Von Hemer lernen …

Architektonische Tristesse und tunnelartige Angströhren
5Bilder
  • Architektonische Tristesse und tunnelartige Angströhren
  • hochgeladen von Franz-Josef Knur

… heißt siegen lernen, so etwa lautete ein Leserbrief in den vergangenen Tagen, der die Entwicklung der Stadt nach der Landesgartenschau als Rollenbeispiel für andere Städte, insbesondere Menden, in den Blick der Öffentlichkeit rücken wollte.
Ist die Stadtentwicklung in Hemer tatsächlich eine Erfolgsgeschichte, die exemplarisch zur Nachahmung empfohlen werden kann? Oder ist eine Entwicklung in Gang gekommen, die durchaus ambivalent gesehen werden kann und die Möglichkeit enthält, sich in unterschiedliche Richtungen zu bewegen?
Der Leserbrief bemühte sich offensichtlich, auch in Menden die Begeisterung zu verbreiten, mit der eine Reihe von Hemeraner Stimmen sich geradezu erfolgsbesoffen hörbar macht. Dieser Enthusiasmus überdeckte in der Lokalpresse und der örtlichen Politik die große Zahl von kritisch warnenden Stimmen, die sich mit zunehmendem Verlauf des Großereignisses in der Fachwelt bemerkbar machten. Die Warnungen und Fragen wurden weitgehend ignoriert, wenngleich im Hintergrund für allzu offensichtliche Probleme in aller Stille Bauernopfer gebracht wurden, indem unkritische Befürworter aus ihren Ämtern entfernt wurden, wenn sie sich in der Öffentlichkeit in Ahnungslosigkeit erwischen ließen.
Jetzt, ein halbes Jahr, nachdem die Fanfaren der Landesgartenschau verstummt sind, zeigen sich die Folgen einer problematischen, auf schnelle Effekte schielenden Politik bemerkbar. An einem heißen Ostermontag 2011 präsentierte sich die Innenstadt fast ausgestorben. Zwei Drittel der Tische in den wenigen Restaurants und Cafés, die im Freien zur Verfügung standen, waren unbesetzt, und das Personal langweilte sich ebenso wie die wenigen Gäste. Fahrradgruppen, die ein Plätzchen für die Jause unterwegs suchten, beschlossen angesichts der Tristesse, doch lieber ein paar Kilometer weiter nach Iserlohn zu fahren. Deutlich hörbar verzichtete man auf die Einkehr in Hemer, wo in Armeslänge entfernt von den Tischen mittlerweile wieder der Pkw-Verkehr vorbeifließt. Schließlich haben die zuständigen Instanzen der Stadt – entgegen europaweiten Tendenzen – die Fußgängerzone wieder für den motorisierten Verkehr geöffnet.
Ein hübscher Wasserlauf, der aus dem LGS-Gelände in die Stadt hinein rauscht, blieb weitgehend unbeachtet. Die großen Flächen, die durch die Rinne geteilt werden, befinden sich schließlich auf der Rückseite der Bausünden aus den sechziger und siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, die weite Flächen der Innenstadt von der Öffentlichkeit abschließen. Lediglich ein paar Kinder plantschten in dem flachen Wasser herum.
Auch das Gelände um die Ostenschlah-Straße und das Bahnhofsgelände boten keinerlei Anreiz. Große, leere Flächen, geschlossene Gaststätten und ein paar verlorene Autos auf den Parkplätzen in der unangenehmen Bratfett-Fahne eines amerikanischen Fast-Food-Ladens waren alles andere als Hinweise auf eine Stadt, die von ihrem Prestigekonto nach der Gartenschau leben könnte. Das Bahn-hofsgelände mit seinen intakten, aber ungenutzten Gleisen könnte die Endstation einer im historischen Koma befindlichen Goldgräberstadt sein. Derzeit verkehrt dort kein Zug mehr, der zahlende Gäste nach Hemer bringen könnte. Und wenn es nach dem Willen des vergötterten Bürgermeisters geht, soll dort auch keines dieser umweltfreundlichen Verkehrsmittel mehr halten.
Das ehemalige LGS-Gelände wird heruntergefahren auf den absolut unvermeidbaren Betriebszustand, soweit er notwendig ist, einige wenige Veranstaltungen durchführen zu können. Von einer geregelten Nachnutzung kann derzeit noch keine Rede sein.
Eine unterschwellige Rivalität zwischen Hemer und Menden hat in den vergangenen Monaten einen kleinen Entwicklungsvorsprung für Hemer festgestellt, was zu einer Reihe von spöttischen Kommentaren über den Mendener Bahnhof und die angeblich heruntergekommene Innenstadt um die Vincenzkirche führte. Der heutige Vergleich beider Städte zeigte ein anderes Bild. Die Eiscafés in Menden waren voll, bereits am frühen Nachmittag. Auf den Spielgeräten tobten Kinder herum. Eine Vielzahl von Radtouristen verbrachten die heißestes Stunde im Schatten der blühenden Bäume, von denen ein Regen von rosa Blütenblättern auf das Pflaster niederging.
Wenn es den Menschen in Menden gelingt, den Bahnhof sinnvoll zu entwickeln und die Innenstadt ästhetisch aufzuwerten, dann wird Menden noch lange brauchen, um dort anzukommen, wo Hemer bereits ist: offensichtlich schon recht weit auf dem Weg nach unten.

Autor:

Franz-Josef Knur aus Menden (Sauerland)

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

Folgen Sie diesem Profil als Erste/r

1 Kommentar

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.