Zu viert in einer Einzelzelle

Dieter Rother spricht beim Bochumer Erzählcafé über seine DDR-Gefangenschaft.
  • Dieter Rother spricht beim Bochumer Erzählcafé über seine DDR-Gefangenschaft.
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Dieter Rother erlebte als 18-Jähriger Grausamkeiten im DDR-Gefängnis – und sprach jetzt im Bochumer Erzählcafé darüber

Was wissen wir nach 25 Jahren Mauerfall von den Lebensumständen in der DDR? Dieter Rother besuchte als Zeitzeuge der Aufbaujahre der DDR das Bochumer Erzählcafé der Offenen Altenarbeit der Inneren Mission – Diakonisches Werk Bochum e.V. und sprach vor etwa 50 Zuhörern über seine Erinnerungen.

1949 lebte der 17-jährige Tischlerlehrling Dieter Rother in Frankfurt (Oder) in der damaligen Ostzone. Zusammen mit seinen Freunden Dieter und Heinz wollte er sich gegen die kommunistische Machtergreifung und die Teilung Deutschlands wehren. In der festen Überzeugung, im Schutz der Dunkelheit nicht bemerkt zu werden, schrieben sie Parolen in großen weißen Lettern an die Wand: „Wir fordern gesamtdeutsche Wahlen!“, „Kämpft mit uns für die Freiheit“, „Nieder mit den Sowjets!“

Am 22. April 1950 holte die Volkspolizei Dieter Rother an seinem Arbeitsplatz ab, übergab ihn der sowjetischen Geheimpolizei. Er wurde vor ein sowjetisches Militärtribunal gestellt. Das Urteil: Zehn Jahre Arbeitslager wegen antisowjetischer Agitation und Bildung einer illegalen Gruppe.

Im Erzählcafé herrschte betroffenes Schweigen, als Dieter Rother anschaulich die Umstände seiner Haft beschrieb. Eins der mitgebrachten Fotos zeigte die Zelle im KGB-Untersuchungsgefängnis Potsdam. Eine zwei mal vier Meter große Ein-Mann-Zelle, die mit vier Mann belegt war. Ohne Wasserhahn, ohne Toilette, eine alte Bauernmilchkanne für die Notdurft. Eine Sichtblende vor dem kleinen Fenster versperrte den Blick nach draußen.

„Ich habe die gesamte Zeit in Potsdam - dreieinhalb Monate - meine Wäsche nicht gewechselt, kein Wasser zum Waschen, keine Zahnbürste, keinen Kamm und kein Sonnenlicht gesehen. Tag und Nacht brannte Licht, die Verhöre fanden oft nachts statt. Am Tage zu liegen oder zu sitzen war streng verboten. Die Zelle haben wir nur zu den Verhören verlassen“, sagte Rother. Nach vier Jahren Haft in Bautzen und im Roten Ochsen in Halle kam Rother aufgrund einer großen Amnestie frei. Bald darauf ging er in den Westen.

Eine Studentin fragte kritisch nach, was ihn denn bewegt habe, die Parolen zu schreiben. „War Ihnen denn nicht klar, dass Sie damit keinen Erfolg haben konnten? Wie sehen Sie das heute?“ Es entwickelte sich eine Diskussion darüber, ob es mutig war oder nur leichtsinnig, ob die damals jungen Leute die Gefahr unterschätzt haben.

Rother antwortete, er und seine Freunde hätten damals in der festen Überzeugung gehandelt, dass auch andere DDR-Bürger sich wehren würden. Anfangs sei er stolz auf sich gewesen, Widerstand geleistet zu haben, als andere einfach mitgelaufen sind. Heute denke er kritisch über den Sinn individuellen Widerstandes. Er stelle sich eher die Frage, wie man in einer Diktatur ein reines Gewissen behält, ohne sich und andere zu gefährden. „ Andere, die Sekundäropfer, das sind in der Regel die Familienangehörigen, die zu leiden haben.“ Dieser Gedanke, welches Leid er seiner Familie durch sein Handeln zugefügt hat, ist es, der heute im Vordergrund steht und ihn sehr bedrängt.

Das nächste Bochumer Erzählcafé findet am 23. Mai 2015 im Kirchencafé der Pauluskirche, Pariser Straße 4-6, statt. Unter dem Thema „Mein Kriegsende 1945“ werden mehrere Bochumer Zeitzeugen berichten. Eintrittskarten gibt es drei Wochen vorher im Weltladen der Pauluskirche und bei Doris Brandt (Offene Altenarbeit), Tel.: 0234/68 49 51, brandt@diakonie-ruhr.de

Autor:

Felix Ehlert aus Bochum

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