Erinnerung an die Bergmannszeit
Das größte Bergbau-Unglück Bochums ...

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... wurde in diesem Jahr 110 Jahre alt
Bei einer Schlagwetterexplosion am 8. August 1912 kamen in 350 Metern Tiefe 118 Bergleute ums Leben.

Mein Papa war Bergmann. Auf Zeche Lothringen arbeitete er "Untertage". Wie es damals bei uns zuhause ging, habe ich vor langer Zeit in ein paar Abgeschlossenen Kurzgeschichten niedergeschrieben.

Stulle mit Speck

Damals, als Kind, beeindruckten mich ganz besonders seine kohlenschwarzen Augen, wenn er von der Schicht nach Hause kam. Unheimlich sah es schon aus, wenn er versuchte, sich mit dick Nivea Creme vom restlichen Kohlestaub einen klaren Blick zu verschaffen. Manchmal hatte ich direkt Angst, er würde sich die Augen ausreiben. Gleichzeitig wirkte dieser Vorgang aber irgendwie geheimnisvoll, genauso wie sein müder Gesichtsausdruck. Nicht nur die Nachtschicht zeichnete deutlich Konturen ab, dunkle Linien prägten das Gesicht eines Bergmanns. Ein Bergmann, der den Pütt seine zweite Heimat nannte. Ein Bergmann, der mein Vater war.

Oft spekulierten meine Freundin und ich draußen beim Spielen, auf dem Feld, ob sich wohl die Räder des Förderturms drehten, was durch die schnelle Drehbewegung nicht immer gleich zu erkennen war. Für mich galt dies stets als sicheres Zeichen, dass „unsere“ Väter entweder einfuhren oder gerade Schicht machten. Wie dunkel es da unten in der Grube sein musste und unter welchen Anstrengungen sie ihrer staubigen Arbeit nachgingen, versuchte ich mir erst gar nicht vorzustellen. Es reichte schon, dass Fräulein Müller im Heimatkunde-Unterricht illustrativ jenes Bild vor Augen hielt. Bestrebt, ihren Schülern die Knochenarbeit der Zechenleute nahe zu bringen, erklärte sie mit Zeichnungen auf der Tafel wichtige Begriffe aus dem Bergbau. Um mir diese heute wieder ins Gedächtnis zu rufen, bedarf es schon einen Besuch im hiesigen Bergbaumuseum. Bestens verständlich wird dort jedem Interessiertem die Gelegenheit geboten, sich umfangreich zu informieren. Natürlich beinhaltet das Programm Untertage-Besichtigungen mit Führung und sind unbedingt zu empfehlen.
Ich spüre wie meine Erinnerung an die Bergmannszeit immer schwächer wird und im Unterbewusstsein versuche ich mich dagegen zu wehren. Manchmal gelingt es in Gesprächen mit Mutter, Erlebnisse und Begebenheiten aufleben zu lassen, wobei sie sich besonders gern an Vaters goldigen Humor erinnert. Zum Beispiel, wie er es ernsthaft fertigbrachte, gemeinsam mit anderen Kumpels im Streb Mäuse zu dressieren. Natürlich musste für solch seltene Zirkusnummer die eine und andere Speck-Stulle geopfert werden. Unglaublich, wenn man bedenkt, dass Vater für diese Art von Unterhaltung Kohldampf schob.
Weniger lustig fand Mutter die dreizehn Jahre andauernde Nachtschicht ihres Mannes im Pütt. Wie andere junge Frauen hätte sie die Nächte lieber mit ihrem Ehemann verbracht, statt hochkant vor Schreck im Bett zu sitzen, wenn ihr Albträume zum x-ten Mal den Schlaf raubten. Sie wusste, dass im Stollen der Tod lauerte und ständig gegenwärtig war. Was für eine Rechtfertigung von dieser Angst ausging, beweisen heute nicht allein die Friedhöfe. Im Bochumer Bergbaumuseum erinnert ein gigantisches Wandgemälde an das traurige Grubenunglück im Jahre 1912, als Kaiser Wilhelm (der sich seinerzeit in der Villa Hügel aufhielt) den verunglückten Bergleuten gedachte und den trauernden Hinterbliebenen zusagte, auch durch finanzielle Zuwendung beiseite zu stehen. Ebenso sorgt das Denkmal auf dem Gerther Friedhof für Unvergessenheit.
Zu den ganz jungen Bergmannswitwen zählte auch meine Großmutter, als ihr Johann ebenfalls bei einem Grubenunglück im Jahre 1948 ums Leben kam. Ein Schicksal, welches sie mit etlichen Familien zu teilen hatte. Nicht nur der Krieg forderte seine Opfer, die Grube behielt sich gleiche Rechte vor.

Wenn auch die Erinnerungen an meine Kindheit als Bergmannstochter so allmählich verblassen, ein paar einschneidende Erlebnisse sind im Gedächtnis haften geblieben.
Wie auch in anderen Bergmannsfamilien wurde bei uns zuhause an allen Ecken und Kanten gespart. So war es üblich, dass Mutter fünfmal in der Woche ihre Kochkunst von Eintopfgerichten unter Beweis stellte. Meine Schwester zog schon lange Zähne, wenn sie nur den Speck auf Entfernung roch -der jeden Eintopf krönte- und mir wurde beim Anblick der großzügig geschnittenen Zwiebeln speiübel. Da aber grundsätzlich gegessen wurde was auf den Tisch kam, blieb uns nur das Tauschgeschäft - Zwiebeln gegen Speck - und wehe dem, wir waren verkracht....
Für Vater stand manchmal eine Überraschung neben dem Teller, eine kalte Flasche Bier. Kein „Fiege“, das war ihm zu herb und der Mama, die sich hin und wieder auch mal ein Gläschen gönnte, zu bitter. Ich erinnere mich an eine braune Flasche mit Schnappverschluss, die mit restlichem Inhalt für das Abendessen aufgehoben wurde und auch daran, dass Mutter, nachdem sie uns Kinder ins Bett gebracht hatte, Socken stopfte - während Papa malte. Kaum zu vernehmen, unterstrich er die traute Zweisamkeit mit Seemannsliedern vom Tonbandgerät. „Lolita“ und „Lale Andersen“ sangen uns so manches Mal sehnsuchtsvoll in den Schlaf.

Am Zahltag standen überraschend viele Ehefrauen vor dem Zechentor, mit dem Hintergrund, die Ehemänner für- oder vorsorglich von der Lohntüte zu entlasten. Nicht selten kam es vor, dass der Weg vom Lohnbüro direkt zur Gaststätte führte, wo zuweilen ein ganzer Wochenlohn die Kehle runter rann.
Als wahres Rechengenie trat auch Mutter hervor, wobei sie die Finanzverwaltung generell in die Hand nahm. Im sparsamen Umgang mit dem knappen Haushaltsgeld zeigte sie sich als Expertin. Sicherlich ein Grund, weshalb mir keine echten notleidenden Zeiten gedanklich hinterherhinken, auch wenn der Duft des Bratens nur einmal wöchentlich die Nase umkreiste. Das Aroma von durchwachsenem Speck machte dafür täglich seine Runde durch die Küche, Speck, egal wie fett, den Vater und ich stückchenweise auf Brot als eine absolute Delikatesse zu schätzen wussten.

Autor:

Hildegard Grygierek aus Bochum

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