Auf den Spuren des Lancaster-Bordschützen

Besuch aus England im Museum für Ur- und Frühgeschichte Wasserschloss Werdringen (v.l. Martin Davies, Keith Sampson, Horst Klötzer). | Foto: Michael Kaub
  • Besuch aus England im Museum für Ur- und Frühgeschichte Wasserschloss Werdringen (v.l. Martin Davies, Keith Sampson, Horst Klötzer).
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In der Nacht des 20./21. Februar 1945, gegen 1.15 Uhr stürzte ein viermotoriger Lancaster-Bomber der Royal Air Force in den Hagener Stadtwald. Die Maschine war mit ihrer siebenköpfigen Besatzung auf dem Zielanflug auf Dortmund. Deutsche Nachtjäger griffen den über 500 Maschinen umfassenden Angriffsverband an. Mehr als 15 Lancaster-Bomber wurden abgeschossen, davon schlugen mindesten drei Maschinen auf Hagener Stadtgebiet auf.
Im Jahre 2006 lokalisierte Horst Klötzer, ehrenamtlicher Mitarbeiter des Historischen Centrums Hagen, die Absturzstellen von zwei Lancaster-Bomber. Die Entdeckung hatte umfangreiche archäologische Untersuchungen und historische Recherchen zur Folge, die noch immer auf ein überregionales Medienecho stoßen. Aktuell sind im Museum für Ur- und Frühgeschichte Werdringen in Hagen und in der im Landesmuseum für Archäologie in Herne laufenden nordrhein-westfälischen Landesausstellung „Fundgeschichten“ sind zahlreiche Fundstücke von der Absturzstelle des Bombers zu sehen. Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe widmete dem Bomberabsturz in Hagen sowie den Recherchen sogar einen eigenen Film für die Landesausstellung.
Über das Internet kamen Horst Klötzer und Keith Sampson in Kontakt. Sampson ist ein Neffe von Henry Gage (*1923, †1982) aus Bristol im Südwesten Englands. Sergeant Gage gehörte zur Crew des im Hagener Stadtwald abgestürzten Lancaster-Bombers. Seine Aufgabe war es, als Heckschütze in der hinteren Bordwaffenkanzel der Maschine die rückwärtige Verteidigung zu übernehmen. Gage hatte großes Glück und überlebte mit zwei weiteren Kameraden in den frühen Morgenstunden des 21. Februar 1945 den Absturz, vier Besatzungsmitglieder fanden den Tod.
Henry Gage ergriff die Flucht, doch in Hohenlimburg musste er einsehen, dass er keine Chance hatte und stellte sich daraufhin der dortigen Polizei. Über das Polizeigefängnis Dortmund führte seine Gefangenschaft nach Oberursel in das Vernehmungszentrum der Luftwaffe und schließlich in die Kriegsgefangenenlager bei Nürnberg und Moosburg, wo er Ende April 1945 durch Truppen der 3. US-Army befreit wurde. Während der Gefangenschaft führte er ein Tagebuch, das im Besitz seiner Tochter erhalten geblieben ist.
Keith Sampson hatte sich schon früh für das Schicksal seines Onkels Henry interessiert. Er recherchierte über sein Leben sowie über seine Dienstzeit im britischen Bomber Command. Im Internet stieß er dann auf die Untersuchung der Absturzstelle in Hagen, über die auch das Nachrichtenmagazin Der Spiegel berichtet hatte. Die detaillierten Untersuchungsergebnisse des Historischen Centrums Hagen ermöglichten ihm eine rasche Identifizierung der Absturzstelle: Hier wurden die Trümmer der Maschine gefunden, zu deren Crew sein Onkel gehörte. Am Mittwoch besuchte Keith Sampson, der von seinem Freund Martin Davies (45) begleitet wurde, das Museum für Ur- und Frühgeschichte Wasserschloss Werdringen, um sich über die Funde aus dem Bomber zu informieren. In einer Vitrine mit Neufunden aus der Region sind auch mehrere Teile der Lancaster ausgestellt. Darunter befinden sich ein Bordfeuerlöscher und eine Morsetaste. Nach dem Museumsbesuch ließ sich Keith Sampson die Absturzstelle zeigen. Im Gelände sind noch heute Trichter und Einschlagkrater zu sehen. In mehreren Grabungen haben die LWL-Archäologie für Westfalen und das Historische Centrum Hagen gründlich untersucht und zahlreiche Funde geborgen, die Dutzende Kisten und Regale füllen. Keith Sampson und sein Freund Martin Davies waren tief beeindruckt – von den Fundstücken, der Absturzstelle und den Erkenntnissen der Archäologen und Historikern in Hagen. Eine Reise, die nicht nur von England nach Deutschland führte, sondern auch seine Familiengeschichte berührte. Es war eigentlich nur Glück, dass sein Onkel den Absturz und den Krieg überlebt hatte. Ihm hätte es ergehen könnten wie dem Sergant Thomas D. Scoot, der im März 1945 über Hagen aus seiner von der Flugabwehr beschädigten Maschine mit dem Fallschirm abgesprungen war und einige Wochen später durch die Geheime Staatspolizei in einem Bombenkrater ermordet wurde.
Ein ungewöhnliches Fundstück, das im Hagener Museum zu sehen ist, ist eine Fliegeruhr der Schweizer Firma Mido. Sie wurde beim Absturz des Bombers durch Hitze und Feuer beschädigt. In das Zifferblatt hatten sich die Stunden- und Minutenzeiger eingebrannt. Ihre Spuren dokumentieren heute noch viele Jahrzehnte nach dem Absturz den Zeitpunkt des tragischen Geschehens.
Sie waren zum Zeitpunkt der Explosion der Atombombe am 6. August 1945, um 8.15 Uhr Ortszeit, ausgefallen. Wie bei der Fliegeruhr eines unbekannten Besatzungsmitglieds des in Hagen abgestürzten britischen Bombers blieb im Wortsinn die Zeit stehen und wurde konserviert.

Autor:

Stephan Faber aus Iserlohn

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