Schüler*innen demonstrieren vor der NRW-Staatskanzlei
„Die Durchführung von Abschlussprüfungen ist derzeit unverantwortlich!“

Demonstration mit Sicherheitsabstand
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Am Montagmorgen, dem 20. April, fanden sich 15 junge Aktivist*innen – Schüler*innen, Abiturient*innen und Studierende – zu einer Demonstration gegen die von der Landesregierung beschlossene Schulöffnung für Abschlussjahrgänge und die Durchführung von Abschlussprüfungen vor der NRW-Staatskanzlei ein. Unter dem Namen Schulboykott NRW forderten sie die Landesregierung auf, ihren Plan zurückzunehmen und ein Durchschnittsabitur möglich zu machen.

Bei der Veranstaltung handelte es sich um die erste polizeilich genehmigte Demonstration seit der Verhängung der bundesweiten Kontaktsperre. Die Polizei genehmigte lediglich 15 Teilnehmende, sodass die Aktion als Stellvertreter*innendemonstration stattfand. Über 1300 Schülerinnen und Schüler, Lehrerende und Eltern nahmen über das Netz an der Demonstration teil, indem sie über die sozialen Medien ihren Namen an die Veranstalter übermittelten oder die Demonstration im Livestream verfolgten. Die innerhalb kürzester Zeit per Hashtag #WirWerdenLaut gesammelten Namen und Kommentare verständnisloser Betroffener wurden von den Aktivist*innen vor Ort laut vorgelesen, um den Betroffenen eine Stimme zu geben.

David-Luc Adelmann, Co-Initiator des Aktionsbündnisses Schulboykott und Abiturient aus Krefeld erklärt: „NRW muss das Abitur ähnlich wie Frankreich und andere EU-Staaten aussetzen. Die Abschlussnote kann aus der Leistung der Q1 und Q2 ermittelt und allen Schüler*innen eine freiwillige Prüfung zur Notenaufbesserung angeboten werden“. Damit solle Chancengleichheit bewahrt und die Infektionsgefahr minimiert werden.

Die 15 Aktivist*innen, größtenteils mit dem Fahrrad angereist, positionierten sich mit jeweils 2 Meter Sicherheitsabstand, Handschuhen und Mundschutz gegenüber der Staatskanzlei und forderten die Landesregierung dazu auf, die Stimmen der Betroffenen zu hören. So sei es symptomatisch für die Politik der Landesregierung in Fragen der Bildung vollkommen über die Köpfe der Schülerinnen und Schüler hinweg zu entscheiden.

Die Aktivist*innen stemmen sich gegen die Durchführung der Abschlussprüfungen in diesem Jahr und fordern eine Benotung anhand der bisherigen Durchschnittsnoten und freiwillige Nachprüfungen. „Während

für Abiturient*innen ab Donnerstag lediglich freiwilliger Vorbereitungsunterricht angedacht ist, müssen Tausende Abschlussschüler*innen der Haupt- und Realschulen den Schulunterricht besuchen. Damit wird die Gesundheit von Schüler*innen, Lehrenden und Familien aufs Spiel gesetzt“, so Emily Birkner, Abiturientin aus Wülfrath, „Dabei geht es hier in dieser Ausnahmesituation um Menschenleben!“

Während Wissenschaftler*innen und die Bundesregierung empfehlen, die Schulen bis mindestens zum 4. Mai geschlossen zu halten, geht das Land NRW einen anderen Weg und öffnet für Abschlussjahrgänge ab Donnerstag die Schultore. Zahlreiche Parteien, wie Grüne und Linke, sowie Verbände wie die Lehrer*innengewerkschaft GEW und der Städtetag NRW haben sich bereits gegen die überstürzte Schulöffnung ausgesprochen.

In den letzten Tagen verwies die Landesregierung immer wieder auf die umstrittene Corona-Studie aus Heinsberg, durchgeführt durch den Virologen Hendrik Streeck, der für einen schnellen Weg aus dem Lockdown plädiert. Chrstian Drosten, der die Bundesregierung zu Coronafragen berät, hält die Studie hingegen für wenig repräsentativ und nicht anwendbar auf andere Teile Deutschlands. „Da wurde immer gesagt, wir wollen Fakten schaffen und der Politik sagen, was zu machen ist“, so Drosten.1 „Da schwingt sehr stark die Implikation mit, dass das repräsentativ ist.“ Entsprechend problematisch sei aus wissenschaftlicher Perspektive die Annahme der Landesregierung, dass eine Schulöffnung zum derzeitigen Zeitpunkt nicht mit einer signifikanten Ansteckungszunahme verbunden sei, so das Aktionsbündnis.

„Frau Gebauer hat in ihrer Erklärung zur Öffnung der Schulen immer wieder auf Hessen verwiesen, wo vor kurzem Abiturprüfungen stattfanden. Dass man dort aber aktuell darüber nachdenkt, die Haupt- und Realschulprüfungen nicht stattfinden zu lassen, verschweigt die Schulministerin“, erklärt Jan-Niklas Niebisch, Anmelder der Demonstration und Schüler aus Wülfrath.

Laut Schulboykott NRW verstärke der Plan der Landesregierung die durch soziale Fragmentierung ohnehin schon große Chancenungleichheit nur noch mehr. So könnten Prüflinge die Unterrichtsangebote nicht wahrnehmen, wenn sie selbst oder ihre Angehörigen Teil einer Risikogruppe sind. Dies ließe sich auch nicht zur Genüge durch digitale Angebote kompensieren. Strukturelle Benachteiligung sei die Folge.

Laut den Aktivist*innen hätten zahlreiche Betroffene Angst, sich im Laufe des Ersatzunterrichtes anzustecken und die Krankheit an Eltern oder Verwandte weiterzugeben. Dadurch liege eine hohe psychische Belastung
auf den Schüler*innen, die in Massen auf sozialen Medien ihrem Unmut Luft machen.

„Wir laufen Gefahr, uns kopfüber in eine neue Ansteckungswelle zu begeben“, fürchtet Lukas Mielczarek, Mitglied des Düsseldorfer Jugendrates, der das Bündnis unterstützt, „Schulleitungen haben schon vielfach ihre Bedenken angemeldet und erklärt, dass sie in dieser kurzen Vorlaufzeit weder ausreichende Hygieneinfrastruktur noch genügend nicht zur Risikogruppe gehörige Lehrer*innen bereitstellen könnten. Deshalb ist ein Festhalten am Plan der Landesregierung schlicht verantwortungslos.“

Sollte es zu einer zweiten Infektionswelle kommen, könnte eine weitere Verlängerung der gesellschaftlichen Einschränkungen und eine Überlastung des Gesundheitssystems folgen. „Wir alle, ob jung oder alt, haben es mit großen Anstrengungen geschafft, die Infektionsrate auf unter 1 zu senken. Schulöffnungen zum jetzigen Zeitpunkt drohen jedoch diese Errungenschaft durch eine nicht abschätzbare Kettenreaktion zunichte zu machen. Dabei wäre es jetzt wichtig, die Infektionsrate weiter auf möglichst niedrigem, kontrollierbarem Niveau zu halten.“

Um Hygienevorschriften zur Schulöffnung zu erfüllen, müssten in den Schulen alle Waschbeckenbecken mit Warmwasser funktionieren. Toiletten- und Waschanlagen sowie Desinfektionsspender müssten nachgerüstet und ein eng getakteter Reinigungszyklus angesetzt werden. „Angesichts des ohnehin an vielen Schulen verbesserungswürdigen Hygienzustandes kann man bezweifeln, dass ausreichende Bedingungen in dieser kurzen Zeit geschaffen werden können“, so Lukas Mielczarek.

Ferner argumentieren die Aktivist*innen, dass bei flächendeckender Öffnung der Schulen Masken und Desinfektionsmittel nötig seien, die so Krankenhäusern und Seniorenheimen verwehrt blieben. Auch müssten zahlreiche Schüler*innen mit dem ÖPNV anreisen, der sich somit zum Infektionsherd entwickeln könnte.

Das Bündnis Schulboykott NRW ist ein Zusammenschluss aus Schüler*innen und jungen Engagierten. „In den letzten tagen haben sich viele Schüler*innen in ganz NRW zu Wort gemeldet. Ein offener Brief an die Landesregierung erreichte 6.000 Unterschriften. Wir wollen durch ein Bündnis diese Stimmen bündeln und zu einer starken politischen Kraft machen“, sagt Felicitas Heinisch aus Hagen, Co-Initiatorin des Bündnisses.

Das Bündnis unterstützt den Düsseldorfer Kommunalpolitikers Niclas Ehrenberg, der beim OVG Münster gegen die Entscheidung der Landesregierung Klage eingereicht hat. Da das Verwaltungsgericht Düsseldorf dafür zuständig ist, finden zur Zeit Rücksprachen mit Rechtsanwälten zum weiteren Vorgehen statt.

Demonstration mit Sicherheitsabstand
Nachmessungen - Sind es wirklich 2 Meter?
Autor:

Lukas Mielczarek (GRÜNE) aus Düsseldorf

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