Zur Situation bei MAN Energy Solutions
Offener Brief an die Belegschaft

Reinhardt Meyer, 23.7.2020

Offener Brief an die Belegschaft zur Situation bei MAN Energy Solutions

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
nachdem ich nun nach fast 40-jähriger Betriebszugehörigkeit ein Jahr im „Ruhestand“ bin, bewegt mich die aktuelle Situation bei MAN-ES doch sehr.

Mit der Ankündigung einer massiven Vernichtung von 560 Arbeitsplätzen in Oberhausen und ca. 4000 im Teilkonzern passiert genau das, wovor ich und andere Kollegen immer wieder gewarnt haben.
Der unter massivem Druck von VW stehende Vorstand wird niemals Ruhe geben. Seine Aufgabe ist es, den Profit zu steigern, der durch den Gewinnabführungsvertrag an VW fließt. Der Gewinn wird im Betrieb erwirtschaftet, also wird dort die Schraube angedreht. Das spürt ihr jeden Tag.

Die Einigkeit und der Zusammenhalt der Belegschaft sind vergleichbar einem Damm, der vor Überschwemmung schützen soll. Zugeständnisse und Verzicht auf erkämpfte Errungenschaften, um vermeintlich „Schlimmeres“ zu verhindern oder Arbeitsplätze zu erhalten, machen Risse in diesen Damm. Die Risse werden größer und größer, der Damm schließlich unbrauchbar.
Erinnern wir uns: Im Zuge der „Strukturanalyse“ 2016 sollten 323 Arbeitsplätze vernichtet werden. Am Ende gab es eine Vereinbarung, durch die zahlreiche Mitarbeiter mit Abfindungen ausgeschieden sind.
Folge: Ein massiver Verlust an Know How der nicht wieder aufgeholt werden konnte.
Ich habe seinerzeit im Auftrag des Betriebsrats den tatsächlichen Personalbedarf untersucht und kam zu dem Schluss, dass nicht Personalabbau, sondern eine Aufstockung in der Fertigung um 50 Mitarbeiter erforderlich ist,.
Beim Engineering ist es nicht anders.
Natürlich hat man das nicht aufgegriffen, mit der Folge, dass die Probleme in der Fertigung und beim Engineering immer größer geworden sind.

Mit ständig neuen Projekten wie Neuorganisierung PrimeServ oder „Basecamp3000“ wurde im Endeffekt nur eines erreicht: Verwirrung, nichts lässt sich mehr zügig abwickeln und Beraterfirmen kassierten gut.

Auf den Mitarbeiterversammlungen der letzten Tage wurde ich namentlich erwähnt, dass ich „gegen die Gasturbine“ gewesen wäre.
Ich war und bin nicht gegen dieses Produkt. Dass es gelang, quasi aus dem Nichts heraus eine leistungsfähige Gasturbine zu entwickeln, ist eine respektable Leistung aller Beteiligten. Dass jedoch ausgehend vom Vorstand und dem damaligen Standortleiter mit dem sogenannten Hochlauf der MGT – Fertigung das Ziel einer Serienfertigung in kürzester Zeit verfolgt wurde, war eine völlige Illusion. Bei den Mitarbeiterversammlungen in PrimeServ wurde von den Berichterstattern so getan, als würde die MGT - Fertigung binnen weniger Jahre das gesamte Bild am Standort hin zu einem Serienproduzenten von Gasturbinen verändern.

Ich habe mich allerdings immer dagegen ausgesprochen, die Gasturbine quasi als „Heilsbringer“ zu sehen, wo eine steigende Zahl von Arbeitsplätzen benötigt würde. Und das bei einem Weltmarktanteil von 0,5 Prozent!
Wer übernimmt die Verantwortung dafür, dass hier zig Millionen Euro verpulvert wurden?
Soll die Belegschaft hierfür jetzt die Zeche zahlen?
Der Betriebsrat soll nun unter hohem Zeitdruck Vorschläge erarbeiten, worauf man „verzichten“ könne, um die vom Vorstand eingeforderten 450 Millionen Euro jedes Jahr einsparen zu können.

Ich habe mehrfach auf Betriebsversammlungen, bei Vertrauensleuten und im Betriebsrat erklärt, dass jeder Verzicht seitens der Belegschaft letztlich dazu führt, dass es geht wie bei Nokia, dem Bergbau oder Opel.
Es gibt keine Alternative zum Kampf um den Erhalt der Arbeitsplätze!
Ich bin fast 50 Jahre Mitglied der IG Metall und kann es nicht nachvollziehen, dass meine Gewerkschaft sofort auf den Zug aufgesprungen ist, mit den Vorständen über Zugeständnisse der Belegschaft zu verhandeln. Von meiner Gewerkschaft erwarte ich, dass sie die Solidarität im Konzern und der ganzen Region organisiert.
Das ist die Lehre aus dem jahrelangen Kampf der Opelaner.

In seiner Erklärung behauptet der Vorstand die Corona – Krise sei das Problem.
Die Wirtschaftskrise wurde nicht durch das Corona – Virus ausgelöst. Die Wirtschaftskrise existierte schon vorher, sie wurde durch das Zusammentreffen mit der Corona-Krise allerdings schlagartig verschärft. Seit August 2018 geht die Industrieproduktion in Deutschland im Vorjahresvergleich absolut zurück. Bereits im Oktober 2019 war sie auf ein Niveau niedriger als 2015 zurückgefallen. Die Industrieaufträge sinken stark, besonders die aus dem Ausland. Seit Juni 2019 sinkt die Industrieproduktion der OECD. Sie umfasst mit ihren 36 Mitgliedsstaaten rund 60 Prozent der Weltwirtschaftsleistung.
Regierung und Medien wollen uns vermitteln, das liege keineswegs am kapitalistischen Wirtschaftssystem, das ja regelmäßig in Krisen gerät, sondern am Coronavirus. Dafür könnte niemand etwas, deshalb müssten jetzt alle zusammenhalten und gemeinsam tätig werden.

Das Hauptproblem ist, dass die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie einer wirtschaftlichen Belebung direkt entgegenstehen – und umgekehrt. Die Corona-Krise und die Weltwirtschafts- und Finanzkrise sind also zweierlei Dinge. Sie können sich in wenigen Monaten jedoch gegenseitig gewaltig hochschaukeln.

Zahlreiche Konzerne kündigen die Vernichtung von Zehntausenden Arbeitsplätzen an. Von den Belegschaften werden Zugeständnisse verlangt.So sollen bei den Ex – Opel Beschäftigten die Betriebsrenten gekürzt werden. Der Vorstand des ZF – Konzerns kündigte an: „Maßnahmen wie Kurzarbeit, Beurlaubungen oder Gehaltsverzicht reichen bei Weitem nicht aus, denn die Krise wird länger dauern …“. Deshalb seien auch betriebsbedingte Kündigungen nicht mehr ausgeschlossen.
Auch VW und MAN schließen betriebsbedingte Kündigungen nicht aus.
Egal, welche Opfer gebracht werden, sie werden keine Ruhe geben.
Was kommt nach den Statoren und kleinen Dampfturbinen nach China und Indien?
Schon jetzt werden Max1- Kompressoren und Dampfturbinen in China gebaut.
Nur für den chinesischen Markt? Wie wollt ihr das aufhalten? Mit Lohnverzicht, längerer Arbeitszeit oder Stundenkonten?
Das ist unmöglich.

Verzicht führt in die Sackgasse, Zum Kampf um jeden Arbeitsplatz gibt es keine Alternative.
Dafür bin ich gerne bereit, jede Unterstützung zu leisten.

Glück auf!
Euer Reinhardt

Autor:

Reinhardt Meyer aus Oberhausen

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