Literatur-Hotel-Preis 2011: Sabine Gonska "Urlaub auf dem Lande"

Sabine Gonzka

Liebe Rosi,

heute möchte ich Dir wieder einmal von uns berichten und ich kann Dir verraten, es gibt Neuigkeiten. Unser Urlaub auf dem Lande liegt nun schon eine ganze Weile zurück. Jawohl, Röschen, Du hast richtig gelesen, Urlaub auf dem Lande. Am Besten, ich fange mal ganz von vorne an. Vor einiger Zeit kam Hans-Werner aus dem Büro und fragte: „Ullalein, was hälst Du davon, wenn wir unseren Urlaub in diesem Jahr auf dem Bauernhof verbringen?“

Ich schnüffelte an Hans-Werner, nein, ich roch keinen Alkohol. „Haben Müllers ihren Urlaub dieses Jahr auch auf dem Bauernhof verbracht?“ fragte ich zurück. Du weißt ja, Rosi, neuerdings fahren wir immer dorthin, wo Hansis Chef Urlaub mit seiner Familie macht. Vor zwei Jahren war es Safari in Afrika und im letzten Jahr Tauchurlaub auf den Malediven. Heinz-Werner glaubt, es tut seiner Karriere gut, wenn er sich mit seinem Chef über gemeinsame Urlaubsorte austauschen kann. In Gedanken stellte ich meinen stets polierten
und gestylten Ehemann im Anzug, Hemd und Seidenkrawatte auf einem Bauernhof vor. Unmöglich, dachte ich, doch dieses Abenteuer reizte mich mehr als Afrika und die Malediven zusammen und so willigte ich ein.

Drei Wochen später holte uns Bauer Egon vom Bahnhof ab. Auf der kleinen Holzbank, die auf der Ladefläche des alten Unimog montiert war, konnten wir schon während der Fahrt zum Hof die frische Landluft genießen. Unentwegt verscheuchte Hans-Werner die Fliegen aus seinem Gesicht, er war fest entschlossen, diesen Urlaub zu mögen. Beim Heruntersteigen von dem ungewohnten Fahrzeug stolperte Hansi über eine Stufe und fiel weich, mitten in einen großen noch frisch dampfenden Kuhfladen. Sein Anzug war ruiniert und sein Gesicht feuerrot. „Das war`s dann wohl“, dachte ich in diesem Moment, „hier bleibt der keine Woche mehr“. Bauer Egon lachte herzhaft, „ Herzlich Willkommen, das war ein Gruß von unserer alten Kuh Molli“. Er zog den sprachlosen Hans-

Werner in eine Scheune und verpasste ihm ein kariertes Flanellhemd und ein alte Latzhose. Statt glänzender Lackschuhe trug mein Mann nun kniehohe Gummistiefel. Als ich Hansi so sah, in den alten Klamotten und den zerzausten Haaren, erinnerte er mich an einen großen Jungen. Mit war ganz warm ums Herz. Bauer Egon lud zur Brotzeit ein. Es gab hausgemachte Blut- und Leberwurst, Schinken und herrlich duftendes Brot. Vorsichtig versuchte Hansi den dicken Fettrand vom Schinken zu lösen. „Aber, was ist das denn“, schimpfte Bauer Egon, „ das ist doch gerade das Beste daran“. Hans-Werner überwand sich und probierte zaghaft Schinken mit Fettrand. Dann biss er so herzhaft in sein Brot, als hätte er nie besser gegessen. Der selbstgebrannte Apfelschnaps rundete das Mahl perfekt ab. Es war ein wunderbarer Abend.

Selten hatte ich meinen Mann so gelöst erlebt. Spät gingen wir schlafen. Die rot-weiß karierten Übergardinen harmonierten wunderbar mit der gleich ge- musterten Bettwäsche. Eng kuschelten wir uns in dem kleinen gemütlichen Bett aneinander. In unserem luxuriösen Wasserbett zu Hause kam ich mir manchmal doch etwas verloren vor. Früh wurden wir durch ungeduldiges Klopfen an der Zimmertür geweckt. Bauer Egon brauchte unsere Hilfe. Die schon etwas verwirrte Kuh Molli war aus dem Stall ausgebrochen und lief verängstigt auf dem Hof herum. Schnell zogen wir uns an und versuchten zu helfen.

Gerade lief Molli an uns vorbei, direkt auf einen Stacheldrahtzaun zu. Hansi setzte sofort an Tempo zu, er gab alles und warf sich mit letzter Kraft vor Molli. Erschöpft hielt er sie an beiden Beinen fest, bis der Bauer eintraf. Hansi war nun ein Held. Ich war mächtig stolz auf ihn. Wir verlebten noch viele aufregende und wunderbare Tage auf dem Hof. Dieser Urlaub hatte Hansi total verändert. Als er dann wieder ins Büro ging, suchte ich meinen Arzt auf. Diese morgendliche Übelkeit war doch ungewöhnlich. „Ja“, bestätigte der Doktor, „dann hat es nach all` Jahren doch noch geklappt.

Liebe Rosi, es war ein so schöner Moment für mich, aber ich machte mir sofort Gedanken darüber, wie Hansi die Nachricht wohl aufnehmen würde. Neugierig packte Hansi das kleine Geschenk, das neben seinem Teller lag aus. Als die winzige Latzhose zum Vorschein kam, wurde sein Gesichtsausdruck ganz ernst. Er laß die Nachricht auf dem Kärtchen, das am Latz der Hose befestigt war. „Unser Urlaubsandenken wird voraussichtlich am 12. März geboren“. Mir stockte der Atem. Ganz langsam kam Hansi auf mich zu, nahm mich in die Arme und flüsterte mir ins Ohr: „ Müllers Urlaubs-tipp war spitze!“ Ja, nun freuen wir uns auf den ersehnten Nachwuchs.Soviel für heute von uns, bis bald mein Röschen.

Deine Ulla

Autor:

Caro Dai aus Essen-Werden

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