...und es gibt ihn doch!

Ein paar Tage vor Ostern kam der Anruf, bevor unsere Enkelin selber kam. Es ist schon etliche Jahre her, aber unvergessen:

„Oma, kannst du Tiere?"

Da ich unsere Anna gut kenne, brauchte ich nur kurz zu überlegen, was sie damit meinte, „ähm, meinst du…..malen?"
„Ja, für die Osterkörbchen. Du musst Pappe kaufen in rot, gelb, weiß, grün, blau und lila. Und dann noch Kleber, Tesa, einen Tacker brauchen wir auch und ..."
„Anna, nein, wir brauchen doch nicht..."
„...doch, Oma. Und dann kaufst du noch Watte. Und Stifte zum Anmalen. Und einen Edding."

Ich sah sie vor mir, wie sie dastand zuhause mit dem Telefon, das fast so groß war wie ihr Gesichtchen, die Augen zusammengekniffen, den Daumen gegen den Zeigefinger gepresst und angestrengt nachdachte. Offensichtlich fiel ihr im Moment nichts mehr ein. Aber wir hatten ja auch schon 3 Zettel an der Pinnwand hängen. Eigentlich reichte das.

„Hast du alles aufgeschrieben? Kaufst du das schon gleich morgen? Nicht erst, wenn ich komme. Wir müssen dann sofort anfangen mit Basteln. Aber erst musst du die Tiere aufmalen. Ich schneide sie dann aus. Und dann kleben wir, und, und… und, Ooomaaa, das ist gaaaanz viel Arbeit. Wir müssen ganz viele Körbchen basteln. Jeder kriegt eins, auch der Opa. Das sind, warte mal, Mama und Papa, ich und Max, Opa und du...6 Körbchen. - Kannst du 6 Tiere?“

Ich schluckte. Malen gehört nicht unbedingt zu meinen Stärken, es wird nur noch übertroffen vom schlecht basteln können. Ich hasse Basteln. Aber das hätte ich natürlich niemals gewagt zu sagen, weder früher bei meinen Kindern noch heute bei den Enkeln. „Aber sicher", säuselte ich tapfer in den inzwischen nach 47 Minuten heiß glühenden, glibberigen Hörer, „ich besorge alles, und dann basteln wir beide die schönsten Körbchen, die der Osterhase jemals gesehen hat."
Anna glaubte nämlich noch felsenfest an gütig-großzügige Wesen wie den Osterhasen und das Christkind, und sie ließ sich auch nicht beirren von anderen Kindern, die längst auf- und abgeklärt waren und ihre Weisheiten überall lauthals verkündeten. „Gut", sagte sie, „dann gib mir jetzt mal den Opa."

Ich malte auf grüner, gelber, roter, blauer, weißer und lilafarbener Pappe großflächige Tiere auf. Richtig hübsche Tiere, die man sogar mit etwas gutem Willen erkennen konnte. Ich war total stolz auf mich.

Dann kam die Inquisition. Einmeterfünfundzwanzig geballte Energie, die mit gerunzelter Stirn meine Meisterwerke in Augenschein nahm.
„Gell, Oma, du weißt aber schon, dass das nur einfache Tiere sind. Wir brauchen doch alles doppelt, immer zwei, die muss man doch gegeneinander klappen können. Wie sollen das sonst Körbchen werden? - Aber schön gemalt hast du sie", schob sie gnädig nach.
Ich war richtig dankbar.

Sie hatte natürlich Recht. Wenn ich mir das so im Einzelnen überlegte, brauchten wir zwei spiegelbildlich gleiche Tiere mit einem breiteren Boden dazwischen und am besten noch einem Henkel oben dran. Hätte ich mir ja eigentlich selber denken können, aber ich hatte mich so aufs Malen konzentriert…

Nach zwei Stunden und drei komplett fertigen Körbchen bemerkte ich plötzlich irgendwann, dass ich keine Regieanweisungen mehr bekam und es verdächtig still um mich herum geworden war.
Anna war weg. Ich war allein. Mutterseelen allein mit meinen unfertigen Körbchen, dem überquellenden Küchentisch voller Pappreste, verquirltem Tesa, Kaffeepot, ausgelaufenem Kleber und flusiger Watte. Einfach allein gelassen.

Irgendwann viel später, als ich triefend und schielend vor ungewohnter Anstrengung mein kreatives Werk beendet hatte, trudelte der Rest der Familie wieder ein. Doch statt mich auf den Arm zu nehmen, oder mir mal kurz lobend über den Hinterkopf zu streicheln, genügte ein kurzer, angewiderter Blick über den Küchentisch, und ich war wieder allein.

Nachdem Anna die unterschiedlichen Körbchen begutachtet und abgenommen hatte, schoss ihr plötzlich siedendheiß durch den Kopf, dass der Osterhase ja gar nicht wusste, wohin mit all seinen guten Sachen. Er vermutete Anna und Max doch zuhause. Dabei waren sie bei Oma und Opa! Das durfte nicht daneben gehen! Auf gar keinen Fall.
„Oma, ich muss dem Osterhasen schreiben. Du musst mir sagen, wie ich ihm schreiben soll."
Schreiben konnte sie noch nicht, nur ein paar Großbuchstaben.
Aber das hielt sie nicht ab.

Und siehe da, es klappte. Am Ostermorgen war der Zettel war weg, der Osterhase hatte ihn offensichtlich gelesen, denn die bunten Eier waren tatsächlich bei Oma und Opa im Garten versteckt!

Auszug aus meinem Buch "Himbeerrote Knallbonbons"

Autor:

Christel Wismans aus Emmerich am Rhein

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