Der Anfang vom Ende des Straßenbahnnetzes?

Foto: Nicole Trucksess

Um die Zukunft des Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) geht es in dieser Woche an drei Informations- und Diskussionsveranstaltungen, zu denen die Bezirksbürgermeister Arnold Fessen (BV1), Heike Rechlin-Wrede (BV2) und Gerhard Allzeit (BV3) eingeladen haben.

Die erste Informationsveranstaltung fand bereits Montag, 21. November, in der Aula der Realschule Stadtmitte statt. Neben Arnold Fessen, Bezirksbürgermeister des Bereichs Rechtsruhr-Süd, stellten der städtische Verkehrsplaner Roland Jansen, Martin Schröer vom Amt für Verkehrswesen und Tiefbau, MVG-Angebotsmanager Peter Schwarz und Michael Schaar (MVG) mögliche Varianten einer Liniennetzoptimierung vor.

In einer etwa 20-minütigen Präsentation fasste Jansen die Vorstellungen der Verwaltung und der Mülheimer Verkehrsbetriebe über eine Liniennetzoptimierung für den Straßenbahn- und Busbetrieb zusammen. Der Analyse von Angebot und Nachfrage ging eine Bestandaufnahme voraus, die im September/ Oktober 2008 in Form einer Fahrgasterhebung und -befragung sowie einer repräsentativen Haushaltsumfrage bezüglich des Gesamtverkehrverhaltens stattfand. Ergebnis beider Umfragen, an der mitunter 88,1 Prozent der Fahrgäste teilnahmen und ihren Reiseweg mitteilten (Wo kommen Sie her? Wo fahren Sie hin? Müssen Sie umsteigen?) ist ein im Bundesdurchschnitt liegender Wert, der den ÖV-Anteil am Gesamtverkehr angibt: 17 Prozent. „Damit erreicht Mülheim einen höheren Wert als Essen (16 Prozent) und Duisburg (11 Prozent)“, erklärte Jansen. „Der ÖV-Anteil am Binnenverkehr ist mit 23 Prozent sogar höher!“ Zu den vier wichtigsten Umsteigepunkten zählen die Haltestellen Aktienstraße, Stadtmitte, Heißen Kirche und Hauptbahnhof. Gezählt wurden mehr als 100 Umsteiger pro Tag, am Hauptbahnhof sind es sogar mehr als 500.

Eine detaillierte Überprüfung des Straßenbahnliniennetzes sei erforderlich gewesen, da auf einigen Streckenabschnitten eine zu geringe Nachfrage festzustellen war. „Zur Liniennetzoptimierung für den Straßenbahn- und Busbetrieb haben wir verschiedene Szenarien arrangiert, darunter zum die Fortführung aller Stadtbahnlinien, die Umstellung aller Straßenbahnlinien auf Busbetrieb, die Umstellung der 102, 104 und 110 auf Busbetrieb sowie die Umstellung aller Straßenbahnlinien einzeln auf Busbetrieb“, berichtete Jansen. „Diese Szenarien wurden hinsichtlich ökonomischer und ökologischer Aspekte untersucht sowie städtebauliche Potentiale überprüft.“ Nach der Abschätzung der Wirkungen auf den Fahrstrom und Treibstoff, Personalkosten und Fahrzeugkosten, Instandhaltungskosten Infrastruktur und Umbaukosten sehen Stadtverwaltung und Mülheimer Verkehrsbetriebe Handlungs- beziehungsweise Verbesserungsbedarf auf den Linien 102, 104 und 110. Zudem kam man nach Abschätzung der ökologischen Aspekte zu dem Ergebnis, dass bei der Umstellung von Schienenverkehr auf Busverkehr im Vergleich zum Status Quo mit geringfügig ansteigendem Schadstoffausstoß, etwa gleichbleibenden lärmtechnischen Auswirkungen, etwa gleichem Flächenverbrauch und gleicher Verkehrssicherheit zu rechnen ist.

Roland Jansen machte keinen Hehl daraus, dass man mit der Stadtbahnlinie 110 ein Problem habe. „Der Kosten-Nutzen-Faktor ist bei nur 2000 Fahrgästen am Tag nicht gegeben. Bei der Linie 110 liegt die Fahrgastbelastung pro Tag bei unter 1500, bei der Linie 104 sind es auf dem Streckenabschnitt Hauptfriedhof bis Flughafen sogar unter 1000 Fahrgäste pro Tag!“ Ein Betrieb ließe sich bei einer Linienbelastung in einer solchen Größenordnung nicht rechtfertigen, betonte Jansen. Zu Bedenken seien zudem die hohen Investitionskosten in die Schieneninfrastruktur in den Jahren 2012 (Linie 104), 2013 und 2014 (Linie 110). Um die Verkehrssicherheit der Linien zu erhalten, fielen Kosten in Höhe von 4 Millionen Euro (Linie 104) und 4,3 Millionen Euro (Linie 110) an. „Daher empfehlen wir, die Straßenbahnlinie 110 komplett und die 104 zwischen Hauptfriedhof und Flughafen durch eine Busandienung zu ersetzen.“
Die für die Straßenbahnlinie 110 vorgeschlagene Busbedienung impliziert die Ersetzung der Linie 104 im Abschnitt Hauptfriedhof bis Flughafen sowie die Linie 110 von Hauptfriedhof bis Friesenstraße. Zusätzlich soll die Buslinie auch den Hauptbahnhof und die Moritzstraße (Schloss Styrum) erschließen. Während der Straßenbahnbetrieb der Linie 104 zwischen Hauptfriedhof und Flughafen durch einen Busbetrieb ersetzt werden soll, soll der Linienabschnitt Stadtmitte bis Hauptfriedhof durch die Linie 112 bedient werden. Damit endet die 104 an der Haltestellte Wertgasse.

Keinen grundsätzlichen Handlungsbedarf sieht man für die Straßenbahnlinie 112, denn die Linienbelastungen auf den Streckenabschnitten Heuweg bis Broich Friedhof und Dümpten Friedhof bis Oberdümpten seien für Endäste nicht ungewöhnlich; erklärte Jansen. „Für den Streckenabschnitt Uhlenhorst bis Heuweg sind die Auswirkungen eines Ersatzverkehrs durch Busse geprüft worden, jedoch ließ sich die alternative Andienung verkehrlich und
wirtschaftlich nicht sinnvoll darstellen.“ Mittel- bis langfristig wolle man die Weiterentwicklung des Straßenbahnnetzes Richtung Saarn-Mitte prüfen und die Anbindung an das Saarner Dorf schaffen.

Neben den skizzierten Maßnahmen im Schienennetz stellte Jansen Veränderungen im Busnetz vor. Demnach soll der nördliche Linienast der Linie 151 von der Linie 131 und der östliche Linienast der Linie 132 von der Linie 151 übernommen werden. Die Fahrleistung der Linie 132 wird reduziert und die Umlaufplanung der Linie 124 geringfügig angepasst. Zudem wird der Wechsel vom Tagnetz auf das Nachtnetz von 23:30 Uhr auf 22:30 Uhr um eine Stunde vorgezogen. Ausgenommen werden die U18 und der NE9 (901) nach Duisburg. Seinen Vortrag beendete Jansen, indem er die finanziellen Auswirkungen des ÖPNV-Konzepts zur Linienetzoptimierung thematisierte. „Von 2012 bis 2015 vermeiden wir Ersatzinvestitionen in Höhe von rund 8,3 Millionen Euro.“

Bei den anschließenden Wortbeiträgen der anwesenden Bürger war deutlich herauszuhören, dass die Ersetzung der Straßenbahnlinien 104 und 110 durch Busbetrieb auf wenig Verständnis stößt. „In den vergangenen Jahren wurden viele Maßnahmen getroffen, vielerorts neue Schienen verlegt wie beispielsweise an der Haltstelle Stadtmitte. Waren die Investitionen denn alle für die Katz?“ fragte Johannes Giel und mahnte vor voreiligen Beschlüssen. „Obwohl wir nicht wissen, wie die Zukunft des Flughafens aussieht, können wir nicht ausschließen, dass einmal Bedarf bestehen wird.“ Keine Beachtung im ÖPNV-Konzept fand laut Fahrgastverband Pro Bahn der Hochschulstandort. Die Ansicht, die Linie 110 über den Hauptbahnhof führen zu lassen, sei überdies absurd, denn: „Fahrgäste, die von oder nach Styrum kommen, benutzen nicht den Bus, wenn es mit der S1 doch viel schneller geht.“
Besonders auf dem Herzen lagen den Bürgern die Themen Fahrpläne, Verschmutzung der Straßenbahnen, Verspätungen und Ticketpreise. „Doch die Qualität im ÖPNV“, winkte Roland Jansen ab, „ist ein anderes Thema.“

Autor:

Stephanie Kleebaum aus Oberhausen

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