Beim ersten Gespräch ist der Tod tabu

Jürgen Frins.

„Ich denke, ich lebe dadurch bewusster“, erzählt Jürgen Frins. „Man bekommt eine andere Haltung zum Tod. Es ist eine Bereicherung zu wissen, dass der Tod zum Leben dazugehört.“ Der 69-Jährige ist einer der Ehrenamtlichen, die sich beim Ambulanten Hospizdienst des Caritasverbandes Castrop-Rauxel, engagieren. In den letzten fünf Jahren hat Frins etwa ein halbes Dutzend Sterbende begleitet.

Der ehemalige Apotheker hatte sich vor einigen Jahren für das Angebot der Caritas interessiert, „weil ich gemerkt habe, wie hilflos ich war, als meine Eltern gestorben sind“. Den Vorbereitungskurs besuchte er daher nicht nur aus Menschenliebe, sondern auch, um für sich eine Anleitung zu erhalten, wie man mit dem Tod umgeht.
Gegenüber den Sterbenskranken, so hat er gelernt, sollte man sich hüten, sofort im ersten Gespräch den nahenden Tod zu erwähnen. „Das muss im Laufe der Zeit wachsen, dass man darüber spricht. Man tut es, wenn derjenige es möchte“, erklärt Jürgen Frins.
Überhaupt geht es in seinen wöchentlichen Besuchen, die meist ein bis anderthalb Stunden dauern, um die Wünsche des Sterbenden. „Ich biete den Menschen meine Zeit an und erkläre ihnen, dass ich jemand bin, der nichts von ihnen will“, so Frins. „Zum Beispiel bin ich kein Arzt, der ihnen eine Spritze geben möchte.“
Was gemacht wird, entscheidet dann der Kranke. „Ob wir sprechen, ob ich aus der Zeitung vorlese, oder ob wir schweigen.“ Die Gesprächsthemen kreisen um Vieles, nicht nur um Krankheit und Tod. So war der Mann, den Frins zuletzt begleitet hat, BVB-Fan. „Das kam mir entgegen, weil ich auch Fan bin. Da haben wir viel drüber gesprochen.“ Andere erzählten ihm vom Krieg, von ihrer Gefangenschaft. „Das sind wohl Dinge, die vorm Tod wieder hochkommen, weil sie vielleicht noch nie so ausgesprochen worden sind“, glaubt Jürgen Frins.

Sprachlosigkeit durchbrechen

Als schwierig empfindet Frins seinen Hospizdienst, wenn der Sterbenskranke nichts vom Sterben wissen will. Denn dann würde derjenige das Thema seinem Partner gegenüber nicht erwähnen, und umgekehrt sage der Angehörige aus Rücksicht auf den Sterbenden ebenfalls nichts. Dann sei es sowohl für die beiden Partner als auch für ihn als Begleiter erlösend, wenn er dazu beitragen könne, diese Sprachlosigkeit zu durchbrechen und den Tod zu thematisieren, erklärt Frins.
Manchmal versucht er auch zu vermitteln, etwa wenn der Sterbende ihm sagt, dass sein Partner ihn nicht verstehe. „Ich komme nur einmal die Woche und bekomme dann die Schokoladenseite zu sehen, denn wenn Besuch kommt, wird das Sonntagsgesicht aufgesetzt“, weiß Jürgen Frins, dass er gar nicht bei allen Krisen zugegen ist.
Sowohl schöne als auch bedrückende Momente erlebt er während seiner Tätigkeit. Besonders gerührt war er, als der Mann, den er zuletzt betreute, starb, und Frins‘ Tochter zugleich ihr zweites Kind bekam. „Da hat mir die Ehefrau Selbstgestricktes für das Baby gegeben“, erzählt er.
Als äußerst bedrückend hat er das Wiedersehen mit einem anderen Sterbenskranken in Erinnerung, nachdem er eine Woche im Urlaub gewesen war. „Der Mann hatte ein Lungenkarzinom, und als ich wieder dorthin kam, habe ich ihn kaum wiedererkannt. Vorher hatten die Morphine geholfen, dann aber wohl nicht mehr“, so Frins. „Der Mann hat mich mit einem Ausdruck in den Augen angesehen, als wolle er fragen: ,Warum hilft mir keiner beim Sterben?‘ Zumindest habe ich es so interpretiert.“
Wenn ihn ein Besuch besonders mitgenommen hat, geht der 69-Jährige manchmal hinterher in einen Elektromarkt. „Ich interessiere mich für Elektronikkram“, sagt er, und der Streifzug durchs Geschäft hilft ihm, das Erlebte hinter sich zu lassen. „Denn es ist wichtig, dass es für diesen Tag abgeschlossen ist.“ Gespräche mit seiner Frau geben ihm dann häufig den letzten Abschluss.
Hat er Angst vor dem Tod, nachdem er durch die Sterbebegleitung seit Jahren mit ihm konfrontiert wird? „Es wäre vermessen zu sagen, dass man keine Angst vor dem Tod hat“, erklärt Jürgen Frins. Aber er hofft, dass ihm seine Erfahrung beim Ambulanten Hospizdienst eines Tages „vielleicht in der Stunde des Todes hilft“.

Ambulanter Hospizdienst

- Bereits seit mehr als zehn Jahren gibt es den Ambulanten Hospizdienst des Caritasverbandes. Etwa 22 Ehrenamtliche sind dort aktiv; aktuell laufen etwa zwölf Begleitungen.
- Alle Ehrenamtlichen besuchen zunächst einen Kurs, um sich auf ihre neue Aufgabe vorzubereiten. „Am Ende horchen die Teilnehmer dann in sich hinein und entscheiden, ob der Hospizdienst das richtige für sie ist oder nicht“, erklärt Koordinatorin Sabine Kabzinski.
- Anfang des kommenden Jahres wird die Caritas einen neuen Kurs anbieten.

Autor:

Vera Demuth aus Bochum

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