Buchtipp der Woche: Drohung mit dem Tod

Annette Pehnt: Chronik der Nähe. Roman. Piper Verlag, München 2012, 215 Seiten, 17,99 Euro

Die in Freiburg lebende Schriftstellerin Annette Pehnt hat sich in den letzten Jahren als vorzüglich beobachtende, problemorientierte Chronistin der Alltagskonflikte etabliert.Nach ihren leicht surrealistisch gefärbten Romanen „Ich muss los“ (2001) und „Insel 34“ (2003) widmete sich die 45-jährige Autorin handfesten Sujets mit sozialem Sprengstoff.

2006 befasste sie sich im „Haus der Schildkröten“ mit dem Pflegenotstand in Altersheimen, mit Demenz und den daraus resultierenden Problemen für die Angehörigen, ein Jahr später ging es in „Mobbing“ um den Verlust des Arbeitsplatzes und die weitreichenden Folgen für die Familie. In Pehnts fünften Roman stehen nun drei Frauen im Mittelpunkt: Tochter, Mutter und Großmutter. Hinter dem Romantitel „Chronik der Nähe“ verbirgt sich eine gehörige Portion Ironie, denn wirkliche emotionale Nähe existiert zwischen den drei Frauen nicht.
Erzählt wird das Gros der Handlung aus der Sicht der Tochter, einer inzwischen verheirateten Frau und Mutter von zwei Kindern, die am Krankenbett ihrer Mutter Anne sitzt und in einem reflexiven Monolog die Familiengeschichte zu rekonstruieren versucht.
Männer spielen in diesem Drei-Generationen-Panorama nur eine marginale Rolle als seltsam passive Funktionsträger in den Beziehungsgeflechten zu den handelnden weiblichen Figuren. Die auf die weibliche Perspektive fokussierte Erzählweise von Annette Pehnt ist zwar gewöhnungsbedürftig, wirkt aber absolut authentisch. Die Ich-Erzählerin ist ihrer im Sterben liegenden Mutter zwar räumlich nahe, aber alle Versuche, die Gefühle füreinander zu ordnen, sind ziemlich kläglich gescheitert. „Das sind doch nur alte Geschichten, jetzt bohr doch nicht immer so“, hatte Anne einst ihrer Tochter vorgeworfen.
Die Grenzen zwischen den Generationen scheinen irgendwann zu verschwimmen. Verhaltensmuster vererben sich, die Töchter fühlen sich von den Müttern unverstanden, die Mütter ihrerseits beklagen mit großem verbalen Gepolter die fehlende Dankbarkeit der Nachgeborenen. Die drei Frauen verbindet ein latenter Kampf um Liebe und Zuneigung und die unausgesprochene Sehnsucht nach totaler Vereinnahmung der nächsten Bezugsperson. Die in der Klinik weilende, vaterlos aufgewachsene Anne litt zeitlebens unter ihrer dominanten Mutter, die wie eine Über-Figur in der entbehrungsreichen Nachkriegszeit alles allein gemanagt hat, Disziplin und Gehorsam einforderte und offenbar für Gefühlsregungen überhaupt keine Zeit hatte.
Das gegenseitige Misstrauen und die gefühlte Vernachlässigung nimmt teilweise sogar komische Züge an. Anne hat sich in ihrer Rolle als Mutter der Ich-Erzählerin sieben Minuten Mittagsschlaf täglich gegönnt, die Tochter hat sie dabei allerdings streng observiert und ihr häufig Faulheit attestiert. Am Ende wird sogar die vierte Generation miteinbezogen. Anne fühlte sich außerstande, ihr weinendes Enkelkind in den Arm zu nehmen und es zu trösten. So wie sie einst nicht in der Lage war, dies bei ihrer eigenen Tochter zu tun.
Über die Generationsgrenzen hinweg werden mit den furchtbaren Todesdrohungen der Mütter schreckliche Ängste ausgelöst. Anne musste sich als Kind und Teenager einst damit auseinandersetzen, und die Ich-Erzählerin befindet mit seufzendem Unterton: „Und jetzt bedrohst du mich mit dem Tod.“ Alles scheint sich hier zu wiederholen, die Drohgebärden gewinnen dabei geradezu rituellen, abstrafenden Charakter, und die ausgeprägte Egozentrik der drei Frauen ist der entscheidende Störfaktor.
Annette Pehnt (Foto) hat keine literarische Klageschrift vorgelegt und eine spürbare Parteinahme für eine ihrer Figuren tunlichst vermieden. Es ist der kühle, sezierende Blick der Autorin, ihr ambitionierter Versuch, generationsübergreifende Neutralität zu vermitteln, der diesen Roman aus der großen Schar jüngst erschienener Familienromane abhebt. Annette Pehnts „Chronik der Nähe“ handelt von großen Emotionen, ohne die blumigen Sphären des Kitsches auch nur zu streifen. Eigentlich ist es eine Chronik der Distanz, ein verstörendes Familienpanorama, das geprägt ist von turmhohen zwischenmenschlichen Barrikaden.

Anrufen und gewinnen

Wir verlosen 3 Exemplare dieses Buches. Wer sich dafür interessiert, rufe zwischen Samstag (7.April ) 10 Uhr und Sonntag (8. April) 22 Uhr unsere Gewinnhotline (01379/220009) an. Nennen sie uns dann die Autorin des oben vorgestellten Buches. Der Anruf kostet 50 Cent/Minute aus dem dt. Festnetz. Mobilfunk-Anrufe können teurer sein.
Die Gewinner werden von uns am Dienstag (10. April) telefonisch benachrichtigt und können dann das Buch in unserer Geschäftsstelle abholen.

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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