Hunsrück – eine Region voller Überraschungen
Im Land der Fossilien und Treverer

Außergewöhnlich: In den heimeligen Campingpods am Rand von Gehlweiler übernachtet man direkt in der freien Natur. | Foto: Daniel Basler
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  • Außergewöhnlich: In den heimeligen Campingpods am Rand von Gehlweiler übernachtet man direkt in der freien Natur.
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Raus in die Natur, eintauchen in die Erdgeschichte, Film-Luft schnuppern oder trutzige Burgen erklimmen: Wer einmal im Hunsrück, also dem südlichen Teil des Rheinischen Schiefergebirges, unterwegs war, wird die kleine Urlaubsregion bestimmt nicht das letzte Mal besucht haben. Denn zwischen sanften Höhen und lauschigen Wäldern findet sich noch viel Überraschendes und Unerwartetes. Ein Erfahrungsbericht.

Auf allen Wänden gibt sich die Natur ihr Stelldichein: Westlich der Kastellauner Altstadt erhebt sich ein bemerkenswertes Gebilde in den Himmel – ein über und über bemaltes Trafo-Häuschen. Bienen, Vögel, Fledermäuse und Insekten bevölkern dabei alte Gemäuer, Büsche und Hecken. Eine Tafel klärt uns schließlich auf.
Der ausgediente Turm an einem Feldweg gehört zur bundesweiten Aktion „Stelen der Biodiversität“, die einheimischen Arten einen ursprünglichen Lebensraum bieten und damit zugleich bewusst machen, wie reichhaltig die regionale Natur sein kann. Auf derartige Überraschungen und Entdeckungen sind wir bei unserem ersten Streifzug durch die von Rhein, Nahe und Mosel eingegrenzte Landschaft immer wieder gestoßen, die das geographische „Herz“ von Rheinland-Pfalz bildet.
Da unser Trip vier Tage dauert, wollen wir dem Hunsrück von zwei Standorten aus näherkommen, auf eigene Faust erfahren, welche Reize im kleinen Landstrich mit seinen Fachwerk-Dörfchen, Windrädern, ausgedehnten Hochflächen mit Feldern und Wiesen, stillen Wäldern, klammartigen Tälern und artenreichen Naturparadiesen stecken. Auftakt ist im nördlichen Teil, dem Moselhunsrück, genauer dem Städtchen Kastellaun mit seiner mächtigen Burgruine, historischen Wirtschafts- und Wohnhäusern und einer Reihe schöner Ausflugsziele in der näheren Umgebung.

Im Altstadt-Zentrum ist unser Quartier, die Badische Amtskellery (der Name bezieht sich auf deren Gründung Ende des 17. Jahrhunderts durch den Markgrafen von Baden), eine Wohlfühl-Adresse mit heimischer Gastlichkeit, regionaler Küche und familiärem Service, von wo aus wir unsere Ausflüge mit beschwingtem Elan angehen. Der erste verspricht sogleich Nervenkitzel in luftiger Höhe. Mit dem öffentlichen Bus haben wir den „Durchhänger“ in ein paar Minuten erreicht – und nach 20 Minuten Spaziergang stehen wir vor einer Art „Riesenseil“, gespannt von einer Talseite zur anderen, 100 Meter über dem Erdengrund. Wir packen allen Wagemut zusammen (festes Schuhwerk ist zudem notwendig) und stapfen Schritt für Schritt über die Holzplanken voran, bis die 360 Meter überwunden sind und wir mit dem Erreichen der Betonverankerung des filigranen Bauwerks am anderen Ende wieder festeren Boden unter den Füßen haben – und frohgelaunt durchatmen.

Dass die „Geierlay“, so heißt die 2015 eingeweihte Konstruktion (sie ist in ihrer Art eine der längsten weltweit) ein Publikumsmagnet mit Adrenalinkick ist, lässt sich unschwer aus den Kommentaren der Leute heraushören, die das Bachtal auf diese Weise, leicht hin und her schwankend, mit ehrfurchtsvoller Begeisterung überqueren. „Die Passage hat schon abenteuerlichen Charakter, allerdings wird das wackelige Hinüberlaufen mit Ausblicken auf einen der schönsten Flecken Natur in Deutschland belohnt“, lobt ein Wanderer neben uns auf der Sitzbank die aufregende Erfahrung.
Da wir noch „Energie“ in den Beinen spüren, packen wir den Rückweg über die sogenannte Kleine Geierlay-Schleife (6,4 Kilometer), die zunächst am plätschernden Mörsdorfer Bach entlangführt und sich dabei zugleich auf einem idyllischen Teilstück des Saar-Hunsrück-Steigs bewegt, der mit seinen Trekking-Etappen als einer der schönsten Premium-Wanderwege (totale Länge über 400 Kilometer) Deutschlands gilt. Von dessen Charakter sind wir eindrucksvoll eingenommen, während die Silhouette der Hängebrücke hoch über unseren Köpfen schemenhaft erscheint, und wir schließlich durch verwunschene, urige Waldabschnitte den Hang steil hinauf zum Ausgangspunt marschieren und uns mit dem ÖPNV-Bus zurück zur Herberge kutschieren lassen.

Ein gutes Mahl nach Hunsrücker Art mit Kartoffelwurst und eine kleine Ruhepause sorgen dafür, dass wir uns am Nachmittag nochmals auf die „Socken“ machen – dieses Mal mit Draht-Eseln, genauer gesagt komfortablen E-Bikes, die wir vom Fahrradverleih Rent-a-Bike Meinhardt direkt nach Simmern geliefert bekommen. Somit sind wir gleich startklar und verlassen die Kreisstadt, in der einst der legendäre Räuberhauptmann Schinderhannes eingekerkert war, Richtung Pleizenhausen, um auf dem leicht zu meisternden Radrundweg Römer-Ritter-Klosterfrauen auf Wald- und Wiesenwegen (rund 30 Kilometer lang) kleine verträumte Dörfchen, archäologische Ausgrabungen und ein ehemalige Klosteranlage anzusteuern. Ein kurzweiliger Blick zurück auf 2000 Jahre Geschichte, den wir nach der gemütlichen Runde im Hunsrück-Museum mit seinen ansehnlichen Exponaten zur Natur- und Kulturgeschichte und volkskundlichen Aspekten noch mit weiterführenden Darstellungen ergänzen können.

Da das Haus zudem die Tourist-Information beherbergt, verschaffen wir uns dort gleich noch einen Überblick über unser zweites Etappenziel – den nördlichen Teil des Naturparks Soonwald-Nahe, wo wir eine etwas andere Unterkunft reserviert haben. Nach 30 Minuten Autofahrt stehen wir oberhalb von Gehlweiler mitten im Grünen vor der Mini-Lodge aus Holz – und richten uns, nachdem uns der Ortsvorsteher höchstpersönlich die Schlüssel überreichte (eine nette Geste!), sogleich im Campingpod ein, wo wir, ausgestattet mit Infrarot-Heizung, zwei Nächte mit Outdoor-Abenteuer-Atmosphäre erleben – nicht ohne auf Komfort zu verzichten.
Zu beiden frühen Morgenstunden stellt uns ein lokaler Catering-Service einen reichlich gefüllten Korb mit Bio-Frühstückszutaten vor unser Häuschen ab (ließ sich vorher einfach mitbuchen), sodass wir mit voller Energie und munter gestimmt zu unseren Exkursionen aufbrechen: Die erste beginnen wir vor Ort beim Gemeindehaus von Gehlweiler, dessen Dorf-Kulisse untrennbar mit den Film-Zyklen „Die andere Heimat“ und „Heimat“ von Edgar Reitz (er verknüpft darin Herkunft und Aufbruch, Vergangenheit und Gegenwart in Deutschland), wozu wir uns einige aufgestellte Fototafeln über die cineastische Umgestaltung in ein Dorf aus der Mitte des 19. Jahrhunderts anschauen, bevor wir ins herrliche Kellenbachtal einschwenken.
Die freien Wiesenflächen bald hinter uns lassend marschieren wir in Kehren zur Burg Koppenstein hoch, sind angetan von der fast schon alpinen Szenerie aus bizarren Quarzitfelsen und moosbewachsenen Gesteinshalden, dem Wechsel aus schmalen Waldpfaden und steileren Hang-Passagen (dabei ist Trittsicherheit unerlässlich), die unser Wanderherz freudig höherschlagen lassen. Und das wird noch getoppt: Oben auf dem Bergfried der Burgruine Koppenstein genießen wir unsere Rast mit einem 360-Grad-Rundumblick über die Hunsrück-Hochebene bis hin zum Idarkopf und Donnersberg, bevor wir nach Gemünden in gemütlichem Tempo hinuntermarschieren, einem Zentrum der vormals bedeutsamen Dachschiefer-Abbaugruben in der Region.

Aus ihnen wurden seit Anfang des 19. Jahrhunderts Tausende Tonnen hochwertiger Schieferplatten gefördert, wobei mit dem Abbau zugleich spektakuläre Fossilienfunde verbunden sind. Darunter seltene Fundstücke der vergangenen 350 Millionen Jahre, die man heute in den großen Museen und paläontologischen Sammlungen auf der ganzen Welt findet, lesen wir auf den Tafeln des geologischen Lehr-Pfads, auf dem wir ein Teilstück laufen, bis wir die knapp elf Kilometer lange Traumschleifen-Runde Heimat am Start in Gehlweiler mit einer Fülle eingesammelter (erd-)geschichtlicher und kulturräumlicher Höhepunkte mit großer Genugtuung ausklingen lassen – mit einem herrlichen Sonnenuntergang, der sich über dem sanften Bergrücken hinter dem idyllisch gelegenen Film-Dorf mit einem weich gezeichneten pittoresken Farbenspektrum abzeichnet.

Letztes Glanzlicht auf unserer kleinen Hunsrück-Höhenzug-Tour ist das wildromantische Hahnenbachtal bei der kleinen Gemeinde Bundenbach (es bildet das Zentrum der Hunsrück-, Schiefer- und Burgenstraße), das schon auf dem Weg nach Hause liegt: Ein zweites Mal nehmen wir eine Traumschleife (es gibt mittlerweile über 110 Routen dieser Premium-Tagestouren in der Wanderregion Saar-Hunsrück) in „Angriff“ – erneut eine Rundstrecke mit stimmigen Wegmarken, die leicht auf den knapp zehn Kilometern zu gehen ist. Am Fossilienmuseum Bundenbach (das Bergwerk Herrenberg nebenan ist derzeit geschlossen), dessen Präsentation vielfältiger versteinerter Tiere und Pflanzen aus einem Urmeer wir mit Staunen uns noch kurz ansehen, begeben wir uns auf den meist breiten Weg mit malerischen Ausblicken und erreichen alsbald mit der Schmidtburg (vor über 1000 Jahren errichtet war sie die mächtigste Festung im Hunsrück) ein weitläufiges Ruinenareal. Stunden könnte man hier mit Erkunden verbringen.

Wir holen dies an unserer nächsten Station, der Keltensiedlung Altburg, ein bisschen nach, einem bemerkenswerten frühgeschichtlichen Freilichtmuseum. Es entführt uns die in die späteisenzeitliche Epoche vom 3. bis 1. Jahrhundert vor Christus und veranschaulicht mit rekonstruierten Wohnhäusern und Alltagsgerätschaften die Lebenswelt einer keltischen Kleinburg, einem „Castellum“, gelegen auf einem zwei Hektar großen Bergsporn. Auf ihm sollen die Bewohner zwanzig Jahre vor dem Eroberungskrieg Julius Cäsars letztmals baulich gewirkt haben, bevor ihr Gebiet und das umliegende Land der keltischen Treverer (nach ihnen ist Trier benannt) in das römische Imperium eingegliedert worden sind, erfährt man in der in den 80er-Jahren nach archäologischer Forschung nachgebauten Anlage, dass die Spuren des großen Gallischen Kriegs mit seinen Kämpfen gegen die einheimischen Volksstämme auch in dieser geografisch kleinen Ecke des heutigen Rheinland-Pfalz Weltgeschichte greifbar machen.

Text und Fotos: Daniel J. Basler

Infos zu den Sehenswürdigkeiten, Museen, Wander- und Fahrradrouten (für Gravelbiker gibt es abwechslungsreiche Runden) und sonstigen Aktivitäten im Hunsrück finden sich auf folgenden Seiten:
www.rlp-tourismus.com, www.hunsruecktouristik.de, www.soonwald-nahe.de, www.tourenplaner-rheinland-pfalz.de, www.kreis-sim.de und www.kirchberg-hunsrueck.de

Autor:

Daniel Joel Basler aus Dortmund

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