutet, die nicht nur zweisprachig, sondern auch mit zwei verschiedenen Familien im Umfeld aufwachsen.
„Manchmal kommt mir mein Mann deutscher vor als ich es bin. Im Allgemeinen zählen für uns aber nicht die kulturellen Hintergründe, wir müssen wie jede andere Partnerschaft einander immer wieder entgegenkommen und miteinander unser Leben bestreiten“, erklärt Anna Abbas.
Und appropos Partnerschaft: Avesta Houssin macht sich im Film auch Gedanken über Sex und die Familienplanung von Deutschen und Syrern. Dabei stellt sie fest, dass den Deutschen kaum Zeit bleibt um Kinder zu zeugen, weil sie neben der Arbeit auch sehr damit beschäftigt sind ihre Hunde und Katzen auszuführen. Erstaunt zeigt sich die junge Frau darüber, dass es in Deutschland Ehen von gleichgeschlechtlichen Partnern gibt: „Das wäre in Syrien undenkbar!“

Die Sache mit dem Salz und dem Zucker

Und sie verrät, wie sich ein Mann und eine Frau in Syrien kennenlernen: „Das läuft über einen Verwandten, der einen jungen Mann zum Kaffee einlädt. Als Frau hat man dann die Möglichkeit dem Mann zu signalisieren was man von ihm hält, indem man ihm entweder Salz oder Zucker in den Kaffee gibt. Glauben Sie mir, die Männer verstehen, ob sich ein zweiter Besuch lohnt oder nicht!“

Reaktionen und Diskussion nach dem Film

In einer rund einstündigen Diskussion, die Avesta Houssin jeweils ins Deutsche oder Arabische übersetzte, ging es unter anderem um die Zielgruppe des Films. Andere Zuschauer regten an, den Film bei den Oberhausener Kurzfilmtagen, der großen Awo-Konferenz im September in Gelsenkirchen oder anderen Orten und Gegebenheiten vorzustellen.
Dietmar Clermont gab zu bedenken, dass die Sprache etwa des Therapeuten Reimar Menne so kompliziert sei, dass nicht einmal die meisten Deutschen den Hintergrund verstehen würden.
Doch wie Heinz Niski erklärte, war das durchaus absichtlich: „Wir wollten in dem Film auch zeigen, das es neben der Umgangssprache verschiedene Sprachstile gibt. Den eher nüchtern-komplizierten des Politikers, wie im Film Peter Rose, den von Methaphern und bilderreichen Worten des Therapeuten, den spontanen umgangssprachlichen Stil von Anna Abbas. Das korrespondiert mit den syrischen Sprachgewohnheiten, die im Alltag häufig kurdisch reden, bei komplexeren Themen ins Arabische wechseln und bei komplizierteren ins Hocharabisch, was nicht jeder versteht oder spricht.“
Was die Zielgruppe an sich betrifft, so sollte der Film eigentlich vor allem der jungen Syrerin und ihrem deutschen Paten dienen. Der Film sollte ihre soziale Skulptur mit ihrem Kennenlernen und dem Wachsen ihres Vertrauensverhältnisses darstellen und dieses auch in Erinnerung halten. Vor allem damit sie auch später noch wissen, warum sie ihn ihren „verrückten jungen Opa“ und er sie als „mein wilder Enkel-Dschinn“ bezeichnet.

Mehr zum Film

Mitwirkende im Film sind: Anna Abbas (wissenschaftliche Mitarbeiterin der MdB Irene Mihalic), Aitan Baklaro (Philosophielehrerin in Syrien), Hussein Khalaf (Lehrer in Syrien), Ibrahim Hilal (Auszubildender zum Hotelfachmann), Nazir Baklaro (Mathematiklehrer in Syrien), Njber Abdallah (Ökonomiestudentin in Syrien), Peter Rose (Kulturdezernent a.D. der Stadt Gelsenkirchen), Reimar Menne (Arzt, Therapeut, Antroposoph), Safaa Hilal (Hausfrau) und Shiraz Abbas (Herrenschneider im Musiktheater im Revier).
Entstanden ist der Film im Juni/Juli 2017 mit einer einfachen haushaltsüblichen Kamera und einem sehr preiswerten Mikrofon. Der Film nutzt CC Creative Commons, ist Teil einer sozialen Skulptur, ist Fluxus.
Die Idee und das Konzept stammen von Avesta Houssin und Heinz Niski. Script, Regie, Kamera, Ton und Schnitt lagen in den Händen von Heinz Niski.
Der rund 40-minütige Film ist auf Youtube zu sehen unter: https://youtu.be/8MRal_vEm4g 

Autor:

silke sobotta aus Gelsenkirchen

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