Literatur Hotel Preis 2011- Sabine Schultz "Melanies verrückte Verwandtschaft"

Sabine Schultz.

Melanie sitzt zuhause und ihr ist langweilig. Plötzlich fällt ihr ein, was sie sinnvolles tun könnte. Sie wollte schon immer die verrückten Geschichten aufschreiben, welche Mutter Rita und Oma Frieda von sich, der Verwandtschaft und auch von den Freunden erzählt hatten. Ja, eine genaue Beschreibung von den Menschen in ihrem Umfeld, das wäre gut. Melanie musste sofort an Onkel Wilhelm denken. Sie begann zu schreiben:

Onkel Wilhelm war überall beliebt, weil er hilfsbereit, witzig aber auch charmant war. Er konnte prima mit Kindern umgehen und sein Lieblingssatz lautete: „Kinder und Geld kann man nie genug haben!“ Er verstand sich besonders gut mit seiner jüngsten Schwester Rita, meiner Mutter. Daher hatte Onkel Wilhelm mich und meine Schwester Isabel wohl auch so lieb. Onkel Wilhelm, mein Vater sowie Opa Johann gingen gern sonntags morgens in die Waldwirtschaft „Zum lustigen Holzbock.“ Ich kann mich noch genau erinnern.

Es war das Jahr 1966. Da musste meine Mama mir Zöpfe flechten und mich fein anziehen. Onkel Wilhelm wollte das so. Als wir in der Kneipe waren, rief der gute Onkel auf einmal: „Alle mal herhören! Das hier ist meine Nichte Melanie! Sie wird einmal eine berühmte Sängerin werden. Also haltet nun euren Mund und lauscht! Ach ja, mein Hut geht nach der Vorstellung herum. Also nicht so sparsam meine Herrn!“ Onkel Wilhelm stellte mich auf den Stammtisch. Opa und Papa zwinkerten mir aufmunternd zu und ich begann laut zu singen: „Ich will nen Cowboy als Mann, ich will nen Cowboy…“ Die Zuschauer tobten Beifall und pfiffen auf ihren Fingern. Natürlich wurde um Zugaben gebeten. Ich sang weiter: „ Wenn die Elisabeth nicht so schöne Beine hätt, hätt sie viel mehr Freud an dem schönen neuen Kleid…“ Wie versprochen, ging Onkel Wilhelms Hut herum und das ganze Geld darin, durfte ich behalten. Wenn meine kleine Schwester Isabel dann neidisch und schlecht gelaunt heulte, nahm Onkel Wilhelm sie mit nach draußen. Hier war es ruhig und hier brachte er ihr große Schritte bei. Isabel machte dem Onkel alles nach. Schon bald vergaß sie ihren Kummer und lachend kehrten die beiden in die Waldwirtschaft zurück.
Wenn Oma Frieda Geburtstag hatte, rauschte die ganze Verwandtschaft an. Onkel Willi war immer sehr pünktlich. Er rauchte ständig Zigarre und er besaß einen wundervollen Garten. Niemand hatte so leckere Stachelbeeren im Garten wie Onkel Willi. Die waren richtig groß, gelb und Zuckersüß! Immer wenn Onkel Willi mich traf, fragte er: „ Na Melanie! Hast du schon wieder einen neuen Hund?“ Ich antwortete genervt: „Onkel Willi, das ist doch Charly! Den haben wir nun bestimmt schon seit vier Jahren!“ Onkel Willi aber sagte: „Ne, der Hund ist neu. Das ist doch ein Polizeihund. Der hat ja noch die Pistole unter seinem Bauch!“ Ich war noch zu jung und habe Onkel Willis Witz damals nicht verstanden. Onkel Willi war durchgeknallt!

Wenn Tante Emma mit Ehemann Hermann zum Geburtstag kamen, wurde es immer sehr laut. Tante Emma hörte sich selbst unglaublich gerne reden. Wenn wir Kinder auch mal was zu sagen hatten, fiel Tante Emma uns schnell ins Wort: „Ach, nun habe ich doch die Schokolade zuhause vergessen. Das ist schlimm! Aber wartet, ich werde jedem von euch 1DM schenken!“ Wie immer kramte sie nun in der Handtasche herum und wie immer sagte sie dann: Oh je, ich habe nur einen 100DM Schein dabei und den kann ich euch nun wirklich nicht geben!“ ICH SCHWÖRE,- Ich habe diesen 100DM Schein nie zu Gesicht bekommen! Die 1DM, sowie die Schokolade habe ich auch nie erhalten!“

Wenn Onkel Herbert nur so da saß und in die Luft starrte, fragte Tante Emma ihn Forsch: „Was willst du? Torte oder doch lieber ein Stück von dem trockenen Kuchen?“ Onkel Herbert antwortete stets auf Plattdeutsch: „Frau gif mi dat, wat mi tusteht.“ Zwei Söhne haben Onkel Herbert und Tante Emma. Rüdiger und Peter. Rüdigers Glückshormone tanzten, wenn er gegen mich gewann. Egal welche spiele wir spielten. Er ließ mich nicht ein einziges mal gewinnen., dabei war er acht Jahre älter als ich. Ja und Peter kann nicht sprechen. Ich hab jedenfalls noch nie gehört, dass er spricht!

Nun muss ich noch von Maria erzählen. Auf Oma Friedas Geburtstag durfte ihre beste Freundin Maria nicht fehlen. Maria konnte schlecht sehen, doch sonst war sie topfit. Meine Mutter Rita brachte Maria eine dunkelblaue Tasse gefüllt mit heißem Kaffee. Dies hatte Maria nicht mitbekommen, da sie sich mit Oma unterhielt. Maria griff entzückt und schwungvoll nach der Tasse und drehte sie mit den Worten um: „Du, meine Christel hat genau die gleiche Tasse…“ Der Kaffee ergoss sich über die weiße Tischdecke, über Oma Friedas Bluse und der Rest über Marias Schoß. Maria jammerte: So etwas passiert auch immer nur mir.“ Meine kleine Schwester Isabel krabbelte auf Marias Schoß und streichelte die Tränennasse Wange. Isabel tröstete Maria mit den Worten: „Ach, liebe Tante Maria. Ist doch nicht schlimm!“ Liebevoll drückte Maria das Mädchen an sich.

Oma Frieda rief: „Genau ist überhaupt nicht schlimm!“ Rita beseitigte schnell das Malheur, doch Maria schämte sich noch lange…Für Oma und Maria gab es nichts schöneres, als Freitags in den nächsten Ort zu radeln, um auf dem Wochenmarkt einkaufen zu gehen. Bei schönem Wetter setzten sich die alten Damen auf eine Bank und genossen ihre Freizeit.

Einmal stellten sich zwei Jungen vor die alten Damen. Der ältere Junge sagte frech: „ Hey, das ist unsere Bank! Weg da!“ Da schrie der andere Junge: „Altes Friedhofsgemüse seid ihr!“ Dann rannten die Kinder weg. Oma Frieda schüttelte verärgert ihren Kopf. Maria aber sagte lachend: „ Komm du Friedhofsgemüse, es ist schon spät, wir müssen nach Hause.“
Den ganzen Heimweg mussten die Frauen über das Wort „Friedhofsgemüse“ lachen. Noch lange nach diesem Vorfall betitelten sich Oma und Maria immer wieder mit dem ulkigen Wort.

Meine Mutter Rita konnte auch verschlagen sein. Als sie damals mit Isabel schwanger war, war auch Tante Gisela (auch eine Schwester meiner Mutter) schwanger. Dummerweise hatte Tante Gisela meiner Mutter verraten: „Wenn ich ein Mädchen bekomme, so werde ich sie Isabel nennen.“ Meine Schwester Isabel wurde aber vor „Cousine noch unbekannt“ geboren. Meine Mutter fand den Namen ebenfalls wunderschön und so klaute sie den Namen Isabel einfach. Tante Gisela bekam tatsächlich auch ein Mädchen. Sie war stinksauer auf Rita und sie sprach lange kein Wort mehr mit ihr. Tante Gisela gab ihrer Tochter später dann den grässlichen Namen: -Jutta-.

Zum Schluss verrate ich noch etwas über meine Großeltern. Ich habe als Kleinkind viel Zeit bei Oma und Opa verbracht. Manchmal, wenn Opa auf dem Sofa lag, streckte er sein rechtes Bein in die Luft. Nun fing er an mit diesem Bein Fahrrad zu fahren. Dazu legte er ordentlich jeden einzelnen Finger auf die nicht vorhandene Querflöte und dann nickte er Oma zu. Oma begann nun zu singen: „Tidititdi, tiditiidi, tidididitdidom.“

Wenn die beiden diese ulkige kleine Show vorführten konnte sich keiner mehr halten vor lachen. Der Höhepunkt aber war, wen Oma plötzlich aufhörte zu singen. Die Anstrengung von Opa blieb nicht ohne Folgen. Opa ließ ein lautes Fürzchen fliegen! Rasch setzte sich Opa auf und fragte: „Hast du das gehört, Melanie? Da sitzt wieder das Mäuschen unter Opas Sofa und knabbert die Fußleisten an.“ Ich wusste genau, dass Opa Johann schwindelte und ich lachte noch mehr.

Egal was Oma Frieda im Sommer gerade machte, sie hatte immer eine Fliegenklatsche dabei. Setzte sich nun eine Fliege auf die Halbglatze von Opa, fragte meine Oma: „Johann, darf ich?“ Opa brummte ein: „Muhm.“ Da schlug Oma Frieda, so fest sie konnte, mit der Fliegenklatsche auf Opas Kopf. Opa schrie: „Aus! Musst du immer so feste zuschlagen?“ Oma gab ihrem Mann keine Antwort, sondern sie grinste gekonnt in sich hinein. Meine Mutter Rita musste nun die zermatschte Fliege wegwischen. Opa bekam Kopfschmerzen. Rita legte ihrem armen Vater einen kühlenden Waschlappen auf die Stirn. Ich schaute entzückt meinen Großeltern zu und ich dachte nur: „Die sind einfach großartig und total verrückt dazu!“

Autor:

Caro Dai aus Essen-Werden

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