Subjektives Empfinden auf der Richterbank

Ich bin im 13. Jahr als ehrenamtliche Richterin am Landgericht Duisburg tätig. Vielen Gerichtsverhandlungen habe ich beigewohnt, habe "Recht" mitgesprochen, versucht objektiv zu bleiben, das Für und Wider abzuwägen. Die meisten Verhandlungen bereiteten mir keine Kopfzerbrechen, aber oft ging ich mit Magenschmerzen und Trauer im Herzen heim. Wenn zum Beispiel heimtückischer Mord verhandelt wurde, ober wenn es um sexuellen Missbrauch von Kindern ging. Einmal in den ganzen Jahren fühlte ich mich persönlich bedroht, und dieses Gefühl war ein ganz mieses.

Es ist 8.30 Uhr an einem Freitag. Ich habe die Ladung zur Verhandlung am Landgericht Duisburg vor 3 Wochen bekommen. Ich versuche zu erkunden, was heute “auf dem Programm” steht. Es hängt noch kein Aushang neben der Tür zum Gerichtssaal. Später lese ich die Termine: 9.00 Uhr...., 10.00 Uhr...., schön, dann sind wir früh fertig. Ich setze mich auf die Bank vor dem Beratungszimmer und warte auf den 2. Schöffen und den Richter. Beide kommen etwa zeitgleich an. Heute hat eine Richterin den Vorsitz der Verhandlungen. Als wir um 9.05 Uhr in den Gerichtssaal gerufen werden, ist die Welt noch in Ordnung. Doch das sollte sich schnell ändern.

Wegen Fahnenflucht ist der Angeklagte zu 6 Monaten auf Bewährung verurteilt worden. Dagegen ging er in Berufung. Ein junger Mann, der sich selbst als Totalwehr-/Kriegsdienstverweigerer und Anarchist bezeichnet. Sein Verteidiger, noch kein Jurist, aber als Verteidiger zugelassen, sitzt neben ihm. Beide im gleichen legeren Aufzug wie auch das 14 Personen umfassende Publikum, welches auf den Besucherstühlen “Platz” genommen hat, respektive sich auf den Besucherstühlen lümmelt. Rastazöpfe, Kleidung wie aus der Mülltonne gezogen, einen Säugling “im Gepäck”, in Rucksäcken scheinbar die ganze Habe dabei, so bietet sich uns das Bild der Autonomen. Ich versuche das alles zu übersehen. Ich als Schöffin bin verpflichtet, neutral zu urteilen. Egal, wer und wie jemand vor mir sitzt.

Als die Richterin jemanden aus dem Publikum bittet die Tür zu schließen, sagt ein älterer Mann: “Die Tür haben wir offen gelassen, damit die Gerechtigkeit herein kommen kann.” Dieser Satz klärt uns darüber auf, wo es langgehen wird. Der 1. Eklat findet gleich mit unserem Eintritt in den Gerichtssaal statt. Nur der Staatsanwalt, der Verteidiger, die Gerichtsschreiberin und wir stehen. Der Angeklagte und seine Crew bleiben demonstrativ sitzen. Er macht keine Angaben zur Person, besteht aber darauf, eine 120 Minuten dauernde Erklärung vorzutragen, um seine Sicht der Dinge und sein Handeln zu erläutern. Die Richterin genehmigt dies, so dass der 2. Termin um eine Stunde verschoben werden muss und wir die weitere Verhandlung auf den Nachmittag festlegen müssen.

Während seiner Erklärung gerät der Angeklagte mehrmals in Zorn. Es gibt Geschrei von Seiten des Angeklagten, des Staatsanwaltes, des Verteidigers und der Richterin, die sichtlich bemüht ist, die Sache nicht aus dem Ruder laufen zu lassen. Die Worte des Staatsanwaltes und der Richterin werden vom Publikum lautstark kommentiert. Es herrscht bereits am Vormittag eine starke Spannung im Saal und mein Bauch signalisiert Furcht. Die Geduld der Richterin wird auf eine harte Probe gestellt. Ich bewundere sie dafür, dass sie vieles einfach nicht beachtet sondern übergeht. Ich glaube, ein weniger duldsamer Richter hätte die ganze Gesellschaft einfach verhaften lassen. Anlass dazu wird zur Genüge gegeben. Wir Schöffen verzichten auf unser Fragerecht. Auch wir erkennen, dass der Angeklagte nur darauf aus ist, eine Diskussion zu entfachen. Eine Frage unsererseits wird unweigerlich eine Redeflut seinerseits auslösen; es ist ermüdend. “Der Staat ist Scheiße, der Staat ist zum Kotzen, alle Soldaten sind Mörder.... so geht es in einer Tour. Ich würde am liebsten aufstehen und gehen. Ich weiß, wenn wir das Urteil bestätigen, gibt es Ärger. Und wenn wir dem Antrag des Staatsanwaltes folgen, nämlich die Bewährung aufheben, dann wird es noch mehr als Ärger geben. Mir wird leicht übel, als ich den Faden in Gedanken weiter spinne.

In der Pause, wir haben die Fortsetzung der Verhandlung auf 14.30 Uhr festgesetzt, sitze ich vor dem Gericht im Park auf einer Bank, durch Sträucher vor Blicken geschützt. Die Autonomen sind dabei, mitgebrachten alkoholischen Getränke zu verkonsumieren und ein “bisschen Randale” zu machen. Es gelingt den Wachleuten nur schwer, sie zur Ordnung zu rufen. Der weitere Verlauf der Verhandlung ist der 2. Akt von morgens. Beschimpfungen und Verunglimpfungen des Staates prasseln wie Hagelkörner auf uns herab. Ich weiß, dass es zum Eklat kommen wird. Gegen 17.30 Uhr ziehen wir uns zur Beratung zurück. Wir lehnen sowohl den Antrag des Verteidigers “Freispruch” wie auch den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Zurücknahme der “Bewährung” ab. Es ist später Freitag, nur noch zwei Wachleute sind im Haus. Alle Bediensteten sind in ihr verdientes Wochenende gegangen. Den Gerichtssaal betrete ich mit zittrigen Knien.

Als die Richterin das Urteil verliest, geht der Tumult los. Er, die “Gewalt so sehr verachtende” Angeklagte, bzw. nun Verurteilte springt auf. Beschimpft die Richterin als “blöde Kuh, du hast mir gar nichts zu sagen. Ihr habt nichts, aber auch gar nichts kapiert. Ihr habt mir überhaupt nicht zugehört .... und so weiter, und so weiter. Auch das Publikum bringt seine Entrüstung lautstark zum Ausdruck. Der Verurteilte rennt aus dem Gerichtssaal, der Verteidiger droht Revision an.

Nach dem Ende der Verhandlung bleiben wir noch 15 Minuten im Beratungszimmer in der Hoffnung, dass die Gruppe sich vom Gerichtsgebäude entfernt. Der Gerichtsschreiber, welcher die ganze Zeit anwesend war, schaute vorsichtshalber nach, aber leider halten sie sich noch vor dem Gebäude auf. Die Richterin geht in ihr Büro, wir Schöffen fahren mit dem Aufzug in den Keller, um über den Hof das Gericht zu verlassen. Die beiden Wachleute, die wegen dieser langen Verhandlung noch im Dienst sind fragen uns, ob wir im 256 waren. Auf unsere Zustimmung sagt einer mit gerunzelter Stirn...oh...oh...oh. Der Beamte ist so freundlich und fährt uns mit seinem PKW zur nächsten Bushaltestelle.

Erst in diesem Augenblick ist mein subjektives Sicherheitsgefühl wieder im grünen Bereich.

Autor:

Ingrid Lenders aus Duisburg

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