Zwangsarbeit
“Ich musste den Faden in den Glühbirnen aufhängen!”

In dem Magazin der großen Tageszeitung lese ich normalerweise nur die letzte Seite, auf der Axel Hacke wöchentlich köstliche Proben seiner unerschöpflichen Phantasie und Sprachgewandtheit ausbreitet. Es sei den, es öffnet sich zufällig eine Seite mit einem interessanten Kochrezept, einem ungewöhnlichen Foto oder einem irren Kunstgegenstand. Jetzt war es ein unscheinbarer Satz, der mich ansprang:
“Ich musste den Faden in den Glühbirnen aufhängen!”
Wenn Sie wie ich gefühlte 100 Jahre kaputte Glühbirnen ausgewechselt haben, wissen Sie sofort, wovon ich rede. Der Wolframfaden, der zittrige Glühfaden, dessen Enden im Schadensfall traurig herunterhängen. Als das Drähtchen noch nicht verboten war, hätte man es auch gerne wieder aufgehängt, wenn das nur möglich gewesen wäre. Matte Birnen, die keinen Einblick gewähren, schüttelte man vor dem Ohr und konnte Fadenteile leise rascheln hören.
Und nun stand da dieser Satz vom Aufhängen. Jetzt las ich doch. Er gehört einer Jüdin, die im Lager Vught bei Herzogenbusch in den Niederlanden als Zwangsarbeiterin für die Firma Philips arbeiten musste. Diese Juden hatten es vergleichsweise gut, wurden aber anschließend trotzdem in Konzentrationslagern in Polen umgebracht. Ruth Bloch hat überlebt und erzählt hier von ihrer Arbeit im Philipsblock in Vught.
Wie die manuelle Fertigung von Glühbirnen insgesamt ablief, erfährt man aber leider nicht, denn hier geht es auch um Wichtigeres, um ein Schicksal. Sie berichtet nur, dass das Aufhängen des Fadens große Geschicklichkeit erforderte. Vielleicht weil er durch den Hals in die Birne eingeführt werden musste?
Jedenfalls ist der intakte Glühfaden das Entscheidende für die Glühbirne und an diesem Faden hing eine Weile auch das Schicksal von Ruth Bloch.

Autor:

Franz Bertram Firla aus Mülheim an der Ruhr

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