Gefängnisstrafe für verbotenes Viehhüten
Bürger in Wetter wurden aus Not straffällig

In der Ruhraue bei Herdecke geweidete Kühe, Aufnahme Anfang der 1930er Jahre. 
Foto: Privatarchiv G. E. Sollbach, Herdecke
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  • In der Ruhraue bei Herdecke geweidete Kühe, Aufnahme Anfang der 1930er Jahre.
    Foto: Privatarchiv G. E. Sollbach, Herdecke
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Gerhard E. Sollbach

In den Kleinstädten wie Herdecke und Wetter gab es Viehhaltung teilweise noch bis in das vorige Jahrhundert hinein. Zuletzt war es aber vorwiegend nur noch Feder- und anderes Kleinvieh wie Ziegen, Schafe und Schweine. In Herdecke zum Beispiel hielten einige wenige Familien noch in den 1930er Jahren auch Milchkühe.

Diese wurden auf angepachteten Flächen des städtischen Bleichsteingeländes an der Ruhr geweidet. In der vorindustriellen Epoche diente das Halten von Milchkühen vielen kleinen Handwerker-, Lohnarbeiter- und Tagelöhner-Familien auch in Wetter zur notwendigen Ergänzung oder vielmehr Sicherung ihres Lebensunterhalt. Diese große Masse der ärmeren Bevölkerung konnte sich zumeist aber nur eine Kuh leisten - und damit hatten die Menschen ein Problem: Sie besaßen nämlich zumeist keinen Weidegrund und mussten daher ihre Kühe an den Wegen und zwischen den Gärten und Feldern der Bewohner weiden. Dabei haben sie - ob absichtlich oder unbeabsichtigt - ihr hungriges Vieh aber immer wieder auch auf die angrenzenden privaten Ländereien gehen lassen. Weil das fremde Vieh diese Ländereien zertrampelte und die darauf angebauten Früchte fraß, beschwerten sich verständlicher Weise die Eigentümer beim Rat über das „wilde“ Viehhüten.

Pfändung

Um 1800 scheint das „wilde Hüten“ in Wetter aber derart überhandgenommen zu haben, dass der Rat am 16. Mai 1799 erneut jegliches „Herumtreiben“ von Vieh generell verbot. Auf Zuwiderhandlung stand die empfindliche Geldstrafe von 1 Reichstaler. Doch das Verbot wurde weiter missachtet und das „wilde Hüten“ der Kühe dauerte unvermindert an. Auch die Wiederholung des Verbots am 26. März 1800, 3. und 23. Mai 1803 sowie die Verdoppelung der Strafe auf 2 Reichstaler und die Androhung der Pfändung von verbotswidrig geweideten Kühen änderte daran nichts. Anfang Oktober 1803 forderte der Rat daher die Kuhhalter ohne eigene Weidegründe in einer öffentlichen Bekanntmachung auf, sich Weideflächen für das kommende Jahr zu beschaffen. Falls dieser „Wink“ nicht beachtet und mit dem „Unfug“ des „wilden Hütens“ fortgefahren werde, drohte der Rat nunmehr die Bestrafung der Übeltäter „ohne alle Nachsicht“ an.

Straffällig aus Not

Doch auch der „Wink“ des Rats wurde von den Betroffenen nicht beachtet. Wie eine Liste vom 14. Juni 1804 nämlich ausweist, hatte der Rat seit dem Frühjahr schon 16 Einwohner wegen des „wilden“ Viehhütens bestrafen müssen. Doch es war nicht Boshaftigkeit oder kriminelle Neigung, die jene Übeltäter zu ihrem verbotswidrigen Tun veranlasste. Es war die blanke Not, die sie dazu zwang. Bei diesen ertappten Personen handelte es sich nämlich um besitzlose und meistens am Rand des Existenzminimums lebende so genannte Einlieger (Mieter) und unberechtigte Bürger. Sie waren für ihren Lebensunterhalt aber dringend auf ihre Kuh als Lieferant von Milch und der daraus zu gewinnenden Butter und damit von benötigtem Fett angewiesen. Da sie jedoch auch nicht über die Mittel verfügten, Weidegrund anzupachten, mussten sie ihre Kühe, wenn sie diese nicht verhungern lassen wollten, trotz des Verbots an Weg-, Feld- und Wiesenrainen und auch auf fremdem Grund grasen lassen. Das dürfte auch dem Rat bekannt gewesen sein. Doch soziale Verantwortung und Fürsorge gehörte damals nicht zu den Handlungsmotiven und amtlichen Aufgaben der Obrigkeit. Dass tatsächlich pure Not der Grund für das „Herumtreiben“ des Hornviehs war, beweist exemplarisch der Fall des in der Strafliste vom 14. Juni 1804 ebenfalls aufgeführten Heinrich Stolzenberg. Dieser war nach seiner Verurteilung aber beim Rat vorstellig geworden und hatte darum gebeten, die ihm zudiktierte Geldstrafe in eine Gefängnisstrafe umzuwandeln, da er das Geld einfach nicht aufbringen könne. Gleichzeitig ersuchte er jedoch darum, die Gefängnisstrafe „so kurz wie möglich“ zu halten und auch zu einer Jahreszeit anzusetzen, damit er als ein „alter und gebrechlicher“ Mann sie ertragen könne. Auch der Rat stellte die Armut des Stolzenberg fest und schlug daher die Geldstrafe nieder. Sie wurde, wie vom Antragsteller gewünscht, in eine zweitägige Haft im Burgturm in der Freiheit Wetter umgewandelt.

In der Ruhraue bei Herdecke geweidete Kühe, Aufnahme Anfang der 1930er Jahre. 
Foto: Privatarchiv G. E. Sollbach, Herdecke
Bekanntmachung des vom Rat in Wetter am 3. Mai 1803 erlassenen Verbots des "wilden Viehhütens".  | Foto: Repro, Stadtarchiv Wetter
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Lokalkompass Hagen aus Hagen

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