Serie Integration: Und das sagen die Deutschen über die ausländischen Mitarbeiter auf der Hütte

Ehemalige“ der Hütte sind heute noch in der Ideenschmiede aktiv. Das neueste Kunstwerk wurde gerade aufgestellt und heißt „Baum der Arbeit“. (v.l.) Peter Becker (60), Günter Kalinowski (65), Wolfgang Krieger (66), Klaus-Dieter Nienhaus (71), Karl-Heinz Kalinowski (73) und Gerd Heyer (77) haben mit Spaß und guter Laune mitgewirkt.  Foto: Kamphorst
  • Ehemalige“ der Hütte sind heute noch in der Ideenschmiede aktiv. Das neueste Kunstwerk wurde gerade aufgestellt und heißt „Baum der Arbeit“. (v.l.) Peter Becker (60), Günter Kalinowski (65), Wolfgang Krieger (66), Klaus-Dieter Nienhaus (71), Karl-Heinz Kalinowski (73) und Gerd Heyer (77) haben mit Spaß und guter Laune mitgewirkt. Foto: Kamphorst
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(von Cay Kamphorst) „Zuerst kamen Portugiesen und Italiener, später auch Türken“, erzählt der 66jährige Wolfgang Krieger, Vorsitzender der Ideenschmiede. „Am Anfang war es sehr schwierig sich zu verständigen, weil keiner von ihnen deutsch konnte.“

Da sind sich die ehemaligen deutschen Mitarbeiter der Henrichshütte einig. „Aber sie bekamen Deutschkurse im Kindergarten neben dem Ledigenheim. Heute ist es das Hotel ‚Avantgarde‘.“
„Wir mussten uns mit Gesten verständigen, keiner konnte den anderen verstehen. Das war schon wirklich schlimm“, erinnert sich Klaus-Dieter Nienhaus (71). „Darum konnten die Migranten anfangs auch nur Hilfsarbeiten machen, mit entsprechend geringer Bezahlung. Wir konnten sie ja nicht sofort beispielsweise als Kranführer arbeiten lassen.“
Einfach hätten es die Migranten auch nicht gehabt. „Das Ledigenheim, in dem erstmal alle untergebracht wurden, bis sie eigene Wohnungen hatten, war immer voll. Ganze Familien lebten dort auf engstem Raum“, weiß Wolfgang Krieger, der damals in der Arbeitsvorbereitung tätig war. „Und sie mussten ja auch untereinander klarkommen. Es waren Menschen aus ganz unterschiedlichen Ländern und Kulturkreisen. Portugiesen, Italiener, Griechen, Türken und Marokkaner. Einfach war das sicherlich nicht. Sie konnten sich ja auch nicht verständigen.“
Um wenigstens die einfachsten Arbeiten erklären zu können, wurden Tafeln aufgestellt, auf denen die deutschen Arbeiter die gängigsten Werkzeuge aufgemalt hatten. „Hammer, Zange, Schaufel und Schraubendreher konnte ja keiner verstehen. So konnten wir dann auf das entsprechende Werkzeug zeigen. Je mehr deutsch sie dann konnten, desto anspruchsvoller wurden auch ihre Tätigkeiten. Wir mussten den Migranten ja erklären können, was sie zu tun hatten.“
Der Hochofen sei ein beliebter Arbeitsplatz gewesen, weil dort das meiste Geld zu verdienen war. „Aber nicht jeder konnte es dort aushalten – wegen der extremen Hitze.“
Wolfgang Krieger sagt, dass die Migranten anfangs lieber für sich gewesen seien. „Das änderte sich aber im Laufe der Jahre. Es war ja auch alles neu für sie und die Sprachbarriere war da. Nach ein bis zwei Jahren hatten sie sich eingelebt und es entstanden Freundschaften, die teilweise noch heute andauern.“
Klaus-Dieter Nienhaus beschreibt die damalige Problematik der ausländischen Hinzugezogenen. „Es war doch alles ganz neu für die Menschen. Andere Sprache, anderes Land, viel Dreck und Staub im Werk. Das mussten sie erst mal verkraften.“
„Ja“, wirft Karl-Heinz Kalinowski (73) ein: „Sie standen vor dem riesigen Stahlwerk und beteten zu Allah, dass sie auch bloß heil wieder rauskamen.“
Aber auch er weiß von den schwierigen Wohnverhältnissen der damaligen Zeit zu berichten. „Auf dem Hochofengelände haben sich die Menschen eine große Baracke gebaut. Ich wurde mal eingeladen und habe gesehen, dass sie in kleinen Zimmern mit vier bis sechs Personen gemeinsam schliefen. Eine kleine Küche hatten sie sich eingerichtet, in der gemeinsam gekocht wurde. Aber das Essen war sehr lecker.“
Überhaupt solle man nicht vergessen, welch kulinarische Bereicherung die Küche der Migranten für Deutschland sei. „Was kannten wir denn schon? Eisbein und Schweinebraten. Ganz besonders auch das Gemüse, das es hier noch gar nicht gab!! Sie haben viel Abwechslung in unsere gutbürgerlichen Essgewohnheiten gebracht.“
Echte Differenzen zwischen Deutschen und Migranten habe es nicht gegeben. Aber viel Verwunderung, besonders als die Türken kamen. „Wir kannten das ja nicht mit dem Beten. Ich war damals Kranführer im Walzwerk und von meinem Platz hoch oben sah ich immer, wie sich die Muslime um zehn Uhr ihre Teppiche holten und alle gleichzeitig beteten. Anfangs sehr ungewohnt. Wirklich gern gesehen war das von der Betriebsleitung nicht. Aber es wurde geduldet und wenn sie beispielsweise am Hochofen standen, dann wurde das Gebet auch verschoben, denn dort konnte die Arbeit nicht einfach liegen bleiben.“
Wirkliche Schwierigkeiten hatten die Türken im Ramadan. „Das war schlimm. In der Zeit essen und trinken die Muslime ja den ganzen Tag nichts und gerade bei den anstrengenden und staubigen Arbeiten fielen sie reihenweise um.“
In solchen Fällen sei die Werksfeuerwehr zur Hilfe gekommen und einige mussten sogar ins Krankenhaus gebracht werden. „Das war manches Mal schon ein sehr großes Wagnis, wenn die Männer am heißen Hochofen standen oder im Walzwerk. Da konnte Schlimmstes passieren, wenn sie einfach so umkippten.“
Ob und was damals tatsächlich in solchen Momenten passiert ist, wissen die Männer heute nicht mehr. Wolfgang Krieger meint dazu: „Das ist heute ja auch nicht anders. Nur die Sicherheitsstandards sind höher und die Arbeiter tragen bessere Schutzanzüge. Aber die Probleme mit dem Ramadan und der schweren Arbeit bleiben ja.“
Karl-Heinz Kalinowski hat Schlosser gelernt und im Stahlwerk als Kranführer gearbeitet. „Ich hatte immer ein gutes Verhältnis zu den ausländischen Mitbürgern.“ Und das bestätigen auch seine Kollegen. „Bis auf die Sprachschwierigkeiten, gab es keine wirklichen Probleme.“
Wolfgang Krieger gibt an, dass manche Neuankömmlinge anfangs ängstlich und zurückhaltend waren, andere offensiver. „Private Kontakte bildeten sich erst im Laufe der Jahre, zu Anfang blieben sie lieber unter sich.“
So wie das Beten auf den Teppichen neu für die Deutschen war, so waren es manch moderne Einrichtungen für die Migranten. „Manche kannten keine Sitztoilette, wie wir sie haben. Sie kamen ja teilweise aus den ländlichsten Gebieten ihrer Länder. Dort gab es sozusagen ein Loch, was für die Notdurft genutzt wurde. So konnten sie mit unserer Toilette erstmal gar nichts anfangen.“
Die deutschen Ehemaligen der Hütte müssen schmunzeln. „Die Menschen kannten es ja nicht besser und so stellten sie sich auf die Klobrille, um ihr Geschäft zu verrichten. Es wurde auch erzählt, dass Ausländer wider besseren Wissens ihr Obst in der Toilette wuschen, in dem Glauben, eine Waschschüssel vor sich zu haben.“
Was für uns, und ganz bestimmt auch für die Migranten aus heutiger Sicht, unangenehm klingt, war damals einfach Unwissenheit.
So mussten beide Seiten viel über die jeweils andere Nation lernen. Ganz wichtig bei diesem Prozess waren gegenseitiger Respekt, Vertrauen und Hilfsbereitschaft. Alles zusammen führte letztendlich über ein gutes Arbeitsklima bis hin zu tiefen Freundschaften, die auch bis über das Rentenalter hinaus andauern.

Autor:

Dr. Anja Pielorz aus Hattingen

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