Familiengespräche 2013 – Kreative Köpfe

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„Mami ?“

Der Jüngste der Familie zerteilt zusammen mit seinen vierzehn Lebensjahren die noch schlummernde morgendliche Stille des Schultages in zwei identisch große Stücke.

“Mein Schuh ist übrigens kaputt !“

Zum Beweis des für die noch schlummernde morgendliche Stille ziemlich langen Satzes hält der Jüngste der Familie der Mutter der Familie die Unterseite eines Halbschuhs vor die Nase, in dessen Hacke in bisher nie gekannter Dimension ein Loch klafft, das ein Tretboot binnen Kürzestem mit Mann und Maus zum Sinken bringen würde.

Warum?,
denkt die Mutter der Familie angesichts der Worte des Jüngsten der Familie, die die noch schlummernde morgendliche Stille des Schultages so gnadenlos zerteilten,
bin ich nicht in meinem Bett geblieben?
Und warum ?
kommt der Jüngste der Familie mit den größten Problemen des Familienalltags eigentlich erst immer dann, wenn er zur Schule muss?
Und warum ?,

spult die Mutter der Familie die Kette der Gedanken weiter,
gehen die Schuhe des Jüngsten der Familie eigentlich schon immer dann kaputt, wenn man sie gerade erst gekauft hat?

„Oh nein! Nicht schon wieder“,
spricht die Mutter der Familie energisch genau die Worte aus, die für die Ohren der Kinder der Familie einen deutlich erzieherischen Wert besitzen.
„Doch nicht etwa die, die wir erst im Urlaub kaufen mussten, weil die anderen kaputt gegangen sind?“

Die Gedanken der Mutter der Familie graben fieberhaft den leeren Behälter der Familie der Familie um, der einmal ein Geldbeutel gewesen ist.

„Ja. Nein. Ach die hab‘ ich ja auch noch“, erinnert sich der Jüngste der Familie an die Schuhe, die die Familie der Familie erst im Urlaub kaufen musste, weil die anderen Schuhe des Jüngsten der Familie kaputt gegangen waren.
„Die kann ich aber nicht bei Regen anziehen.“

„Genau !“,
bestätigt die Mutter der Familie exakt die Worte der Mutter der Familie beim Kauf der neuen Schuhe für den Jüngsten der Familie.
„Und die hier mit dem Loch kannst Du jedenfalls bei Regen auch nicht anziehen. Und draußen regnet es!“

„Doch !“,
kontert der Jüngste der Familie mit Entschiedenheit,
„die kann ich anziehen. Ich hab‘ sie nämlich repariert. Kuck hier.“

Der Jüngste der Familie hält der Mutter der Familie den Schuh noch einmal vor die Nase.

„Du hast sie repariert“,
wiederholt die Mutter der Familie die Worte des Jüngsten der Familie und schaut auf die Unterseite des Halbschuhs, in dessen Hacke in bisher nie gekannter Dimension das Loch klafft, das ein Tretboot binnen Kürzestem mit Mann und Maus zum Sinken bringen würde.

„Ja“,
bestätigt der Jüngste der Familie stolz,
„ich hab‘ einfach eine Pappe reingelegt.“

„Eine Pappe !“, wiederholt die Mutter der Familie, unfähig, sich in der morgendlichen Stille des Schultages, die jetzt schon länger nicht mehr schlummert, eigener Worte zu bedienen.
„Eine Pappe !“,
hilft der Jüngste der Familie der Mutter der Familie auf die Sprünge.

„Aber eine Pappe“,
findet die Mutter der Familie in der aufgeweckten Stille des morgendlichen Schultages ihre eigenen Worte wieder,
„eine Pappe saugt sich doch mit Wasser voll. Und draußen regnet es.
Diese Schuhe kannst Du bei dem Wetter draußen jedenfalls nicht anziehen.“

„Doch, kann ich !“
Der Jüngste der Familie, der jetzt nach Klasse neun durchstartet und dort in den pädagogisch aufbereiteten Genuss der Berufswahlorientierung kommt, weiß schließlich, wovon er spricht.
„Deshalb hab‘ ich hier noch einen Schwamm eingebaut.
Und da drüber wieder eine Pappe.
Und wenn ich dann beim Laufen auf den Schwamm trete, presst der das Wasser aus dem Schuh ja wieder raus !“

Die Mutter der Familie beißt sich auf die Zunge.
Über den so ängstlich propagierten Mangel an Fachkräften
brauchte sich in Deutschland doch wohl künftig wirklich niemand Sorgen machen ...
;-)

© Sabine Schemmann, Freie Erzählungen September 2013

Autor:

Sabine Schemmann aus Bochum

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