Gebt den Kindern das Kommando …
KINDER AN DIE MACHT?

Meinung von Stephan Leifeld

Luise ist tot. Das 12jährige Mädchen wurde offenbar über einen längeren Zeitraum gemobbt. Nun ist ihr kurzes Leben endgültig zu Ende. Das ist schon unfassbar schlimm. Als Vater von Kindern stelle ich mir im Leben nichts Schlimmeres vor, als ein Kind zu verlieren. Aber es ist offenbar noch weit schlimmer. Zwei weitere Familien sind nun auch öffentlich zerstört. Die Familien der mutmaßlichen Täterinnen. Auch Kinder. Eine 13jährige, die dem Anschein nach diese grausame Tat geplant hat, die Heimtücke und Kaltblütigkeit möglicherweise genug aufbringen konnte, das Opfer zum Tatort zu „locken“ und eine 12jährige zur Mittat zu zwingen. Das wird jedenfalls kommuniziert. Auch soll diese 13jährige noch den Eltern eine falsche Information gegeben haben und um einen Rückruf gebeten, wenn Luise wieder daheim sein würde. Zum gleichen Zeitpunkt erlag das Opfer seinen Verletzungen. In den Medien wird von über 30 Stichverletzungen gesprochen. Am Anfang habe u.a. eine Rivalität im SocialMedia-Kanal „TikTok“ gestanden …

„Die Armeen aus Gummibärchen … Die Panzer aus Marzipan … Kriege werden aufgegessen … Einfacher Plan … Kindlich genial (…)“ KINDER AN DIE MACHT! … Wer kennt dieses Lied denn nicht? Herbert Grönemeyer hat mit diesem Song einen Mega-Hit gelandet. Das ist schon lange her. Zu dieser Zeit sind Kinder auf die Knie gefallen und durften selbst wieder aufstehen. Kinder spielten noch am Tisch, einem Spielbrett, oder draußen auf dem Spielplatz. Smartphones waren nicht unbegrenzt verfügbar. Der Nachwuchs durfte Langeweile spüren, lesen oder Fahrrad fahren.

„Es gibt kein Gut. Es gibt kein Böse … Es gibt kein Schwarz. Es gibt kein Weiß … Es gibt Zahnlücken
Statt zu unterdrücken. Gibt′s Erdbeereis auf Lebenszeit … Immer für' ne Überraschung gut (…)“ KINDER AN DIE MACHT! … 

Schwarz und weiß sind bei den Kindern von heute - auf die Hautfarbe bezogen, zumeist keine Frage. Zahnlücken, Pickel, Sehhilfen, Markenkleidung, Statussymbole hingegen sind so wichtig mittlerweile, die Anzahl der Likes und Follower. Schein statt Sein, hat beim Nachwuchs geradezu kulturelle oder biblische Relevanz gewonnen. Kinder lehnen plötzlich andere Kinder ab, weil Frisur oder Sneaker nicht „Matchen“. Von hinten betrachtet, sehen beispielsweise Tochter 13, Mutter 30 und Oma 46, völlig gleich aus. Dank der Mode… die mit dem richtigen Smartphone kombiniert, die Zuordnung zur Kaste „hip“ oder „loser“ signalisiert.

„(…) Gebt den Kindern das Kommando. Sie berechnen nicht was sie tun… Die Welt gehört in Kinderhände … Dem Trübsinn ein Ende … Wir werden in Grund und Boden gelacht … Kinder an die Macht. (…) 

Genau das ist, was die jungen Eltern aus meiner Sicht die letzten Jahre oft - viel zu oft getan haben. Sie haben ihren Kindern das entzogen, was Maria Montessori als die DREI R bezeichnet hat: Regeln, Rahmen und Rituale. Die Kinder haben in vielen Familien „das Kommando“. Damit meine ich nicht den 13jährigen Mohammed, der direkt nach dem muslimischen Vater, seinen Platz noch über bzw. vor der Mutter hat. Das ist in aufgeklärten Gesellschaften klar, dass das falsch ist. Ich meine die Eltern der sogenannten „Kevins und Chantals“, die natürlich auch „Simon-Niklas-Balduin“ heißen könnten… Manche Eltern haben ihre Kinder irgendwann zwischen Zeugung und Kindergarten bereits aufgegeben. Das Kommando sozusagen übertragen. Fernbedienung, Smartphone, Auswahl der Speisen, Unlust, Lernunwilligkeit, Auswahl der Kleidung, Zugang zu Rauschmitteln - inklusive Medien-Sucht. 

Herbie hatte aber gewarnt. „Sie berechnen nicht, was sie tun“ - hat er gesungen. Kinder, die ihre kognitiven Kompetenzen erst um das Alter von neun oder zehn Jahren soweit entwickelt haben, dass sie abstrakt denken können, werden aus meiner Sicht heute massenhaft von Eltern und Gesellschaft überfordert und gleichzeitig vernachlässigt. Das macht roh!

„Luise“ ist heutzutage überall. Auch in Dorsten, in München, Wunstdorf/Hannover, Freudenberg oder irgendwo anders auf der Welt. Jeden Tag.

„Sie sind die wahren Anarchisten … Lieben das Chaos, räumen ab … Kennen keine Rechte, keine Pflichten … Noch ungebeugte Kraft … Massenhaft ungestümer Stolz (…)“ hat der Song uns seinerzeit aufgeklärt, über die romantische Gedankenwelt des Bochumer Barden. Chaos und Anarchie, hat Grönemeyer sicher anders gemeint, als Sodom und Gomorrha. Da bin ich gedanklich ebenfalls bei ihm, hatte ich ja meine Sturm- und Drangzeit in den 80er Jahren… 

Jedoch beginnt das große Problem, wenn heranwachsende Generationen einerseits „keine Rechte und keine Pflichten kennen“, quasi ohne Moral und Benimmregeln - wie wilde Tiere, ihre Fressnäpfe morgens mit Cornflakes und Cerealien, mittags mit Pommes und abends mit Chips und Maisbällchen aufgefüllt bekommen. Abstraktes Denken funktioniert nämlich nur bewusst. Kenne ich Grenzen, kann ich über diese hinausdenken. Habe ich keine Grenzen, entsteht womöglich auch kein Gefühl für die Grenzen meiner Mitmenschen. Dann kann ich Leben zerstören durch Mobbing, sexualisierte Gewalt oder gar - durch heimtückischen Mord. Ohne Skrupel. Wie ein Psychopath!

„Kinder an die Macht“ ist deshalb niemals mein Motto gewesen. Ich bin 67er, kein 68er, sage ich seit Jahrzehnten mit Stolz. Nicht ungestüm, sondern bewusst in dem Andenken an Großeltern, Eltern, Lehrer, Meister und Mentoren. 

Unsere Gesellschaft muss keine Verschärfung beim Strafrecht haben. Deutschland braucht keine Beteiligung an dem Krieg am Donbass. Es braucht keine Diskussion mehr über die tragischen Folgen der Impfschäden - weil derartige Themen nur Industrie und Boulevard-Zeitungen bereichern. Es braucht keinen Hass auf die sogenannten Klima-Aktivisten. 

Was wir brauchen ist eine klare Sicht der Dinge. Und Liebe und Bildung brauchen wir auch.

Nehmen wir zur Kenntnis: Luise ist bereits in diesem Jahr das bekanntgewordene ZWEITE OPFER, welches ihr Leben durch ein gleichaltriges Kind beendet bekam. Im Februar war es ein 14jähriger, der einen anderen 14jährigen mit einem Stein erschlagen hat. Wie Kain und Abel.

Seit über zwanzig Jahren bin ich an Schulen unterwegs mit einem Konzept für handlungsorientierte Gewaltprävention. An jeder Schule frage ich immer wieder die Eltern, ob sie Kinder haben, weil die Machart so schön ist. An vielen Schulen habe ich die „richtigen“ Eltern erst garnicht fragen können. Der Elternabend ist nicht so wichtig, wie Championsleague oder GNTM. Ich sage schon seit Jahren, Mädchen sind subtiler in der Ausübung von Gewalt. Jungs sind eher spontane Täter… 

Trotzdem ich beruflich mit diesem Thema also schon seit Jahren befasst bin, bin ich bestürzt. Mein echtes Mitgefühl gilt den Eltern von Luise, aber auch allen anderen Eltern von Kindern auf dieser Welt. Mit 13 ist kein Kind erwachsen. Eltern sollten ein Leben lang Eltern bleiben. So wie meine. Ich bin 55, aber immer noch das Kind von meinen Lebensstiftern, deren Nachnamen ich trage. 

Das wäre mir lieber: Freiheit, Liebe und Frustrationstoleranz gleichermaßen. Das sollten wir unseren Kindern geben. Keine Macht. Macht nix!

(Den neuen Song von Grönemeyer finde ich übrigens gut ;-)

Autor:

Stephan Leifeld aus Schermbeck

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