Ausbildung im Bäcker-Handwerk - ein Interview
Richard Thielen: "Die Wahrnehmung des Handwerks in der Bevölkerung ist gestiegen."

Richard Thielen, Geschäftsführer der Bäckerinnung in den Kreisen Kleve und Wesel. | Foto: KH
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  • Richard Thielen, Geschäftsführer der Bäckerinnung in den Kreisen Kleve und Wesel.
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"Unser täglich Brot ..." ist nicht nur beim Kirchenbesuch in aller Munde. Fernab des Ukraine-Krieges merken auch die Verbraucher am Niederrhein unter anderem beim Brotkauf, dass Lebensmittel deutlich teurer geworden sind.

Doch die Bäckerinnung hat nicht nur Probleme mit der Akzeptanz ihrer Preise in der Bevölkerung. Auch beim Thema Ausbildung horchen verantwortliche Funktionäre seit geraumer Zeit auf, denn die Resonanz aufs Angebot stockt. Aufschlussreiche Antworten auf unsere Fragen zum Status quo einer Branche gibt uns Richard Thielen von der Bäckerinnung am Niederrhein.

dibo: Hallo Herr Thielen, bitte stellen Sie sich kurz unserer Leserschaft vor! 
Thielen: Ich bin 46 Jahre, verheiratet und habe vier Kinder, drei Jungen und zuletzt kam noch ein Mädchen und wohne am schönen unteren Niederrhein in Bedburg- Hau.
Gestartet ins Berufsleben bin ich 1993 mit einer Ausbildung in der Bäckerei meines Onkels. Es folgten die Gesellen- und im Jahr 2000 die Meisterprüfung sowie ein neben dem Beruf abgeschlossenes BWL Studium. Seit dem 1. 1 2021 bin ich Geschäftsführer der Bäckerinnung Niederrhein Kleve-Wesel.

dibo: Wie ist die wirtschaftliche Situation des Bäcker-Handwerks?
Thielen: Die wirtschaftliche Lage nach zwei Jahren Corona mit all seinen Verordnungen, Gastro-Schließungen und Beschränkungen ist angespannt. Die Umsätze sind zwar im Vergleich zum Vorjahr wieder leicht gestiegen, allerdings hat sich der Personalmangel weiter verstärkt – es wird für Betriebe zunehmend schwieriger, gute Mitarbeiter zu bekommen und Azubis einzustellen. Die Anzahl der Beschäftigten im Bäckerhandwerk ging bundesweit um zirka 5,4 Prozent zurück, die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge bundesweit sogar um 7 Prozent. Und nun kommt eine weitere Bedrohung hinzu, die explodierenden Rohstoff- und Energiepreise.

dibo: Sehen Sie Ihre Branche insgesamt gut aufgestellt?
Thielen: Die Betriebe in der Branche sind unterschiedlich gut aufgestellt. Einige haben bereits moderne Technologien im Einsatz, um den Arbeitsprozess sowohl für Produkt als auch für Mitarbeiter optimal gestalten zu können. Wieder einige arbeiten bereits fast vollständig mit erneuerbaren Energien und mancher Betrieb befindet sich noch im oder vor diesen Umstellungsprozess. Ich denke schon, dass die Mehrzahl der Betriebe gut aufgestellt ist und den künftigen Herausforderungen gewachsen sein wird.

dibo: Warum ist es so schwer, Ausbildungsplätze zu besetzen?
Thielen: Es war und bleibt schwierig, freie Stellen zu besetzen. Das Angebot ist aufgrund des demografischen Wandels (aber leider auch aufgrund der Akademisierung) nun mal größer als die Zahl der Nachfrager, zumal wir uns mit Handel, Industrie und Pflege, um nur einige Bereiche zu nennen, im Wettbewerb befinden.

dibo: Geht’s heute nicht mehr ohne Social-Media?
Thielen: Social-Media hilft vor allem dabei neue, bisher unbekannte Zielgruppen auf das eigene Unternehmen aufmerksam zu machen. Auch wir versuchen über Instagram und Facebook zu werben, um auf das Handwerk und besonders seine Vielfältigkeit hinzuweisen. Social-Media-Werbung ist schon heute die zentrale Form des Marketings und wird auch, so denken wir, in Zukunft weiter an Relevanz gewinnen.

dibo: Nicht nur Azubis machen Fehler, sondern auch die Betriebe und die Innung. Worin bestehen diese beispielsweise? 
Thielen: Meistens bestehen diese Probleme bei der Kommunikation (fehlende konstruktive Rückmeldungen, mangelnde Wertschätzung, Über- oder Unterforderung oder auch durch schlechte Integration ins Team). Einige haben auch andere Vorstellungen über die Ausbildung bzw. Arbeit im Bäckerhandwerk gehabt.
Aber Fehler machen ist leider menschlich - und wenn Betriebe oder Auszubildende einen Rat oder Hilfe brauchen, stehen unsere Türen jederzeit offen. Gemeinsam sucht man für alle Beteiligten nach einer optimalen Lösung.

dibo: Machen Backshops in SB-Märkten den regionalen Bäckereibetrieben das Leben schwer?
Thielen: Einfache Brötchen für wenige Cents sind Kampfpreise ,mit denen der Handwerksbäcker nicht mithalten kann und auch nicht mithalten will. Dass Kunden bei diesen Billig-Brötchen und Schnäppchen-Broten kaum Backtradition erwarten können, ist aber wohl auch jedem klar.
Die traditionelle Herstellung von Backwaren braucht nämlich Zeit und diese kostet. Je mehr Zeit den Backwaren bei der Herstellung gegeben wird, desto mehr Aromen entwickeln sich und umso besser wird die Qualität des Produkts.
Ein Großteil unserer Bevölkerung denkt heute mehr über die Qualität und das Preis-Leistungs-Verhältnis nach. Die wollen wieder mehr Qualität und das ist positiv für die Traditionsbäcker.

dibo: Wie sieht’s aus mit der Kombination einer handwerklichen Ausbildung mit einem Studium – geht das?
Thielen: Es gibt vielfältige Weiterbildungsmöglichkeiten im Handwerk. Es ist möglich, mit dem Meister zu studieren oder auch ein triales Studium aufzunehmen. Der Studiengang „Handwerksmanagement – Betriebswirtschaftslehre“ ist mit jedem handwerklichen Ausbildungsberuf kombinierbar. Unter der Woche absolvieren die Studierenden ihre praktische Ausbildung im Betrieb. Die Vorlesungen an der Hochschule finden am Wochenende satt. Die Meisterschule wird im 8. und 9. Semester in Vollzeit besucht.

dibo: Mal ganz ehrlich: Wie glauben Sie, wie ist die Wahrnehmung der Handwerksgilde in der Öffentlichkeit?
Thielen: Die Wahrnehmung des Handwerks in der Bevölkerung ist gestiegen. Die Bürger sehen die gesellschaftliche Bedeutung und die guten beruflichen Perspektiven. Besonders der erste Lockdown in Frühjahr 2020 hat deutlich gemacht, wie wichtig – in vielen Bereichen sogar systemrelevant – das Handwerk ist. Während die Wirtschaft in weiten Teilen heruntergefahren wurde oder sich in Home-Office verlagert hat, wurde in den meisten Werkstätten und Betrieben des Handwerks mit Abstand und unter Hygienemaßnahmen weitergearbeitet. Zudem kommt das Handwerk trotz aller Schwierigkeiten und Herausforderungen bisher besser durch die aktuellen Krisen als andere Wirtschaftsbereiche.

dibo: Auch Unternehmen im Kreis Wesel müssen auf Preissteigerungen wegen des Ukraine-Krieges reagieren. Bis an welchen Punkt kann man die Schraube weiterdrehen?
Thielen: Das hängt individuell von den Betrieben ab, wie stark diese die gestiegenen Rohstoff-, Energie- und Personalkosten an anderer Stelle (teilweise) ausgleichen können. Des Weiteren auch von der Bereitschaft der Kunden, trotz steigender Kosten nicht auf Qualität vom Bäcker verzichten zu wollen.

dibo: Wie erklären Sie dem Kunden, dass er für zehn gemischte Brötchen so viel bezahlt wie für eine Pizza im Restaurant?
Thielen: Damit wir auch weiterhin noch lange für Sie da sein können und nicht, wie viele dieser Betriebe,  schließen müssen. (Naja und der Vergleich hängt ja auch etwas, den dafür bekomme ich ja nur eine kleine Pizza).

dibo: Wie lautet Ihr sehnlichster Wunsch im Arbeitsleben?
Thielen: Mehr Zeit für die Familie zu haben.

Autor:

Dirk Bohlen aus Hamminkeln

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