Die Erkenntnis meiner Dummheit

Zum 50. Todestag des österreichischen Schriftstellers Heimito von Doderer am 23. Dezember 

"Mein eigentliches Werk besteht, allen Ernstes, nicht aus Prosa oder Vers: sondern in der Erkenntnis meiner Dummheit", hatte Heimito von Doderer in seinen autobiografischen Aufzeichnungen notiert. An Leben und Werk des österreichischen Schriftstellers scheiden sich noch immer die Geister. Für den angesehenen Germanisten und langjährigen FAZ-Autor Peter Demetz war von Doderers Hauptwerk "Die Dämonen" ein wichtiger Beitrag zur Weltliteratur, andere Kritiker sahen in ihm einen hoffnungslos konservativen Zeitgenossen mit politisch suspekter Vergangenheit.

Am 5. September 1896 wurde Franz Carl Heimito Ritter von Doderer als Sohn eines wohlhabenden Architekten in der Nähe von Wien geboren. Der promovierte Historiker, der Ende der 1920er Jahre durch den Maler-Poeten Albert Paris Gütersloh, mit dem er sich einige Zeit ein Atelier geteilt hatte, zur Literatur fand, nahm an beiden Weltkriegen teil. Die Männerfreundschaften von der Front haben bei Doderer die Neigung zur Bisexualität hinterlassen, ein Phänomen, mit dem er sich auch literarisch auseinandersetzte. 1933 trat der Schriftsteller in die NSDAP ein, nahm später als Luftwaffenoffizier am Zweiten Weltkrieg teil und geriet in Norwegen in Kriegsgefangenschaft.  
Im Mai 1946 war Doderer wieder nach Wien gezogen. Dort bemühte er sich - mit Hilfe von Freunden - als "minderbelastet" eingestuft zu werden. Vor allem die Schriftstellerkollegin Hilde Spiel und der einflussreiche Kritiker Hans Weigel setzten sich vehement für Doderer ein. Seine literarisch wichtigen Werke publizierte der Autor erst lange nach Kriegsende.
In seinem Hauptwerk "Die Dämonen" (1956/ das Gesamtwerk liegt im C.H. Beck Verlag vor) spiegelt Doderer, wenn auch leicht verschleiert, in der Figur des René Stangeler seine eigene Vita wider. Es geht um die politische Verführbarkeit unbedarfter Bürger Ende der 1920er Jahre. Mit Hilfe der gleichen Kunstfigur hatte Doderer bereits fünf Jahre zuvor in seinem meistverkauften Roman "Die Strudlhofstiege" (heute ist das aus der Jahrhundertwende stammende Brückenbauwerk ein beliebter Wallfahrtsort für Doderer-Jünger) nicht nur ein eindrucksvolles Wiener Panorama geschaffen, sondern überdies auch seinen eigenen lasterhaften Lebenswandel portraitiert, über den außerdem die Tagebücher seiner langjährigen Geliebten und Autorenkollegin Dorothea Zeemann Auskunft geben.

"»Der Tod steht am Rand"
Noch in seinen beiden Spätwerken "Die Merowinger" (1962) und "Die Wasserfälle von Slunj" (1963) fuhr Heimito von Doderer weiter auf seinem eingefahrenen literarischen Gleis: Stets rückwärtsgewandt sind alle seine Romane, immer schwebt ein gewisser nostalgischer Schleier, eine Neigung zur historischen "Schönschreibung" über den Zeilen, vermengt mit einem depressiven Grundtenor, den Doderer, so ein Selbstzeugnis, von seinem literarischen Ahnherrn Nikolaus Lenau geerbt haben will oder der seinem starken Alkoholkonsum geschuldet war. »Der Tod steht am Rande unseres Lebens und blickt in dieses hinein. Er umrandet unsere Existenz", notierte Doderer gut zwei Jahre vor seinem Tod in seinem Tagebuch.
Dabei präsentiert sich Doderer, der am 23. Dezember 1966 an einem Krebsleiden in Wien gestorben ist, als der österreichischste aller Dichter unseres Jahrhunderts. Er übertraf Joseph Roth in seinen überschwenglichen Hymnen auf Wien, er setzte die Freudschen Erkenntnisse - dank seiner eigenen Lebenserfahrungen (zwei gescheiterte Ehen und zahllose Liebschaften) - prägnanter in seinen Werken um, als es Arthur Schnitzler vermochte, und war für das breite Lesepublikum einfacher zu "konsumieren" als Robert Musil.
"Schön gelebtes, erinnertes Leben ist die einzige Möglichkeit, Wirklichkeit nicht ideologisch wahrzunehmen", notierte Heimito von Doderer, der sich die Goethesche-Forderung nach "Wein, Weib und Gesang" offenkundig zur Lebensmaxime auserkoren hatte. Noch immer äußerst lesenswert ist die umfangreiche Biographie über den Dichter und Lebenskünstler, Grenzgänger und Dämon Heimito von Doderer aus der Feder seines langjährigen Privatsekretärs Wolfgang Fleischer. In diesem Herbst ist anlässlich des 50. Todestages im Verlag C.H. Beck eine vierbändige Sonderausgabe mit den Romanen "Die Strudlhofstiege", "Die Merowinger oder Die totale Familie", "Ein Mord, den jeder begeht" und "Die Wasserfälle von Slunj" erschienen. Die Gelegenheit um einen begnadeten Erzähler, zwiegespaltenen Zeitgenossen und heftig umstrittenen Wiener Intellektuellen (wieder) zu entdecken.

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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