Eine Reaktion auf den Leserbrief zur "mangelnden Förderung" an der Bönninghardt-Schule
"Erfahrung zeigt, dass alle an dem Prozess beteiligten Personen zu leiden haben"

Als Antwort auf einen Leserbrief vom 7. November (Verfasserin Ulrike Albrecht aus Rheinberg) schreibt Eckart Noschinski an unsere Redaktion: 

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich möchte Sie bitten, den folgenden Text als Reaktion auf den Leserbrief „Von Inklusion, Förderung und (mangelnder) Empathie: Kritik an der Bönnighardt-Schule“ (...)  abzudrucken.

Als Sonderpädagoge, der seit mehr als dreißig Jahren an der Bönninghardt-Schule tätig ist, habe ich lange überlegt, ob es angebracht und sinnvoll ist, auf den Leserbrief (...) zu reagieren.
Ich bin für mich zu dem Schluss gekommen, dass es angebracht ist.

Angebracht nicht wegen der von der Mutter gegen Schulleitung und -auf­sicht erhobenen Vor­würfe. Zu deren Berechtigung kann ich nichts sagen, schließlich habe ich an den Be­sprechungen nicht teilgenommen. Allerdings, dass muss ich offen zugeben, reicht meine Vorstellungskraft nicht dafür aus, mir vorzustellen, dass Ver­sprechungen ge­macht wor­den sein könnten wie die, dass die Förderung so gut sei, „dass der Start in den Wunschberuf kein Pro­blem sei“.
Angebracht aber, weil sich in diesen Ausführungen der Leserbriefschreiberin für mich eine große, nicht zu überbrückende Kluft zwischen Wunsch­vorstellung einerseits und Realität andererseits auftut.

Jeder Schüler bringt seine ganz individuellen Voraussetzungen mit, auf die an einer För­der­schule für Geistige Entwicklung in einem Maße eingegangen wird, wie es an keiner anderen Schulform möglich ist. Die Realisation individueller Förderung ist zentraler Be­standteil des pädagogischen Selbstverständnisses jeder Förderschule GG, auch und ge­ra­de der Bönninghardt-Schule.
Natürlich gibt es Grenzen der Fördermöglichkeiten, die im System Schule begründet sind z.B. durch die räumliche, personelle, sachliche und finanzielle Ausstattung - das wird niemand, der in Schule arbeitet, ernsthaft abstreiten können oder wollen.

Ebenso klar gibt es aber auch Grenzen, die in der Person des einzelnen Schülers zu fin­den sind und die auch durch intensivste (sonder-) pädagogische Förderung nicht völlig über­wunden oder beliebig verschoben werden können, unabhängig davon, ob die För­derung integrativ, inklusiv oder klassisch segregrativ in der Förderschule erfolgt!

Dies als Eltern eines behinderten Kindes erfahren und erleben zu müssen, ist extrem be­lastend und manches mal kaum zu ertragen. Als jüngerer Bruder eines schwerst geistigbehinderten Menschen habe ich hier meine ganz persönliche Erfahrungen gemacht und sehe mich durchaus in der Lage, mich in die Situation betroffener Familien hinein zu ver­setzen.

Mein größter Respekt gilt allen Müttern und Vätern, die sich von ihrem Schicksal nicht un­ter­kriegen lassen und die sich mit aller Kraft für das Wohl ihres Kindes einsetzen! Pro­blematisch und tragisch wird es dann, wenn die trotz jahrelanger Förderung bestehenden Ein­schrän­kungen nicht akzeptiert werden können und der Sinn für die Realität ver­loren zu gehen droht. Die Erfahrung zeigt, dass in einer solchen Situation alle an dem Prozess beteiligten Personen zu leiden haben - nicht zu­letzt in besonderem Maße der behinderte junge Mensch, um dessen Wohl es doch vorgeblich geht und der damit fertig werden muss, dass er den in ihn gesetzten Erwartungen in keiner Weise gerecht werden kann.

PS: Ich hege die Befürchtung, dass weder der Berufswunsch „Koch“ noch alternativ „Tierpfleger“ in Erfüllung gehen wird. Und der Grund wird mit Sicherheit nicht sein, dass keine engagierte und individuell angemessene Förderung statt­gefunden hätte.

Eckart Noschinski
Sonderschullehrer an der Bönnighardt-Schule

Autor:

Lokalkompass Kreis Wesel aus Wesel

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