„Am siebten Tag flog ich zurück“ - der neue Roman von Georg-Büchner-Preisträger Arnold Stadler
Zwischen Harlekin und Märtyrer

„Auch wenn Verzweiflung über die Vergänglichkeit bei Stadler in noch so grotesk übermütiger Drapierung daherkommt und Passion von Posse manchmal kaum zu unterscheiden ist, stehen Stadlers Bücher in gänzlichem Gegensatz zur herrschenden hedonistisch-heidnischen Spaßkultur“, hieß es 1999 in der Jury-Begründung, als Arnold Stadler der Georg-Büchner-Preis verliehen wurde.

Er ist weder als Vielschreiber noch als dem Zeitgeist nach hechelnder Autor bekannt worden. Im Gegenteil – die Romane des 67-jährigen Autors haben sich immer quer zum literarischen Mainstream gestellt, waren nie Lektüre für zwischendurch, sondern gehörten in die Kategorie schwer verdauliche Kost. "Es war alles einen Tick verrückt bei mir", bekannte Stadlers Hauptfigur aus dem Roman "Sehnsucht" (2002) durchaus charakteristisch für das Gesamtwerk.
Im Mittelpunkt seines neuen Romans steht ein Schriftsteller, der im Auftrag einer großen Wochenzeitung einen Reisebericht über einen Sehnsuchtsort seiner Wahl schreiben soll. Der namenlose Protagonist, der uns als Ich-Erzähler durch die Handlung führt, erinnert keinesfalls zufällig an seinen geistigen Schöpfer. Höchst assoziativ und auf alternierenden Zeitebenen breitet Stadler sein erzählerisches Konvolut aus. Dass die Reise zum Kilimandscharo führt, war alles andere als Zufall, denn das Ölbild „Kibo mit Palme“ des Stuttgarter Malers Fritz Lang, das in der Wohnung des Großvaters in Rast bei Meßkirch hing und den Gipfel des Berges zeigte, hat ihn seit Kindertagen fasziniert und ein nur diffus beschriebenes Fernwehr ausgelöst.
„So ehrgeizig war ich nicht, überall oben gewesen sein zu wollen wie ein Extrembergsteiger. Sehen genügte mir meist, die Wunder auf der anderen Seite meiner Augen.“ Der Blick aus gebührender Distanz reichte der Hauptfigur aus, die Inaugenscheinnahme des Berggipfels, der bis 1918 „Kaiser-Wilhelm-Spitze hieß“. Viel Zeit zum Müßiggang blieb ohnehin nicht. Safari, Museumsbesuch, kurzes Relaxen am Pool – Tansania im Sprinttempo. Hier war alles durchgetaktet, ganz im Gegensatz zum im letzten Jahr erschienenen Roman „Das kann uns keiner nehmen“, in dem der gleichaltrige Matthias Politycki von den körperlichen Strapazen am Kilimandscharo erzählte.
Arnold Stadler betreibt in diesem Buch lustvoll die Selbstinszenierung eines Dichters, der auf einem schmalen Grat zwischen Harlekin und Märtyrer wandelt. Es ist ein Roman über Absichten, über Träume, übers Aufbrechen und Zurückkommen. So wie der tief in seiner Heimat um Meßkirch verwurzelte Stadler nie wirklich einen Heimatroman geschrieben hat, so hat er nun auch keinen Reiseroman geschrieben. Es geht um das Dazwischen, zwischen Heimat und Fernweh, zwischen Herkunft und Sehnsucht.
Und auch im Tonfall changiert dieses Buch absichtsvoll zwischen tiefsinnigen Reflexionen über die Kolonialpolitik des Kaiserreichs in Ostafrika und humoristischen Petitessen um den Smoking des Protagonisten, der im Reisegepäck den Weg von Oberschwaben, über Tansania nach Bremen nahm, weil dort direkt im Anschluss an den Kilimandscharo-Trip ein gesellschaftliches Event anstand.
„Ich wusste nun für immer, dass die Sehnsucht nach diesem Berg, die solange meine Zukunft war, nun in der Erinnerung mein Heimweh würde.“ Ein profunder Satz, an dem der ebenfalls im oberschwäbischen Meßkirch geborene Philosoph Martin Heidegger wahrscheinlich seine Freude gehabt hätte.
Arnold Stadler hat wieder einmal einen aufregenden und völlig disparaten Roman vorgelegt, der den Leser gleichermaßen irritiert wie inspiriert zurück lässt. Ein Buch für Liebhaber des Um-die-Ecke-Denkens.

Arnold Stadler: Am siebten Tag flog ich zurück. Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt 2021, 239 Seiten, 23 Euro

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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