Das Kinder-Höllenschicksal - die himmlische Hilfe

Im Gespräch: Wilma Neuwirth (links), Koordinatorin des Ambulanten Kinder-Hospizdienstes sowie die Ehrenamtliche Beatrix Zumbrink. | Foto: Gohl
2Bilder
  • Im Gespräch: Wilma Neuwirth (links), Koordinatorin des Ambulanten Kinder-Hospizdienstes sowie die Ehrenamtliche Beatrix Zumbrink.
  • Foto: Gohl
  • hochgeladen von Frank Blum

Ein Zeitungsartikel vom Kinder PalliativNetzwerk Essen elektrisierte Beatrix Zumbrink!

Gespannt bin ich auf diese Frau. Wie wird sie aussehen, die so etwas Unglaubliches macht? Beatrix Zumbrink steht in der Tür – strahlend. „Kommen Sie rein.“ Kaffee, Plätzchen locken auf dem Tisch. Aufgeregt bin ich. Das Thema schlägt auf meinen Magen. Was die Altendorferin seit über 18 Monaten macht, ist engelhaft. Auslöser? „Vor zwei Jahren las ich einen Zeitungsartikel, dass das Kinder PalliativNetzwerk Essen Ehrenamtliche sucht…“

Es liest sich schnell: Kinder PalliativNetzwerk Essen - Beratung, Begleitung, Unterstützung für Familien mit lebensverkürzend erkrankten Kindern. Dahinter steht das schleichende, abzusehende Ende eines Kinderlebens!

Rückblickend: „Ehrenamtliche und Ausbilder wurden gesucht. Ich hatte beim Lesen ein richtiges Aha-Erlebnis. Meldete mich. Wurde sieben Monate auf die Arbeit in einer Gelsenkirchener Familie vorbereitet. Man muss sich mit Tod, Trauer und Abschied auseinandersetzen. In kleinen und großen Gruppen, 25 Personen, sprachen wir darüber. Die betroffenen Familien geraten ja abrupt aus dem Gleichgewicht, Eltern sind überfordert, einer muss den Beruf aufgeben, um sich intensiv um das erkrankte Kind kümmern; Geschwister fühlen sich benachteiligt.

Da beginnt die Arbeit der Ehrenamtlichen, die in die Familie gehen, sie unterstützen“, beschreibt bescheiden die 49-Jährige ihre Hilfe. Wobei sie mit Familie, 19-jährigem Sohn, Notariatssachbearbeiterin in Teilzeit, eigentlich genug ausgelastet ist.

Doch „ihre“ betreuende Familie in Gelsenkirchen sprengt den Rahmen alles Vorstellbaren. Drei von vier Mädchen in einer Familie sind todkrank! Todgeweiht.
„Sie leiden an einer erblich bedingten Stoffwechselkrankheit. Der Tod hat einen Namen: Metachromatische Leukodystrophie. Die Krankheit gibt es auf der Welt ganz selten. Die Kinder erleben nichtmehr das Erwachsensein. Wenn nicht ein Wunder passiert…

Bei unserem Gespräch ist auch Wilma Neuwirth dabei, Koordination des Ambulanten Kinder Hospizdienst im Kinder PalliativNetzwerk Essen. Sie verdeutlicht: „Das Gemeine an dieser Krankheit – die Auffälligkeiten kamen erst, als die Mutter mit dem dritten Kind schwanger war. Die Kleinen entwickeln sich zunächst normal, dann nicht mehr weiter, eher rückwärts. Beispiel: Vorher laufen sie, plötzlich folgt häufiges Stolpern.“ Die ersten Symptome treten meist bereits im Kindesalter auf und verlaufen chronisch progredient. Als Hauptsymptome treten zunächst schlaffe Lähmungen auf. Im Verlauf entwickeln sich spastische Lähmungen.

Gleiche Symptome bei der jetzt 7 ½-Jährigen. „Irgendwann war den Medizinern klar, da muss was Anderes als „Entwicklungsverzögerung“ dahinter stecken. Als aber die Ärzte das genaue Ergebnis wussten, war das dritte Kind unterwegs. Mittlerweile sind die beiden Älteren ganz, ganz schwer krank. Bereits bettlägerig. Die fast Neu-Jährige schafft körperlich nicht mehr die Schule. Die Zweit-Älteste wird ab und zu vom Krankentransport abgeholt, besucht dann eine Schwerbehinderten-Schule. Die sechs-Jährige bekam Knochenmarktransplantation, verbrachte viel Zeit in Krankenhäusern. So oft wie möglich besucht sie den Kindergarten im Rollstuhl. Nur die Jüngste, zweieinhalb-jährig, ist nachgewiesen gesund, flitzt täglich freudig in die KiTa.

Woher nimmt Beatrix Zumbrink die Kraft? Wie hilft sie? „Es sind ganz süße Mädchen. Ich bin für alle da – nach Bedarf. Die beiden Kleinen hole ich vom Kindergarten ab. Zuhause essen wir zusammen, spielen, ich lese vor…Die beiden Großen sind komplett bettlägerig, nehmen mich teilweise kaum wahr. Ihnen singe ich was vor, Streichel sie, kuschel mit ihnen. Wir haben keinerlei Berührungsängste. Für die Eltern bin ich Gesprächspartnerin. Natürlich wachsen mir die Kinder, die Familie ans Herz. Gibt es Probleme, Fragen, gebe ich die an Wilma Neuwirth weiter.

Monatlich einmal treffen wir uns mit der Gruppe zum Austausch. Das ist sehr, sehr wichtig. Jeder erzählt von seiner Familie, wenn was nicht so gut läuft. Wir müssen uns aber auch zurückziehen bei Entscheidungen, die die Eltern treffen – auch wenn wir da ganz anderer Meinung sind. Sie sind „Chef im Ring“, haben ihren Erziehungsstil. Als Ehrenamtliche schenke ich der Familie Zeit. Die steht so unter Druck. Mal kann dadurch die Mutter eine Stunde schlafen…Ich bekomme Lächeln, Umarmungen zurück. Das ist unheimlich schön.“

Wilma Neuwirth zitiert Cicely Saunders: „Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben.“Tiefe Verneigung vor Beatrix Zumbrink und alle Ehrenamtlichen. Ohne solche Menschen würde unsere Gesellschaft nicht funktionieren.

Leider ist Anna vor kurzem verstorben. Sie hat noch sehr gelitten, und der Familie geht es dementsprechend momentan nicht gut...

Das KinderPalliativNetzwerk Essen, Beethovenstr. 15, T. 27508-123,
email: KinderPalliativNetzwerk@skf-essen.de
ist ein ambulantes Angebot für Familien mit Kindern, die an einer Krankheit leiden, die zum Tode führt. 2006 gegründet, um die ambulante palliative Versorgung von lebensverkürzend erkrankten Kindern in der Region Essen zu verbessern. Die Beratungsstelle trägt dem Wunsch der Familien Rechnung, dass das erkrankte Kind Zuhause leben und auch sterben kann.

Beteiligte Gründer
Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin im Universitätsklinikum Essen,
Kinderklinik des St. Elisabeth Krankenhauses Essen
niedergelassene Pädiaterinnen in der Stadt Essen,
ambulante Kinderkrankenpflege,
Referat für ambulante Pflege und ambulante und stationäre Hospizdienste des Caritasverbandes für das Bistum Essen,
Sozialdienst katholischer Frauen Essen-Mitte e.V. – er setzt als Träger mit der Beratungsstelle des KinderPalliativNetzwerke Essen als zentrale Anlaufstelle diese Idee 2006 mit den Kooperationspartnern verantwortlich um.

Im Gespräch: Wilma Neuwirth (links), Koordinatorin des Ambulanten Kinder-Hospizdienstes sowie die Ehrenamtliche Beatrix Zumbrink. | Foto: Gohl
Autor:

Ingrid Schattberg aus Essen-West

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

39 folgen diesem Profil

9 Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.