Terézia Mora: „Muna oder Die Hälfte des Lebens"
Walnussbaum in der Nacht

„Wenn ich jetzt versuchen würde, von außen meine Werke zu betrachten, so tauchen doch immer und immer wieder diese bedrängten und ohnmächtigen und suchenden und traurigen Figuren auf, weil es offensichtlich das ist, was ich am besten verstehe von den Phänomenen der Welt“, hatte Terézia Mora vor vier Jahren ihre überaus erfolgreichen Romane selbst zu erklären versucht. Als sie 2018 mit dem Georg-Büchner-Preis quasi den literarische Ritterschlag bekam, lobte die Darmstädter Jury: „Schonungslos nimmt sie die Verlorenheit von Großstadtnomaden in den Blick und lotet die Abgründe innerer und äußerer Fremdheit aus.“

Und all dies trifft völlig uneingeschränkt auch auf den neuen Roman der gebürtigen Ungarin und Wahlberlinerin Terézia Mora zu. Vielleicht sogar noch fokussierter im Blick auf ihre „taumelnde“ Hauptfigur und mit noch tieferem, sezierenden Blick ins Innenleben.
Es ist eine ellenlange Erfolgsgeschichte, die Terézia Mora mit ihren alles andere als mainstream-konformen Romanen geschrieben hat. 1999 war sie als völlig unbekannte Autorin für eine Erzählung, die später im Rahmen des (ebenfalls preisgekrönten) Erzählbandes "Seltsame Materie" erschien, mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet worden,
Der neue Roman beleuchtet eine über 20 Jahre währende Beziehungstragödie – zwischen der Protagonistin und Ich-Erzählerin Muna Appelius und ihrem vergötterten Geliebten Magnus Otto, passionierter Fotograf und Lehrer. Muna Appelius wächst in einer Kleinstadt in der DDR auf, macht dort 1989 (trotz komplizierter familiärer Verhältnisse) tadellos ihr Abitur und glaubt an die große Liebe – eben jenen Magnus. Munas Mutter ist Schauspielerin und dem Alkohol verfallen, der Vater schon vor Jahren gestorben. Eine Woche nach Munas achtzehntem Geburtstag versucht die Mutter, sich mit Tabletten und Alkohol das Leben zu nehmen.
Muna will nur raus aus dem Kleinstadtmief, träumt von einem Job als Journalistin, entscheidet sich dann aber für ein sprachwissenschaftliches Studium. So weit, so gut und vor allem sehr tapfer und selbstbewusst.
Aber es entsteht rasch eine schmerzhafte Leerstelle im Leben der Hauptfigur. Magnus' Spur verliert sich auf einer Radtour in Ungarn. Er ist (wie sich später heraus stellt) in den Westen übergesiedelt.
Wir erleben ein ständiges Auf und Ab der Gefühle, ein Pendeln zwischen Trauer über das Verlassensein und der unstillbaren Hoffnung auf ein Wiedersehen. Sieben Jahre muss Muna warten, ehe sie ihre große Liebe Magnus (zufällig) bei einer Theateraufführung in Berlin wieder sieht. Sie war zwischendurch zu Studienzwecken in Wien und London und hat ihr Studium mit einer Dissertation über "Die stille und geheime Selbstvergewisserung bürgerlicher Frauen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts“ erfolgreich abgeschlossen.
Mona und Magnus („ ein Walnussbaum in der Nacht“) ziehen zusammen, leben aber immer wieder auch an unterschiedlichen Orten, dem Konkurrenzkampf in ihren Jobs geschuldet.
Schon bald kriselt es gewaltig - Beziehungsstress, Streitigkeiten über Gott und die Welt, Alkohol, Handgreiflichkeiten. Ein Krisenszenario, wie es schlimmer kaum sein könnte. Mona sieht sich allerdings nicht als Opfer, sondern als Schuldige, als Auslöser des Streits. Geradezu obsessiv klammert sie sich verklärend lange Zeit an Magnus, "der schönste Mann, den ich je im Leben sehen würde." Magnus wehrt sich mit lapidaren Worten: „Du solltest dich nicht immer so in Dinge hineinsteigern.
Mona flüchtet ins Schreiben. Es gibt viele unabgeschickte Briefe, in denen sie ihr tiefstes Innere nach außen krempelt. Eine verletzte Frau, auf der Suche nach sich selbst. Sie beginnt dann kurze Texte zu schreiben, verdichtet Traumsequenzen zu Erzählungen. Mit einer Freundin eröffnet sie einen Buchladen und findet einen Verlag für ihr Buch.
Monas Texte sind Instrumente der Selbsttherapie, schreiben als Akt der Befreiung, als Bewältigung der großen Lebensenttäuschung. Terézia Mora hat einmal mehr eindrucksvoll unterstrichen, dass sie als herausragende literarische Seelenvermesserin einen Sonderplatz in der zeitgenössischen deutschsprachigen Gegenwartsliteratur einnimmt.
Und am Ende gibt es sogar einen Hoffnungsschimmer, wenn Muna bekennt: „Ich habe die Hälfte meines Lebens noch vor mir. Im statistischen Mittel“.

Terézia Mora: Muna oder die Hälfte des Lebens. Roman. Luchterhand Verlag, München 2023, 441 Seiten, 25 Euro

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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