Literatur-Hotel-Preis 2011: Markus Mohr "Das ist alles nur geklaut"

Hör ich richtig? Da werden hochrangige Politiker wegen Plagiatsvorwürfen ihres Amtes verwiesen? Da werden prominente Akademiker von ihren ehemaligen Doktorvätern verdammt und geächtet? Da schlagen Deutschlands Studenten innerlich ihre Hände übern Kopf zusammen und rümpfen ihre hohen Nasen?
Na, all denen rufe ich aber zu: Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Schein! ... und sei das auch nur der Teilnahmeschein für das Volkshochschulhäkeln.

Weiß auch gar nicht, warum sich alle aufregen. Legen wir den Kindern nicht das Kopieren, Nachmachen und Abschreiben in die Wiege? Wie oft und lange säuseln denn stolze Mütter ihrem Baby ihr Verwandtschaftsverhältnis ins speckige Pupsi-Gesicht, bis es endlich „Ma-ma“ lallt? Hundert Mal? Tausend Mal? Eben! Und sagt dann mal so ein Baby als erstes nicht „Mama“, sondern „Grins mich nicht so doof an!“, da sind aber alle enttäuscht, weil man nicht das Plagiat bekommt, sondern was Eigenes.

Oder in der Schule. Da lernen die Kinder Lesen, Schreiben und Rechnen. Aber nach ganz engen Vorgaben. Da soll ein B wie ein B aussehen und ein K wie ein K und auch so ausgesprochen werden. Vertauscht so ein I-Dötzchen mal aus lebensfroher Kreativität einen Buchstaben und liest für das Wort „Backe“ zum Beispiel „Kacke“, landet es entweder beim Logopäden oder beim Nachsitzen. Treibt es der Dickkopf noch ein paar Monate so weiter, führt sein Weg unweigerlich über den Sonderpädagogen zum Sozio- und Psychotherapeuten bis hin ins Erziehungscamp nach Texas. Die Lehrerin wird suspendiert, die Schule geschlossen und die Eltern gehängt. Nein, das Plagiat ist erwünscht, Originelles nicht.

Vertreter der christlichen Parteien und der Kirche wenden sich beschämt von den bösen Abschreibern ab, nennen sie Betrüger und mahnen zur Buße. Nun sind die doppelzüngigen Kirchenleute aber seit Tausenden von Jahren Meister im Plagiieren. In den Gotteshäusern wird doch schon immer nachgesprochen, nachgesungen, nachgefolgt und nachgeeifert. Und wehe, du antwortest mal auf die Frage: „Wie heißt das 5.Gebot?“ aus Spaß „Du sollst nicht flöten!“! Da wirst du doch sofort bestraft, auf`m Scheiterhaufen gekreuzigt oder für 3 Tage nach Regensburg in den Jungenschlafsaal gesteckt.
Das Plagiat ist einfach erwünschter als die kreative Eigenleistung.
Nach strengen wissenschaftlichen Regeln müsste jedes Einzelne der Zehn Gebote sowieso in Gänsefüßchen stehen, aber da gibt sich die Kirche natürlich auf einmal ganz locker.

Und selbst wenn man es mit der Kennzeichnung von geistigem Eigentum ganz ernst nehmen will, ... ist es gar nicht so einfach. Stellen Sie sich doch mal vor, Sie wollten in Ihrer Doktorarbeit über den Weltfrieden den Satz 'Ich hau dir gleich auf die Glocke!' verwenden. Da müssten Sie streng genommen das Wort "Glocke" in Anführungszeichen setzen, weil das von Schiller geklaut ist. "Hau" ist wie jeder weiß von Winnetou, und den Begriff "gleich" hat der Mathematiker Adam Riese im Jahr 1550 für sich patentieren lassen, in Verbindung mit plus und minus. Diese drei Stellen sind also in Gänsefüßchen zu setzen und mit Fußnoten zu versehen. Da aber auch die Gänsefüßchen nichts anderes als leicht gedrehte Gleichheitszeichen sind, müsste jedes einzelne Gänsefüßchen wiederum in Gänsefüßchen gesetzt und mit dem Verweis auf Adam Riese notiert werden. Das geht ins Unendliche und sieht letztlich „kacke“2 aus. Damit nicht genug. Jeder einzelne Buchstabe des Satzes müsste mit dem Namen seines arabischen oder phönizischen Urhebers versehen werden oder sogar mit dem Namen des Erfinders der Buchdruckkunst und der hieß... - jetzt halten Sie sich fest - : Gutenberg! „Da schließt sich doch der Kreis.“3

Unsere Gesellschaft basiert auf dem Nachmachen. Nur so sind Evolution und Zivilisation möglich geworden. Wäre nicht irgendwann mal so einem Quastenflosser ein Daumen an der Flosse gewachsen, so dass der endlich nen Kugelschreiber halten konnte, und hätte der damit dann nicht mal so`n rundes Rad von seinem Schwager abgemalt, und zwar ohne Quellenangabe, da würden die Hells Angels doch heute noch mit viereckigen Motorrädern über die Landstraßen hoppeln.

Und überhaupt: Ist nicht jedes neugeborene Kind eine genetische Teilkopie seiner Vorfahren? „Der hat die Nase vom Papa, die Augen von Mama und die fehlenden Zähne vom Opa!“ usw. Meinen wir es wirklich ernst mit dem Urheberrecht, dann müsste doch in jedes Körperteil der Windelträger die Quellenangabe eintätowiert werden. Das wird aber ein Gekritzel ohne Ende. Ich frage Sie: Wollen wir das wirklich?

Schließlich zeigen uns auch die diversen Aktivitäten in der Genforschung, dass wir selbst auf höchstem wissenschaftlichem Niveau gerne kopieren und reproduzieren. Die kleinsten Puzzleteile der Schöpfung werden gesammelt, sortiert und so zusammengefügt, dass Wohlschmeckendes, gut Aussehendes, Krankheitsfreies entsteht. Und bei diesen Plagiaten kommen doch nur die verbesserten Ergebnisse groß raus, während die minderwertigen Vorgänger in Vergessenheit geraten. Darin spiegelt sich der Wunsch des Menschen nach Vollkommenheit, nach Gesundheit, Kraft, Schönheit wider, nach dunkelroten Tomaten und Salatgurken, die Durchfall machen.
Und wenn wir auf der Klobrille sitzen, sollten wir nicht in der Schüssel rühren. „Entscheidend ist, was hinten raus kommt.“4 „Scheiß watt“5 auf Quellenangabe!

1 Die Prinzen, 1993
2 I-Dötzchen aus dem 3. Abschnitt, 2011
3 Keine Ahnung von wem und wann
4 Helmut Kohl 1984
5 Oppa Theo, Hamborn 1968

Autor:

Markus Mohr aus Dinslaken

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