Stadtplanung in Haltern
Glosse: Lavesumer Dorfbebauung in Händen von privaten Investoren - ein Stück aus dem Tollhaus?

HALTERN-LAVESUM. In der Ortsmitte von Lavesum, dem 1.750-Einwohner-Dorf im grünen Außenbereich (mit kaum noch vorhandener Infrastruktur für die Grundversorgung), soll nun weitere umfangreiche Wohnbebauung entstehen. Und zwar mit insgesamt bis zu 80 Wohneinheiten für umgerechnet ca. 180 bis 200 neue Bewohner – sowohl auf 2,7 Hektar landwirtschaftlichen Acker- und Weideflächen am Siedlungsrand wie auch auf bereits versiegelten Brachflächen im Ortskern.
Bis zum 21. Dezember können die Bürgerinnen und Bürger zu den jetzt öffentlich ausgelegten Bebauungsplänen für die weitere Wohnbebauung in Lavesum Anregungen und Bedenken vorbringen. Es geht um die Bebauungspläne Nr. 149 (Dorfmitte Lavesum) und 94 („Am Schafstall“) im Rahmen der gesetzlich vorgeschriebenen „frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung“.

Denkwürdige städtische Bürgerversammlungen

Vorausgegangen waren zwei denkwürdige Bürgerversammlungen zur Information über die Planungen am 20. Oktober und 3. November in der Lavesumer Gaststätte „Peters Bauernstuben“, zu der die Stadtverwaltung die Dorfbewohner offiziell eingeladen hatte. Der Stadt zuvorgekommen mit einer eigenen Bürgerversammlung war bereits am 7. September (mit Bier und Würstchen) der CDU-Ortsverein Lavesum, mit exklusivem Zugang zu den Planunterlagen. Dessen Mitglieder und Funktionäre stellten auch die meisten Besucher auf der gut besuchten städtischen Bürgerversammlung am 20. Oktober zum Bebauungsplan „Schafstall“, einschließlich ihres Lavesumer Stadtverordneten, der selber in der Immobilienbranche erfahren ist.

Gestritten wurde nur über die Gebäudehöhe und Geschosse

Auf der schwächer besuchten zweiten Bürgerversammlung zur Dorfkernbebauung am 3. November waren sie fast unter sich. Ihr Hauptinteresse bei beiden Plänen galt in erster Linie der Gebäudehöhe und Geschosszahl der Baukörper im Detail, weniger dem fragwürdigen Gesamtkonzept und seinem wenig geeigneten Beitrag zur zukunftsträchtigen Gesamtentwicklung des „sterbenden Dorfes“ (als reines Wohndorf fast ohne Infrastruktur). Wie andere Münsterland-Dörfer ähnliche Pobleme initiativ und erfolgreich gemeistert haben und was die Dorfbewohner zusammen mit der Stadt und den Vereinen zur Wiederbelebung ihres Dorfes beitragen könnten, war kein Thema, obwohl es auch dafür gute Beispiele in der Nachbarschaft gibt.

Tritt die Stadt ihre Planungshoheit an Investoren ab?

Auf den beiden städtischen Bürgerversammlungen wurde jedenfalls offenkundig, dass die Stadt ihre Gestaltungs- und Planungshoheit mehr oder weniger an die zwei einflussreichen Privat-Investoren und Grundbesitzer als Betreiber der Planung abgetreten hatte, nämlich an die stadtbekannte „Generalbau Stock Dritte GmbH & Co.KG.“ und den einflussreichen Lavesumer Makler und Grundbesitzer Meinhard Wessel. Diese hatten sich ihre beiden angrenzenden, aber separaten Bebauungspläne nach eigenen kommerziellen Wünschen und Vorstellungen mit Hilfe externer Planungsbüros selber entworfen –„in Zusammenarbeit mit der Stadt“.
Die Frage von Bürgern, ob man im Baugebiet Schafstall auch Einzelgrundstücke erwerben könne oder sich vertraglich an den Bauträger binden muss, wurde zögerlich beantwortet, dass wohl auch Grunderwerb möglich sei, Denn das Unternehmen "Massivbau Stock GmbH" wirbt damit: "Vom Grundstück und Einfamilienhaus bis zur Stadtvilla ist die Planung und Betreuung immer in den richtigen Händen ihres Bauträgers", (der mit "Hochbau Bruns" zusammenarbeitet sowie über Maklerverträge mit der "Immopoint Vest GmbH" bei Bestandsimmobilien).

Kein Dorfentwicklungskonzept und kein Architektenwettbewerb

Ein vorheriger „Masterplan“ als umfassendes integriertes Dorfentwicklungskonzept für die Zukunft des infrastrukturell sterbenden Dorfes Lavesum insgesamt liegt nicht vor und ist nicht vorgesehen. Auch sorgt die Stadt nicht etwa für einen vorherigen städtebaulichen Ideenwettbewerb von Architekten, um bestmögliche Gestaltungs- und Nutzungsalternativen vor einer endgültigen Entscheidung über die Wohnbebauung zu erhalten? Vergibt die Stadt eine historische Chance für die Gestaltung des Dorfmittelpunktes?

Die Stadt als bloßer Dienstleister für Privatinvestoren?

Jedenfalls hat sich die eigentlich federführende Stadt bei den einberufenen Bürgerversammlungen zur Information über die Lavesumer Bebauungsplanvorhaben auf die Begrüßung, Moderation und bloße Verfahrenshinweise beschränkt und den Investoren mit ihren Planungsbüros das Feld überlassen. Und anschließend sorgt dann die Stadt assistierend für die Einleitung und Durchführung der formellen Bebauungsplanverfahren mit Ratsbeteiligung und Einbeziehung der Träger öffentlicher Belange - alles im Dienst der Investoren, deren Interessen mit öffentlichem Gemeinwohlinteresse einfach gleichgesetzt werden, denn sie sorgen ja als kapitalkräftige Investoren für die Wohnungsangebote in Dorf und Stadt. Städtische Planungshoheit bedeutet hier die Rolle der Stadt als Dienstleister für Privatinvestoren und deren Rendite-Interessen?

Keine Bedarfsanalyse als notwenige Planungsgrundlage?

Eine von der SPD-Ratsfraktion beantragte Wohnungsbedarfsanalyse für die verschiedenen Bevölkerungsgruppen und Wohnbedürfnisse ist nicht vorausgegangen, denn der Stadt reicht die Behauptung einer allgemeinen Nachfrage (auch in Zeiten drastisch steigender Bauzinsen und Baupreise?). Dabei sieht die Regionalplanungsbehörde einen Überhang von 0,5 ha an projektierten Wohnbauflächen im Halterner Stadtgebiet, die eigentlich entsprechend reduziert statt ausgeweitet werden sollten. Denn langfristig sinken die prognostizierten Bevölkerungszahlen aufgrund des Geburtenrückgangs und Sterbefallüberschusses.

Für Lavesum wird erst einmal munter drauflos geplant. Denn die Wohnbaugrundstücke und Wohnungen sollen bei größtmöglicher Bebauungsdichte vermarktet werden, ohne vorherige zielgenaue Wohnbedarfsanalyse, die für völlig entbehrlich betrachtet wird. Im Angebot ist immerhin auch ein als „Mehrgenerationenwohnhaus“ bezeichnetes Wohngebäude ohne genaues Konzept.

Bebauungspläne nach eigenen (Rendite-)Vorstellungen der Investoren

Die Investoren ergriffen auf den Bürgerversammlungen anstelle der Stadtplaner aus dem Rathaus  das Wort bei der Diskussion mit den anwesenden Bürgerinnen und Bürgern - zusammen mit den anwesenden Vertretern der von ihnen beauftragten auswärtigen Planungsbüros. Den inhaltlichen Part der Planvorstellung und die Diskussion mit den fragenden Bürgerinnen und Bürgern übernahmen also die Investoren und die von ihnen beauftragten auswärtigen Planungsbüros aus dem fernen Rheda-Wiedenbrück und aus Dortmund. Die Lokalpresse blieb den Veranstaltungen übrigens fern und berichtete überhaupt nicht darüber (die Präferenz der Lokalredaktion liegt eher auf Lippramsdorf?), so dass die nicht anwesenden Lavesumer Dorfbewohner aus der Presse nichts darüber erfahren konnten. Sie haben auch nicht allzu viel versäumt.

Schubladenpläne von nicht ortskundigen Planern?

Der Vertreter des Planungsbüros „Pesch und Partner“ aus Dortmund als Planer für die Dorfmitte (im Auftrag des Lavesumer Maklers Meinhard Wessel als Grundbesitzer und Investor) erwies sich als nicht ortskundig. Er erntete Gelächter und Proteste, weil er weder über die längst geschlossenen Einrichtungen im Plangebiet, wie Sparkasse, Gaststätte, Dorflädchen, Restaurant etc. noch über die aktuelle Verkehrssituation Bescheid wusste - und einen dort nicht vorhandenen Kindergartenstandort vermutete. Offenbar waren die Pläne für seinen Investor und die zurückliegende Bestandsaufnahme schon vor mehreren Jahren erstellt worden, so dass wohl Jahre alte Pläne aus der Schublade hervorgeholt wurden? Dabei wirbt das Planungsbüro auf seiner Homepage damit: "Erst individuelle, ortsspezifische Lösungen erzeugen die urbane Atmosphäre, die Orte zum Klingen bringen."( Nach klingender Urbanität sah der Entwurf für das Bikomarkt-Gelände nicht gerade aus...).

Kritische Fragen und Alternativen unerwünscht?

Die eigentlich an die Stadtvertreter gerichtete kritische Frage eines Bürgers nach gestalterischer Alternativen für die Dorfmitte - zugunsten einer infrastrukturellen Wiederbelebung anstelle der vorgesehenen Wohnbebauung unmittelbar im verkehrsreichen Kreuzungsbereich - wurde vom Lavesumer Investor mit einer Schimpfkanonade „abgebürstet“. Alle Versuche zur Verbesserung der Infrastruktur seien schließlich in der Vergangenheit gescheitert, dann möge gefälligst der Fragesteller Ladenbetreiber oder Gastronomen oder eine fehlende Arztpraxis besorgen.

Stadt ist für die Grundversorgung in ihren Dörfern zuständig

Daraufhin schwiegen die eigentlich damit angesprochenen Stadtvertreter, weil sie sich über ein integriertes Dorfentwicklungskonzept für das vernachlässigte Lavesum offensichtlich keinerlei Gedanken gemacht haben, bevor man mit kommerziellen Wohnbauvorhaben loslegt. Von positiven Beispielen und Initiativen aus vielen anderen Münsterland-Dörfern möchte man nichts wissen, geschweige diese einmal vor Ort in Augenschein nehmen? Die Stadt ist aber von Gesetzes wegen für die Grundversorgung ihn ihren Dörfern zuständig sowie für gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Dorf und kann ihre planerische Verantwortung nicht einfach "outsourcen" an Private.

Freibier von den Investoren für Besucher der städtischen Informationsveranstaltung

Die Getränkerechnung für die von der Stadt zur Informationsveranstaltung eingeladene Bürgerschaft übernahmen die Bauunternehmer und Makler aus Haltern, wie der Baudezernent stolz verkündete. In Schwaben würde man dazu sagen: „Das Ganze hat ein „Geschmäckle“. Aber vielleicht verstummen nach dem dritten Bier die Fragen von kritischen Bürgern an die bürgernahen Investoren zu den Planvorhaben? (Hätte man das vorher verkündet, wären vielleicht noch mehr Interessenten zu den Informationsveranstaltungen der Stadt – äh, der Werbeveranstaltung der Investoren gekommen?). Das Vorgehen mutet etwas an wie ein Stück aus dem Tollhaus. Und es lenkt ab von den eigentlichen Fragen und Problemen.

Vorgesehene Baumpflanzungen auf Privatgrundstücken ohne Baumschutzsatzung?

So ist zum Beispiel beim Bebauungsplan Nr. 94 „Am Schafstall“ verschwiegen worden, dass die Baumpflanzungen als Ersatz- und Ausgleichsmaßnahmen für den Eingriff in die Landschaft teilweise auf die Privatgrundstücke verlagert worden sind. Da die Stadt jedoch laut Ratsbeschluss keine Baumschutzsatzung aufstellt, gibt es keine Umsetzungskontrolle und auch keinerlei Hindernis, die Bäume jederzeit wieder abzusägen, sofern sie überhaupt in den Privatgärten tatsächlich gepflanzt werden. Ob das bloße Verlassen auf die „Eigenverantwortung“ der Grundbesitzer nicht naiv ist?

Weitere Acker- und Grünflächen werden geopfert

Dass für den Bebauungsplan „Am Schafstall“ wieder einmal weitere Hektar Acker- und Grünflächen im Stadtgebiet und damit wertvoller Landschaftsraum für Klima-und Artenschutz der Bebauung weichen muss, kann auch durch ein wenig Dachbegrünung auf den Neubauten nicht wettgemacht werden. Mit Bedauern sprach der Investor für die Schafstall-Siedlung von „schmerzlichem Verzicht“ auf ursprünglich eingeplante Bauflächen zugunsten freizuhaltender Entwässerungsflächen mit einem Grünstreifen. Eigentlich wollte man also  noch mehr Rendite mit den sehr klein zugeschnittenen Baugrundstücken erzielen, deren Preise sicherlich das bisherige Niveau in Dorflagen deutlich übersteigen werden 

Vorhandene Verkehrsproblematik wird ausgeklammert?

Auch auf die Idee sind die Beteiligten nicht gekommen, evtl. die problematische und vielbefahrene Ortsdurchfahrt der Landstraße (zwecks verkehrsberuhigter und fahrradfreundlicher Umgestaltung) in den Bebauungsplan für die Dorfmitte einzubeziehen, obwohl die Hauptverkehrsader im Dorfkern die Lebensqualität beeinflusst. In Abstimmung mit dem Baulastträger (am besten per Übernahme der Ortsdurchfahrt durch die Stadt in deren eigene Zuständigkeit), wäre hier eine Vebesserung der Situiation dringlich. Nun sollen an der verkehrsreichen Kreuzung Rekener Straße/Merfelder Straße  genau dorthin die  Mehrfamilienhäuser platziert werden - ein äußerst unattraktiver Wohnstandort. Und auch der Spielplatz ist direkt am Straßenrand im Einmündungsbereich vorgesehen statt im geschützen hinteren Bereich.

Verpasste Chance für Dorfplatzgestaltung

Dabei hätte auf dem ehemaligen Biko-Gelände im Dorfkern die Gestaltung  eines Dorfplatzes mit vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten nach dem Vorbild anderer Münsterlanddörfer besser hingepasst statt zwei phantasielos und unorganisch platzierte Wohnbauten. Stattdessen werden die nun neu geplanten Wohnstandorte angepriesen als „besonders geeignet für Berufspendler“ wegen des nahegelegenen Autobahnanschlusses. Von Verkehrswende oder ÖPNV-Verbesserung und neuen Radwegen im autogerechten Dorf kein Wort? Auch dies ist im Jahr 2022 ein Stück aus dem Tollhaus, so wie der tosende Motorradverkehr an jedem Wochenende und Sommerabend durch das lärmgeplagte Dorf.  Die künftigen Bewohner der geplanten Neubaugebiete werden das bald zu schätzen wissen... (Aber es passt zu Haltern, einer autogerechten Stadt mit deutlich höherem PKW-Bestand pro 1000 Einwohner als in anderen Städten oder im Bundesdurchschnitt, bevorzugt SUV...)

Deplatzierter Kastanienhof wird nachträglich per Bebauungsplan "gesichert"

Zwei Meter vom Straßenrand entfernt hatte man wenige Jahre zuvor bereits an dem ungeeigneten Standort den massiven Baukörper des  fehlgeplanten „Kastanienhofes“ platziert– der nun nachträglich in den Bebauungsplan einbezogen werden soll, weil er zuvor ohne eigentlich notwendigen Bebauungsplan und damit ohne Bürgerbeteiligung errichtet worden ist. Ein im Nachhinein unverzeihliches Vorgehen, zumal der Bau das Ortsbild sprengt und den Senioren keinerlei Aufenthaltsmöglichkeit im Freien bietet, obwohl  anfänglich als "Leuchtturmprojekt mit umgebender dörflicher Infrastruktur" vermarktet.
Errichtet wurde der Gebäudekomplex  wiederum durch ein beauftragtes großes Halterner Bauunternehmen (Mertmann) für eine auswärtige Maklerin und Investorengemeinschaft, die aus den privaten Seniorenwohnungen Rendite erzielt, aber den Bewohnern nicht einmal eine vom Verkehrslärm abgewendete Außenfläche mit Aufenthaltsqualität bietet (und auch keinen Gemeinschaftsraum im Inneren). Kommentar der Betreiberin: "Die Senioren wollen gar nicht nach draußen". (Einige sitzen aber auf Stühlchen direkt am Straßenrand der Landstraße und zählen die Motorräder und den regen Ausflugsverkehr).

Wie sich Investoren die städtische Planungshoheit aneignen

Zwar unterstützt das geltende Bundesbaugesetz Investoreninteressen, seitdem deren Lobbyverbände es seinerzeit geschafft haben, einen neuen § 12 (1) einzufügen, der so genannte „vorhabenbezogene Bebauungspläne“ ermöglicht. Statt der Gemeinde ist dann der Investor der Träger des Planes und übernimmt teilweise die Planungs- und Erschließungskosten. Die Investoren übernehmen auch die Kosten für die Entwicklung des Bebauungsplanes und präsentieren dann auch die ersten Entwürfe. Zumeist übernehmen die somit von Arbeit entlasteten Planungsämter mehr oder weniger unkritisch deren Planungen, weil sie damit selber Kosten und Aufwand sparen. Ob hier dieser Paragraph angewendet worden ist, geht aus den Planunterlagen nicht hervor. Andernfalls dürfte die Stadt mit ihrer Planungshoheit das Heft des eigenen planerischen Handelns eigentlich nicht aus der Hand geben.

Freie Hand für private Grundstücksnutzung: „Ein Hauch von wilder Westen“

Dass in Haltern die Mentalität vorherrscht, wonach die privaten Immobilienbesitzer auf ihren Grundstücken möglichst freie Hand haben sollen, was sie auf ihren Grundstücken tun und lassen, zeigte sich unter anderem bereits bei den kontroversen Debatten im Halterner Rat pro und kontra Baumschutzsatzung sowie pro und kontra Schottergärten. Städtische Erhaltungs- und Gestaltungsvorgaben im öffentlichen Interesse sind unerwünscht – ein Hauch von „wilder Westen“ weht durch die Stadt mit dem absoluten Vorrang privater Interessen, erst recht bei Rendite-Interessen der stadtbekannten Bauunternehmer, Investoren und Makler. Die Sozialverpflichtung des Eigentums - in Haltern noch unbekannter als im Allgemeinen? Sollte der gescheiterte Bürgermeisterkandidat der FDP in Haltern, dessen Bundespartei als „Maklerpartei“ geschmäht wird, am Ende doch recht behalten mit seiner ketzerischen Aussage auf einer öffentlichen Podiumsdiskussion am 29. August 2018: „Die Investoren und Bauunternehmen haben die Stadt Haltern im Griff. (…) Die Stadt ist tatsächlich etwas getrieben von den Bauunternehmen“.

Auslagerung hoheitlicher Planungsaufgaben an private Planungsbüros?

Der Zentralverband der Immobilienlobby möchte übrigens bundesweit die Erstellung von Bebauungsplänen von den städtischen Planungsämtern gerne an „externe Büros“ auslagern – ebenfalls mitfinanziert von der Bau- und Immobilienbranche. Die Immobilienwirtschaft drängt damit in den sensiblen Bereich hoheitlicher Aufgaben hinein. Hoheitliche Aufgaben der Kommunen sollen ausgelagert und privatisiert werden. Das Bau- und Planungsrecht darf jedoch nicht leichtsinnig den Interessen der Immobilienwirtschaft preisgegeben werde. Wird mit dem ungewöhnlichen Vorgehen bei der Lavesumer Planung faktisch ein erster Schritt in diese Richtung gegangen?

Immobilienlobby stellt städtische Planungskompetenz in Frage

Dass die Immobilienlobby schon seit langem bundesweit versucht, sich mit eigenen Projektmanagern sogar in die Kommunen „einzukaufen“, denen sie die Fachkompetenz für die „marktkonforme“ Bebauungsplanung und -entwicklung abspricht, ist lange bekannt. Die Begründung: Den Beamten fehle häufig der „immobilienwirtschaftliche Hintergrund“ und eine „marktgerechte Perspektive“. Und: öffentliche Ämter könnten bei den Gehältern nicht mit dem freien Markt mithalten. Deswegen winkt der Lobbyverband mit dem Geldschein: Der Zentralverband schlägt vor, die neuen „hochqualifzierten Projektmanager“ aus der Bau- und Immobilienbranche mitzufinanzieren“ und dann in den städtischen Planungsämtern einzusetzen. (In deutschen Ministerien wurde so ein Modell längere Zeit bereits praktiziert mit Lobbyisten auf dortigen Arbeitsplätzen).

Unabhängigkeit städtischer Planungsentscheidungen gefährdet

Die Vorschläge der Immobilienlobby sind brisant: Vertreter der Bau- und Immobilienwirtschaft, die sich in den Bauämtern ihre eigenen Leute bezahlen oder in privaten Planungsbüros die städtische Bebauungsplanung übernehmen? Das ist nicht mit demokratischen Prinzipien zu vereinbaren. Schließlich geht es in Planungsverfahren darum, viele Interessen zu berücksichtigen: vom Denkmal- und Umweltschutz über Stadtentwicklung bis hin zu Bürgerbeteiligung. Ein solcher Abwägungs- und Anhörungsprozess erfordert eine größtmögliche Unabhängigkeit – vor allem gegenüber denen, die mit dem Bauen Geld verdienen wollen. Auch wenn die Stadt am Ende die Durchführung der formellen Planverfahren und die Abstimmung mit den politischen Entscheidungsträgern übernimmt, so geschieht dies doch auf der Basis der von Rendite-Interessen geprägten Planunterlagen der Investoren. Übergeordnete Planungsgrundsätze werden dabei meist außeracht gelassen.

Das „Halterner Landrecht“ im Einklang mit der Regional- und Landesplanung?

Wer bisher mit dem Begriff des legendären oder berüchtigten „Halterner Landrechts“ nichts anfangen konnte, der kann ihn in diesem Zusammenhang vielleicht einordnen. Denn hinzu kommt die entscheidende Frage, ob die Wohnbauvorhaben in Lavesum überhaupt mit den aktuellen Vorgaben der Regional- und Landesplanung im Einklang stehen, die bislang einfach ausgeklammert werden. Denn für die Wohnbebauung von Dörfern bis zu 2.000 Einwohnern im landschaftlichen Außenbereich gelten ganz bestimmte Restriktionen sowie Voraussetzungen und Bedingungen, auch nach dem neuen Landesentwicklungsplan. Es ist hier also nur eine an die vorhandene Infrastruktur angepasste Siedlungsentwicklung zulässig, wenn ein hinreichend vielfältiges Infrastrukturangebot zur Grundversorgung sichergestellt wird. Das ist in Lavesum nicht der Fall.

Wohnbebauung nur für den dörflichen Eigenbedarf zulässig

Vor allem ist laut Landesentwicklungplan und dem daraus abgeleiteten Regionalplan die Wohnbebauung zwingend auf den Eigenbedarf und die Eigenentwicklung des Dorfes abzustellen, also nicht auf Zuzüge von außerhalb oder dem übrigen Stadtgebiet. Wo sollen aber 180 bis 200 Personen, bevorzugt Familien mit Kindern als genannte Zielgruppe für die 80 geplanten neuen Wohneinheiten (Durchschnittsbelegung 2,2 bis 2,5 Personen) allein aus der Dorfbevölkerung heraus herkommen und den zusätzlichen flächenintensiven Wohnbedarf auslösen?

Bebauung erfordert vorheriges Konzept für integrierte Dorfentwicklung

Somit ist laut Landesentwicklungsplan für die Weiterentwicklung von kleinen Ortsteilen zu einem Siedlungsbereich über 2.000 Einwohner ein nachvollziehbares gesamtgemeindliches Konzept zur angestrebten Siedlungsentwicklung zwingend erforderlich. Durch eine aktive, integrierte Dorfentwicklung soll eine angemessene Daseinsvorsorge und eine Attraktivitätssteigerung der Dorfkerne angestrebt werden, um diese nachhaltig zu sichern.

Bebauungspläne führen Lavesum an die 2000-Einwohner-Schwelle

Wo sind die dazu erforderlichen städtischen Konzepte für Lavesum? Mit den neuen Baugebieten reicht nämlich Lavesum an die Schwelle der 2.000 Einwohner alsbald heran und macht damit den vorrangigen Siedlungsschwerpunkten im Stadtgebiet unzulässige Konkurrenz. Und das Dorf ab 2000 Einwohnern muss dann auch die vollständige Grundversorgung für die Dorfbevölkerung sicherstellen, für die jedoch die Stadt selber „keine Ökonomische Tragfähigkeit“ sieht. Hat man das übersehen?

Versprochenes „Ortsteilforum“ ad acta gelegt?

Schon vor Jahren ist der Lavesumer Bürgerschaft von der Stadt und den Politikern ein versprochenes „Ortsteilforum“ zur integrierten Dorfentwicklung für Lavesum in Aussicht gestellt worden, wie zuvor in Lippramsdorf und Flaesheim durchgeführt. Davon hat man offenbar wieder Abstand genommen – obwohl es auch im Wahlprogramm der Ratspartei CDU, die auch den Bürgermeister stellt, heißt: „Wir möchten die Beteiligung der Bürger an den demokratischen Prozessen fördern und ausbauen. Dazu gehören die frühzeitige Bürgerbeteiligung bei prägenden Bauvorhaben und die Weiterführung der Ortsteilforen.“ Von der Weiterführung der Ortsteilforen ist inzwischen keine Rede mehr, sondern mit den Bauprojekten werden vollendete Tatsachen für die zukünftige Dorfentwicklung geschaffen und Alternativen erst gar nicht zugelassen.

Stadt vergibt eine historische Chance für die Dorfgestaltung

Nunmehr ist die Stadt Haltern offensichtlich gewillt, eine historische Chance für eine nachhaltige Dorfentwicklung im vernachlässigten Lavesum zu vergeben, indem sie sich als bloßer Dienstleister für die großen Bebauungsvorhaben privater Investoren nach deren Vorstellungen versteht, ohne vorher ein ganzheitliches Dorfentwicklungskonzept zugrunde zu legen. Seit langem vorliegende Bürgervorschläge unter anderem für einen Dorfplatz und Dorfpark sowie für ein Bürgerhaus (dafür gibt es Landesförderung für die Dörfer) wurden ebenfalls ignoriert oder verworfen. Im Juli dieses Jahres gab die Stadt über ihre Stadtsprecherin bekannt, dass sie zwar Eigeninitiative der Bürger und ihre Anliegen unterstützen würde, aber selber für Lavesum nichts initiieren will. Allenfalls könne man Fördermittel aus dem Dorferneuerungsprogramm des Landes vermitteln. (Das setzt aber wiederum eigene Dorfentwicklungskonzepte der Stadt zwingend voraus, was die Stadt verschweigt).

Rat sollte die Planung zurückstellen und erst die Grundvoraussetzungen schaffen

Insgesamt bleibt als Fazit dieses planerischen Vorgehens ein fahler Beigeschmack, dass hier etwas schief läuft bei der Dorfplanung in und für Lavesum. (Daran vermag offenbar auch der mitgliederstärkste und bei allen Wahlen erfolgreichste CDU-Ortsverein Lavesum kommunalpolitisch nichts zu verbessern). Dabei wäre es ratsam, die Planung jetzt nicht - entgegen den landesplanerischen Vorgaben - eilig über die Bühne zu bringen, sondern erst die Grundvoraussetzungen zu schaffen, wohin sich insgesamt das Dorf überhaupt entwickeln soll und wo der eigentliche Entwicklungs- und Verbesserungsbedarf liegt.

„Husarenstück“ vermeiden

Auch wenn infolge guter politischer Kontakte der regional- und landesplanerische Segen für das Vorhaben - etwa „als bauliche Abrundung des Dorfes“ als Alibi - erteilt werden sollte, so wäre das kein planerischer Erfolg. Sondern es wäre eher mit dem Segen der Stadt als Dienstleister für Investoren eine planerisches „Husarenstück“ – ein mit Risiken verbundenes Durchboxen der planerischen Unternehmung - zugunsten privater Renditeinteressen, die nicht mit den öffentlichen Gemeinwohlinteressen deckungsgleich sind.

Wilhelm Neurohr, 24. November 2022

> Siehe auch vorherige Beiträge im Lokalkompass zur Dorfentwicklung Lavesum unter:

https://www.lokalkompass.de/haltern/c-politik/lavesum-laesst-die-stadt-haltern-ihre-dorfbewohner-im-stich_a1783141

Autor:

Wilhelm Neurohr aus Haltern

Webseite von Wilhelm Neurohr
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