Bleibt es beim Brückenschlag?

Die Brücke auf dem Foto stellt die Kanuni Sultan Süleyman-Brücke dar,  das Wahrzeichen der Stadt Büyükcekmec. Der Förderverein der Städtepartnerschaft sieht sich als „Brückenschläger“ zwischen der Stadt in der Türkei und Gelsenkirchen und trägt in seinem Logo ebenfalls die Brücke. Die aktuellen politischen Spannungen drohen die Menschen zu entzweien. Im Stadtspiegel-Sommerinterview schildern der Vorsitzende des Fördervereins und ein Vorstandsmitglied die Situation. Fotos: Gerd Kaemper
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  • Die Brücke auf dem Foto stellt die Kanuni Sultan Süleyman-Brücke dar, das Wahrzeichen der Stadt Büyükcekmec. Der Förderverein der Städtepartnerschaft sieht sich als „Brückenschläger“ zwischen der Stadt in der Türkei und Gelsenkirchen und trägt in seinem Logo ebenfalls die Brücke. Die aktuellen politischen Spannungen drohen die Menschen zu entzweien. Im Stadtspiegel-Sommerinterview schildern der Vorsitzende des Fördervereins und ein Vorstandsmitglied die Situation. Fotos: Gerd Kaemper
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Es vergeht kaum ein Tag, an dem es nicht neue Meldungen aus der Türkei gibt: Da wird ein deutscher Menschenrechtler verhaftet, hier ein deutsch-türkischer Journalist, dort ein türkischstämmiger Wuppertaler festgenommen und schließlich stehen 465 mutmaßliche Putschisten gleichzeitig vor Gericht. Wie geht es in Gelsenkirchen weiter in Sachen Völkerverständigung und Völkerfreundschaft zwischen Türken und Deutschen? Im Sommerinterview stehen zwei Vorstandsmitglieder des Fördervereins Städtepartnerschaft Gelsenkirchen-Büyükcekmece Rede und Antwort.

In Gelsenkirchen leben Menschen vieler Nationen in friedlichem Einvernehmen miteinander. Neben den „Deutschstämmigen“ bilden die „Türkischstämmigen“ die größte Bevölkerungsgruppe. Diese Tatsache führte im Jahr 2004 dazu, dass Gelsenkirchen eine Städtepartnerschaft mit der Stadt Büyükcekmece, einem Stadtteil der Metropole Istanbul, einging.
Seitdem widmet sich der Förderverein der Intensivierung von Kontakten zwischen den beiden Städten oder um genauer zu sein, zwischen den Menschen in den Städten. Es finden regelmäßig wechselnde Delegationsbesuche statt, viele Schulpartnerschaften gehen auf den Förderverein zurück, ebenso wie Beziehungen auf sportlicher, kultureller oder auch einfach nur freundschaftlicher Ebene.

Im Herbst: Zu Besuch bei Freunden

In diesem Herbst steht wieder eine Delegationsreise in die türkische Partnerstadt an und der Vorsitzende des Fördervereins, Rüdiger von Schoenfeldt, schildert: „Wir werden derzeit häufig gefragt, warum die Delegationsreise unter den aktuellen Gegebenheiten stattfindet. Ich erkläre dann, dass wir nicht als Politiker oder Touristen reisen, sondern zum Besuch von Freunden, die wir lange kennen und schätzen und denen wir vertrauen können.“
Der ehemalige Polizeipräsident von Gelsenkirchen gibt zu bedenken: „Es wäre kontraproduktiv, wenn man alle türkischstämmigen Menschen über einen Kamm scheren würde. Beinahe die Hälfte der Wähler hat sich für die Demokratie und gegen die Verfassungsänderung ausgesprochen. In Istanbul sprachen sich 51,4 Prozent der Menschen gegen die Pläne von Präsident Erdogan aus. In Büyükcekmece waren es sogar mehr als 60 Prozent.“
Dem stimmt Melek Topaloglu, Vorstandsmitglied des Fördervereins und Vorsitzende des Integrationsrates der Stadt Gelsenkirchen, zu: „Durch die Städtepartnerschaft sind viele geschäftliche, aber auch kulturelle und bildungstechnische Projekte und Freundschaften gewachsen, die nicht zu Lasten der Politik aufs Spiel gesetzt werden dürfen. Vielmehr gilt es, die Willkommenskultur und das zwischenmenschliche Miteinander zu stützen und es nicht zerstören zu lassen durch politische Einflüsse.“
Die Erziehungswissenschaftlerin sieht in der Begegnung mit den Menschen aus der Partnerstadt eine Erweiterung des eigenen Horizonts, weil die Großzügigkeit und Herzlichkeit, mit der man sich begegnet, einfach unersetzlich und sehr kostbar ist. Und sie erinnert: „Die türkische Seite könnte die Wahlergebnisse der AfD in einigen Quartieren hier in Gelsenkirchen ebenso als Problem und Gefahr für die Partnerschaft wahrnehmen.“
Die Delegationsreise ist übrigens ausgebucht. Es gibt also genügend an der Freundschaft zwischen den Städten und Kulturen Interessierte in Gelsenkirchen.
Dabei ist sie sich natürlich bewusst, dass die Gefahr in der Türkei eine andere ist: „Eine Freundin von mir hat einen türkischen Pass und ist Journalistin. Sie wagt es in diesem Jahr nicht, ihren Urlaub in der Türkei zu verbringen. Mir selbst ist es auf Facebook passiert, dass AKP-Anhänger versucht haben, mich zu belehren, als ich kritische Äußerungen gemacht habe. Und da machte es keinen Unterschied, ob diese Menschen in der Türkei oder hier bei uns in der Demokratie leben.“

Situation ist nicht mehr berechenbar

Als sie selbst Verwandte in der Türkei besuchte, kam die Politik nicht zur Sprache, weil die Familie ihren Glauben auch mit der Politik vermischt. „Das ist schon traurig, weil niemand dem anderen mehr vertraut“, schildert die Gelsenkirchenerin mit deutschem Pass.
„Die Situation ist unberechenbar geworden“, kritisiert von Schoenfeldt. „Aber: Wo Menschen miteinander sprechen, kann vieles geklärt werden. Wenn der Kontakt aufgegeben wird, dann ist der Konflikt vorhersehbar.“ Damit begründet der Vorsitzende auch, warum es gerade jetzt so wichtig ist, die Delegationsreise wie geplant durchzuführen. Und er sagt: „Wir dürfen nicht die alleine lassen, die sich Europa und der Demokratie verpflichtet fühlen.“
Die Reisenden nehmen dabei auch in Kauf, dass ihnen in der Partnerstadt vielleicht nicht mehr die Gastfreundschaft geboten werden kann, die man von früheren Reisen gewohnt ist. Denn „als Opposition eines allmächtigen Staatsoberhauptes wird das Leben nicht einfacher.“
Rüdiger von Schoenfeldt kann eine Sache nicht nachvollziehen: „Für mich ist ein Phänomen, warum ein Großteil der Menschen, die hier leben und an der Wahl teilnehmen duften, für die AKP und die Verfassungsänderung gestimmt haben. Sie sind hier geboren und aufgewachsen, genießen die Vorzüge der Demokratie, Freiheit und Meinungsfreiheit und entscheiden sich gegen die Demokratie und für die Allmacht eines Einzelnen. Wie kann das sein? Wie kann es uns gelingen, diese Menschen umzustimmen?“
Melek Topaloglu versucht eine Erklärung und erinnert an die Anfänge der Migration aus der Türkei: „Als die Gastarbeiter damals kamen, dachten weder sie noch die deutsche Gesellschaft daran, dass sie bleiben würden. Die meisten sind auch mit einem Bein in der Türkei geblieben und haben dort ein Haus. Dadurch kam die Annäherung in der Gesellschaft nicht zustande. Als dann der Strukturwandel für Arbeitslosigkeit sorgte, zogen sich die Gastarbeiter in Moscheegemeinden und Teestuben zurück und blieben fortan unter sich. Die Moscheegemeinden bildeten einen Mikrokosmos, in dem von der Jugend bis zu den Senioren alle aufgefangen wurden. Der Kontakt zu den Deutschen ging mehr und mehr verloren.“

Es gibt mehr „grau“ als „schwarz und weiß“

Ihre Kinder waren es, die sich mit der Sprache und der Gesellschaft auseinandersetzen mussten. Sie begleiteten sie zu Ärzten, Ämtern und mehr, um zu übersetzen und helfen. Mittlerweile gibt es die nächste Generation, die sich von der deutschen Gesellschaft nicht angenommen fühlt. Die Medienvielfalt hat exorbitant zugenommen und es gibt alles auch in türkischer Sprache und man entwickelt einen neuen Stolz auf seine türkischen Wurzeln. Deutscher Pass hin oder her.
„Mir wird zu häufig von schwarz und weiß geredet. Es gibt sehr viel mehr grau. Wir dürfen bei allem nicht vergessen, dass die Wahlbeteiligung der hier lebenden Türkischstämmigen sehr gering war. Viele der gut Integrierten sind gar nicht zur Wahl gegangen, weil sie einfach unpolitisch sind oder eben auch, weil sie hier angekommen sind“, erinnert von Schoenfeldt.
Das sieht Topaloglu ähnlich: „Die gut Integrierten fallen nicht auf. Es fallen die auf, die ein Kopftuch tragen und begeistert die Fahnen schwenken.“
„Prävention von klein auf ist das wichtigste. Ich sehe mich zum Beispiel als übernational. Das Wichtigste ist, Mensch zu bleiben, rechtschaffen und demokratisch“, wünscht sich die Erziehungswissenschaftlerin. Sie hofft auf mehr Lehrer in den Schulen und zwar auf solche, die sensibilisiert sind für die Zeichen der Zeit.
„Aus meiner Sicht müssen die männlichen Jugendlichen gefördert werden. Sie dürfen nicht an den gesellschaftlichen Rand gedrängt werden“, lautet die Hoffnung von Rüdiger von Schoenfeldt.

Weniger auf Probleme als auf Erfolge blicken

Mit Blick auf die Zukunft des Fördervereins, der rund 150 Mitglieder zählt, von den etwas mehr als die Hälfte deutschstämmig sind, erinnert Rüdiger von Schoenfeldt an ein gelungenes Zeichen der Freundschaft: Die "Istanbuler Nächte 8.0". Gemeint ist die Fahrt auf dem Kulturkanal, die es seit dem Kulturhauptstadtjahr 2010 alljährlich gibt und die bei Deutschen wie Türkischstämmigen gleichermaßen beliebt ist.
Melek Topaloglu erinnert: „Egal welcher Kultur wir sind, wir haben alle die gleichen Ziele und wünschen uns Bildung, Fairness und Respekt.“
„Die Kanalfahrt ist das beste Beispiel für die gesellschaftliche Durchmischung in unserer Stadt. Hier kommt man zusammen, um gemeinsam eine schöne Zeit zu genießen bei Musik, Tanz, leckeren Speisen und guten Getränken. Wir sollten dazu übergehen nicht zu fragen: Was gibt es für Probleme? Stattdessen müssten wir schauen, was uns die Städtepartnerschaft und auch das Zusammenleben von Deutsch- und Türkischstämmigen geben. Und das ist eine Menge. Vorurteile sollten abgebaut werden und es sollte mehr vorgebeugt, als Kaputtes repariert werden. Das ist in der Regel auch viel teurer“, glaubt Rüdiger von Schoenfeldt.
Für die "Istanbuler Nächte 8.0" gibt es übrigens noch Karten zum Preis von 20 Euro inklusive Fahrt mit dem Schiff Friedrich der Große, Abendessen und viel Musik. Infos per E-Mail an: ge-bc@gmx.de oder Telefon 165-8160. 

Autor:

silke sobotta aus Gelsenkirchen

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