Glossierte Betrachtung der Feierlichkeiten zum 60-Jährigen des Weseler Stadttheaters
Wo man sich duzt, da ist man zuhaus' - im Bühnenhaus. Eine nach(odervor)namensfreie Bestandsaufnahme.

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Als Gast einer 60-jährigen Geburtstagsfeier duzt man sich. Klar, man kennt sich doch schon so lange. Alle lächeln und reden angeregt miteinander. Auch, wenn das Programm der Veranstaltung nicht unbedingt den Neigungen aller Anwesenden entspricht. Der Anlass tut es - und das reicht allemale!
Der Paul ist da, die Renate, die Ulrike mit ihrem Helmut, der Werner (der hier früher nach dem Rechten sah), die Claudia von der VHS und der Wolfgang von der Bücherei, der Franz und der Ulrich, die Dagmar und der Norbert - und hach, man kann sie gar nicht alle aufzählen.
Es sind einfach zu viele.

Kein Mensch hat heute Geburtstag, es ist ein Haus. Das Bühnenhaus! Sein Leiter begrüßt die Schar der Gäste als Erster. Er sagt, man wisse nicht so genau, ob 60 Jahre alt oder jung sei. Er selber werde auch bald Sechzig, fühle sich aber jung. Seit 18 Jahren sei er hier der Chefkümmerer. Und froh, die Geschicke des Hauses mitgestalten zu dürfen.

Deren Anfänge schildert die Ulrike. Sie lobt den Erbauer des Hauses, der in Rekordzeit agiert habe. Seltsam nur, dass niemand den Vornamen dieses involvierten Architekten (Herrn Apitz) zu kennen scheint - selbst google nicht! Egal.

Rühmend erwähnt wird auch der damalige Stadtdirekor, der vor 60 Jahren die Finanzierung des Theaters sicherte. Weil er so schlau war, Schul- und Kulturgelder aus den Wirtschafts-Fördertöpfen zu beantragen. Der Kniff dabei: Das Theater sollte zugleich als Aula des Mädchen Gymnasiums genutzt werden. Tricky Charly, dieser Reuber. ^^

Einer der Festredner ist Christian. Er ist Präsident der INTHEGA - der Interessengemeinschaft der Städte mit Gastspielhäusern. Er lobt den Paul und die Stadt Wesel. Das tut er glaubwürdig und man bekommt eine Ahnung davon, warum sich hier alle so gut verstehen. Kultur verbindet, das betonen die Geburtstagsfeierer. Sie habe Anerkennung und Bestandssicherung verdient. 

Und was wäre ein Fest zum 60-Jährigen ohne Musik? Richtig: nix! Deshalb sitzt das halbe Hundert Frauen und Männer in Schwarz auf der Bühne und wartet brav die Reden ab. Dann kommen ihre Instrumente zum Einsatz und kredenzen den Zuhörern Melodien von Schostakowitsch, Copland und Beethoven.

Im Mittelteil trägt der August in gar feiner Betonung (er ist Schauspieler) und in Englisch vor: "Fellow citizens, we cannot escape history!" Große Politik im kleinen Stadttheater. "Nur" zitiert, dennoch wirkungsvoll. Was wohl der Trump dazu sagen würde. Oder der Erdogan? Ach nein, fragen wir lieber nicht danach.

Nachdem das notenschwangere Gazétuch des Orchesters auf die Bühnenbretter gesunken ist und die Renate den Stargästen warmen Dank und Wein in Musikvereinstüten überreicht, senkt sich auch das Ende der Geburtstagsparty übers Haus. Glückliche Duzer verabschieden sich voneinander und wissen spätestens jetzt: hier hat die Bühne ein Haus. Mit Gastspielen aller Art, bezahlbar und facettenreich - mal mehr, mal weniger politisch.

Sie haben jetzt relativ wenig verstanden von dem, was Sie gerade gelesen haben? Das könnte daran liegen, dass Sie in den vergangenen 60 (oder weniger) Jahren relativ selten im Weseler Bühnenhaus waren. Das sollten Sie demnächst mal ändern!

Renate Brützel übergibt August Zirner das Musikvereins-Geschenk. | Foto: Ibo
Autor:

Dirk Bohlen aus Hamminkeln

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