7.Bochumer Historikerpreis
Der Sozialhistoriker Lutz Raphael wird mit dem Bochumer Historikerpreis ausgezeichnet

Lutz Raphael erhält den 7. Bochumer Historikerpreis | Foto: Jürgen Bauer
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Der renommierte Sozialhistoriker Lutz Raphael wird mit dem 7. Bochumer Historikerpreis ausgezeichnet, wie die Stiftung Geschichte des Ruhrgebiets bekanntgab. Der mit 30.000 Euro dotierte Preis würdigt das beeindruckende Lebenswerk des Historikers, der bis zu seiner Emeritierung im letzten Jahr den Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Trier versah.
Die Stiftung Geschichte des Ruhrgebiets verleiht die Auszeichnung seit 2002 im Drei-Jahres-Rhythmus gemeinsam mit der Stadt Bochum und der Ruhr-Universität Bochum. Neu dem Kreis der Preisstifter ist das Spezialchemieunternehmen Evonik beigetreten. Schirmherr des Bochumer Historikerpreises ist der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen Hendrik Wüst.

„Lutz Raphael gehört zu den wissenschaftlich einflussreichsten und innovativsten deutschen HistorikerInnen des 21. Jahrhunderts. Sein wissenschaftliches Werk besticht durch seine enorme thematische Breite, stetige wissenschaftstheoretische Reflexion und eine durchweg transnational vergleichende Perspektive. Lutz Raphael nimmt eine innovative Führungsrolle bei dem Projekt ein, die Zeitgeschichte aus ihrer politikhistorischen Verengung zu befreien und auf eine sozial- und kulturgeschichtliche Basis zu stellen“ begründet Prof. Stefan Berger, Vorsitzender des Vorstandes der Stiftung Geschichte des Ruhrgebiets die Entscheidung der Preisstifter.

„Die wissenschaftliche Erforschung der Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Ruhrgebiets und seiner Menschen ist hoch interessant und wichtig. Der Bochumer Historikerpreis würdigt die wertvolle Arbeit, die auf diesem Feld geleistet wird.“

Zugleich gab die Stiftung Geschichte des Ruhrgebiets bekannt, dass mit Evonik ein weiterer Preisstifter gewonnen werden konnte. „Wir freuen uns sehr, mit Evonik ein Unternehmen als Stifter gewonnen zu haben, dessen Unternehmenskultur tief in der Geschichte des Ruhrgebiets verwurzelt ist und das aus dieser Verwurzelung heraus Verantwortung für die Gegenwarts- und Zukunftsgestaltung der Region übernimmt,“ so Berger. Das Spezialchemieunternehmen stellt das Preisgeld in Höhe von 30.000 € zur Verfügung. Christian Kullmann, Vorstandschef von Evonik: „Die wissenschaftliche Erforschung der Wirtschafts- und Sozialgeschichte dieser Region und der Lebensumstände der Menschen hier sind hoch interessant und wichtig. Die Arbeit der Stiftung Geschichte des Ruhrgebiets unterstützen wir daher sehr gern. Der Bochumer Historikerpreis würdigt die wertvolle Arbeit, die auf diesem Feld geleistet wird.“

Jüngste Veröffentlichung von Lutz Raphael „Jenseits von Kohle und Stahl. Eine Gesellschaftsgeschichte Westeuropas nach dem Boom“ nimmt auch das Ruhrgebiet in den Blick

Lutz Raphael ist gebürtiger Essener. Er studierte Geschichte, Romanistik, Philosophie und Soziologie in Münster und Paris. Er promovierte 1984 mit einer vergleichenden sozialgeschichtlichen Untersuchung zu den Gewerkschaftsstrategien der kommunistischen Parteien Frankreichs und Italiens seit 1970. 1994 folgte die Habilitation in Darmstadt mit einer historiografiegeschichtlichen Untersuchung zur französischen Annales-Geschichtsschreibung nach 1980. Mit „Geschichtswissenschaft im Zeitalter der Extreme“ und dem „Atlas of Eurpean Historiography“ (gemeinsam mit Ilaria Porciani) legte er weitere herausragende historiografiegeschichtliche Arbeiten vor. 1996 nahm Lutz Raphael einen Ruf auf den Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Trier an. Unterbrochen von Gastprofessuren an der Ecole des Hautes Etudes en Sciences Sociales in Paris, an der Université Paris VII, am St. Antony´s College Oxford und an der London School of Economics, behielt er diesen Lehrstuhl bis zu seiner Emeritierung 2020 bei. Sein Aufsatz über die „Verwissenschaftlichung des Sozialen” stellte für die Wissenschafts- und Wissensgeschichte eine echte Pionierleistung dar, der er ein bedeutendes Buch über die Wissenspraktiken im Europa des 20. Jahrhunderts folgen ließ. Gemeinsam mit Anselm Döring-Manteuffel entwarf er in dem Band „Nach dem Boom” ein Programm der Zeitgeschichte als umfassende Gesellschaftsgeschichte. Sein jüngstes Buch „Jenseits von Kohle und Stahl. Eine Gesellschaftsgeschichte Westeuropas nach dem Boom“, dass insbesondere auch das Ruhrgebiet in den Blick nimmt, löst dieses Programm empirisch eindrucksvoll ein.

Mit der Vergabe des 7. Bochumer Historikerpreises an Lutz Raphael ehrt die Stiftung Geschichte des Ruhrgebiets einen Wissenschaftler, der theoretisch-methodische Reflexion und empirische Tiefe in hervorragender Weise miteinander verbindet und der leitende Begriffe (Verwissenschaftlichung des Sozialen, Nach dem Boom) geprägt hat, die die empirische sozialgeschichtliche Forschung in hohem Maße inspirieren. Dies gilt nicht zuletzt für die historische Ruhrgebietsforschung.

Lutz Raphael folgt den bisherigen PreisträgerInnen Catherine Hall (2017), Marcel van der Linden (2014), Christoph Kleßmann (2011), Eric Hobsbawm (2008), Jürgen Kocka (2005) und Lutz Niethammer (2002). Mit dem Preis werden alle drei Jahre herausragende Leistungen auf dem Gebiet der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte gewürdigt, die national wie international große Aufmerksamkeit gefunden haben.

Der Preis wird auf einer Festveranstaltung am 17. November im Haus der Geschichte des Ruhrgebiets übergeben.

Lutz Raphaels Hauptwerke:

Jenseits von Kohle und Stahl. Eine Gesellschaftsgeschichte Westeuropas nach dem Boom, Berlin 2019.

Ordnungsmuster und Deutungskämpfe. Wissenspraktiken im Europa des 20. Jahrhunderts, Göttingen 2018.

Theorien und Experimente der Moderne. Europäische Gesellschaften im 20. Jahrhundert, Köln/Weimar/Wien 2012.

Imperiale Gewalt und mobilisierte Nation, Europa 1914-1945, München 2011.

(mit Ilaria Porciani) Atlas of European Historiography. The Making of a Profession 1800-2005, Houndmills, Basingstoke 2010.

(mit Anselm Doering-Manteuffel) Nach dem Boom. Perspektiven der Zeitgeschichte nach 1970, Göttingen 2008, 2. ergänzte Auflage 2010.

Geschichtswissenschaft im Zeitalter der Extreme. Hauptwerke und Hauptströmungen von 1900 bis zur Gegenwart, München 2003.

Recht und Ordnung. Herrschaft durch Verwaltung im 19. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 2000.

Die Verwissenschaftlichung des Sozialen als methodische und konzeptionelle Herausforderung für eine Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts, in: Geschichte und Gesellschaft 22 2 1996, S. 165-193.

Die Erben von Bloch und Febvre. Annales-Historiographie und nouvelle histoire in Frankreich 1945-1980, Stuttgart 1994.

Partei und Gewerkschaft. Die Gewerkschaftsstrategien der kommunistischen Parteien Italiens und Frankreichs seit 1970, Münster 1984.

Thea Struchtemeier

Autor:

Thea Struchtemeier aus Bochum

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