30 Jahre und ein geschärfter Blick nach vorn

Joachim Poß (links) und Frank-Walter Steinmeier: Zwei Politiker auf gleicher Wellenlänge. Da ist es auch kein Wunder, dass Steinmeier während seiner Abwesenheit Poß zu seinem „Ersatz“ als Fraktions-Chef erklärt hat. | Foto: Foto: SPD GE
  • Joachim Poß (links) und Frank-Walter Steinmeier: Zwei Politiker auf gleicher Wellenlänge. Da ist es auch kein Wunder, dass Steinmeier während seiner Abwesenheit Poß zu seinem „Ersatz“ als Fraktions-Chef erklärt hat.
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Der ehemalige Vizekanzler, Außenminister und SPD-Vorsitzende und heutige Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Frank-Walter Steinmeier sorgte vor einigen Monaten abseits des politischen Parketts für Schlagzeilen. Er spendete seiner Frau eine Niere, um damit ihr Leben zu retten. Das machte aber auch eine Vertretung als Fraktionschef der SPD im Bundestag für die Zeit seiner Wiedergenesung nötig. Und die fand er in dem langjährigen Gelsenkirchener Bundestagsabgeordneten Joachim Poß.
Am Montag (25.) endete für Joachim Poß die Interims-Lösung, da sich Frank-Walter Steinmeier zurückmeldete. Der Stadtspiegel sprach mit dem Gelsenkirchener Abgeordneten über seine Zeit als „Chef“ der SPD-Bundestagsfraktion.
„Ich bin stolz darauf, dass Frank-Walter Steinmeier mich auf seine Vertretung angesprochen hat, weil ich es als eine Ehre empfinde. Und darum war es natürlich keine Frage, dass ich sofort zugesagt habe“, berichtet Joachim Poß. Ob Steinmeier ihn ins Auge gefaßt hat, weil er zu den dienstältesten stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden gehört oder weil er sich sicher war, dass Poß die anstehenden Zusatzaufgaben bewältigen würde, weiß der Abgeordnete selbst nicht.
Auch wenn Steinmeier so weit wie möglich die Termine schon im vorhinein gesteuert hat, bedeutete die Vertretung für den Gelsenkirchener ein deutlich gestiegenes Arbeitspensum . „Ich war die meiste in Berlin und auch gern mal 14 Tage am Stück“, lacht der Politiker, der wann immer er konnte auch Wahlkreistermine in Gelsenkirchener wahrnahm. Für seine Gattin war es eine Selbstverständlichkeit und sie besuchte ihn häufiger als sonst in Berlin. Denn in seiner „Amtszeit“ fielen auch der 3. Oktober, der zum 20. Mal gefeiert wurde, und der Parteitag.
Sogar sein runder Jahrestag im Bundestag geriet über seine Interims-Doppelfunktion in Vergessenheit. Denn der Abgeordnete, der eigentlich Fraktionsvize und finanzpolitischer Sprecher seiner Fraktion ist, konnte am 5. Oktober 30 Jahre im Bundestag feiern.
„Hätte ich auch, wenn ich nicht als Fraktionschef selbst die Ehrung eines anderen Abgeordneten für 30 Jahre hätte vornehmen müssen. Leider ist Hermann Scheer, den ich dafür ehren durfte, inzwischen verstorben. Er erinnerte mich sogar noch daran, dass wir beide seit 30 Jahren dem Bundestag angehören“, schildert Poß.
Die Nachricht vom Tod des Abgeordneten erreichte Po0 im Weserbergland, wo er mit seiner Frau ein paar Tage abseits der Politik verbringen wollte. Denn als Fraktionschef hatte er auch die Aufgabe der Kondolenz.
„Der Fraktionschef ist wirklich in beinahe alles involviert. In große Sachprobleme ebenso wie in personelle Dinge. Als ‚Chef‘ braucht man den Durchblick in alles, als Stellvertreter arbeitet man in seinem bestimmten Arbeitsfeld. Aber ich habe auch weiterhin in meinem Schwerpunkt Finanzen weitergearbeitet. Nach der morgendlichen Lagebesprechung und der Klärung organisatorischer Dinge und zusätzlicher Termine, kam meine eigentliche Tätigkeit zum Zuge“, erläutert Poß.
Diese Erfahrung und auch seine 30 Jahre im Bundestag zeigen dem Gelsenkirchener aber auch, dass er immer nach vorn schauen muss und weniger zurück. „Das ist auch gut so, weil der Blick eines Politikers immer nach vorn gerichtet sein muss. Wichtig ist im Nachhinein nur, was in den Geschichtsbüchern steht“, glaubt Poß.
Und da kann er nach 30 Jahren einiges nachlesen, an dem er beteiligt war: Den Wechsel im Kanzleramt von Schmidt auf Kohl, „16 Jahre Opposition, die gern auch kürzer hätten ausfallen dürfen, es war eine zu lange Zeit, die aber auch abhärtet“, die Wende, die Deutsche Einheit und „dann elf turbulente Regierungsjahre in veränderten Koalitionen“.
Sein Schwerpunkt „Finanzen“ war involviert in die Staatsfinanzen, die Rettung der Gewerbesteuer, die Unternehmenssteuerreform oder die Stärkung der kommunalen Finanzen.
Da die Finanzen immer wieder in verschiedenste Bereiche einfließen, hat Poß viele Berührungspunkte zu den unterschiedlichsten Themen. Als Mitglied des SPD-Präsidiums und des Fraktionsvorstandes bekommt er Einblicke in quasi alle wichtigen Vorgänge.
Zum Zusammenspiel mit den Vertretern anderer Parteien schildert Poß: „Ich hatte grundsätzlich noch nie Probleme mit Abgeordneten anderer Parteien. Aber ich muss sagen, die Zeit der Großen Koalition hat für einen entspannteren Umgang gesorgt. Das hat dann auch dazu geführt, dass so manch ein CDU-Abgeordneter nach der Koalitionsbildung mit der FDP der Großen Koalition nachgetrauert haben.“
Zur aktuellen Diskussion und Gesetzgebung zur Hartz IV-Reform bezieht Poß klar Stellung. „Es geht bei der Sache nicht um eine Erhöhung von 5, 10 oder 20 Euro, sondern um die Forderung des Verfassungsgerichtes nach einem transparenten Verfahren. Darum halten wir auch weiterhin am Mindestlohn fest und lassen uns von der Bundesregierung und hier namentlich Frau von der Leyen keine Verzögerungstaktik vorwerfen.“
In Sachen Bildungsgutscheine sieht der Abgeordnete noch viel Diskussionsbedarf, da die Arbeitsministerin eine Idee der Großen Koalition zwar weiterentwickelt, aber nicht im Sinne der eigentlichen Ideengeber.
Die Nachricht vom Tod Loki Schmidts war auch für Joachim Poß ein tiefer Einschnitt, da er sie in seiner frühen Zeit als Abgeordneter als „First Lady“ kennen gelernt hatte: „Loki Schmidt war eine beeindruckende Persönlichkeit, die schon früh die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gelebt hat (bis zu Helmut Schmidts Amtsantritt als Bundeskanzler war sie als Lehrerin tätig). Neben ihrer beanspruchenden Aufgabe als Ehefrau eines Spitzenpolitikers, der zudem auch acht Jahre Bundeskanzler war, engagierte sie sich auch für den Natur- und Umweltschutz. Ich habe alle ihre Fernsehinterviews mit großem Gewinn gesehen.“

Autor:

silke sobotta aus Gelsenkirchen

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