Bewerber-Notstand in den Nicht-Traumberufen

Stefan Hipler, Christian Jansen und Melanie Wardecki sind Azubis des Hotel Maritim in Gelsenkirchen und haben viel Spaß bei der Arbeit. Foto: Gerd Kaemper
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  • Stefan Hipler, Christian Jansen und Melanie Wardecki sind Azubis des Hotel Maritim in Gelsenkirchen und haben viel Spaß bei der Arbeit. Foto: Gerd Kaemper
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Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) schlägt sieben Wochen vor dem Start des neuen Ausbildungsjahres Alarm, denn allein für Köche gibt es derzeit in Gelsenkirchen noch elf offene Ausbildungsstellen, die keiner haben will. Obwohl das Arbeitsamt noch 1.363 junge Leute ohne Ausbildungsplatz verbucht.

Von Silke Sobotta

GE. „Bei der Arbeitsagentur in Gelsenkirchen sind derzeit allein für den Beruf des Kochs elf offene Lehrstellen gemeldet. Insgesamt sind in der Gastronomie 44 Ausbildungsplätze unbesetzt – von der Restaurantfachfrau bis zum Hotelkaufmann. Auch im Bäckerhandwerk gibt es Nachwuchssorgen. Den Lehrstellen gehen schlichtweg die Bewerber aus“, sagt Yvonne Sachtje, Geschäftsführerin der NGG-Region Gelsenkirchen-Herten.

Die Gewerkschaft spricht von einem drohenden Personal-Engpass in Restaurants, Hotels und Bäckereien in Gelsenkirchen: Nach Einschätzung der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) droht dem Gastgewerbe und dem Bäckerhandwerk in der Region ein massiver Nachwuchsmangel.
Den Grund dafür sieht die Gewerkschaft in der „Unattraktivität der Ausbildungsplätze, fehlenden Perspektiven, geringer Bezahlung und überlangen Arbeitszeiten. „Letztendlich haben es die Chefs selbst in der Hand, ob in den Restaurants künftig nur noch auf Sparflamme gekocht werden kann...“, so Sachtje.
Michael Kinzler, der Pressesprecher der Agentur für Arbeit in Gelsenkirchen, bestätigt, dass derzeit eigentlich auf jeden offenen Ausbildungsplatz zwei Bewerber kommen. Nur gerade die Berufe im Gastronomie-Gewerbe scheinen unter Imageproblemen zu leiden.
„Die Mitarbeiter der Berufsberatung bleiben bei ihren Gesprächen natürlich neutral, sie würden nie zu einer Entscheidung zwingen. Dass die Zahl der offenen Stellen gerade in der Lebensmittelbranche, zu der zum Beispiel auch die Bäckereifachverkäuferinnen zählen, nicht von den Jugendlichen angenommen werden, liegt am fehlenden Interesse“, vermutet Kinzler.
Andererseits sieht der Fachmann den Prozess der Stellenfindung zur Zeit noch sehr im Fluss. „Viele junge Leute halten sich verschiedene Wege offen und bleiben auf der Liste der Suchenden, obwohl sie vielleicht mit dem Gedanken spielen, die Schule fortzusetzen, ein Freiwilliges Soziales Jahr oder ein Studium anzustreben. Die wahren Zahlen werden sich erst Ende Juli/Anfang August herauskristallisieren“, glaubt Michael Kinzler.
Der Stadtspiegel erkundigte sich in verschiedenen Bereichen des Gastro-Gewerbes nach dem derzeitigen Besetzungsstand, des am 1. September neu starteten Ausbildungsjahres. Fakt ist: Es gibt tatsächlich noch Ausbildungsplätze für interessierte junge Leute. Diese müssten dabei aber auf ihren Traumberuf verzichten und offen sein für Neues, das bisher vielleicht nicht auf ihrem Lebensplan zu finden war, aber trotzdem ansprechend sein kann, wie zu erfahren war.

Der Hotelbereich bietet verschiedene Berufe

Das Maritim-Hotel in Gelsenkirchen ist ein bekannter Ausbildungsbetrieb. Pro Jahr werden drei junge Leute zu Köchen, drei weitere zu Restaurantfachleuten und alle drei Jahre ein Hotelfachangestellter ausgebildet, so dass jedes Jahr durchweg fast 20 Azubis das Haus durchlaufen.
Darum weiß Hotel-Direktor Walter Chytra auch, wovon er redet, wenn er sagt: „Ich verstehe nicht, warum es für die Berufe des Kochs oder Restaurantfachangestellten so wenig Interessenten gibt. Bei beiden handelt es sich um facettenreiche Berufe, die den Arbeitnehmer mit vielen Menschen und nicht zuletzt auch Prominenten in Kontakt bringen.“
Chytra glaubt, dass bei vielen jungen Leuten erst einmal die Neigung geweckt werden müsste für diese Berufe, die längst nicht mehr so anstregend sind wie noch vor Jahren. „Heute werden die Kartoffeln und das Gemüse fertig geschält und geputzt angeliefert. Früher hatte ein Auszubildender in den ersten Woche nichts anderes zu tun als genau diese Arbeiten auszuführen.“
Dafür erwartet der Hotel-Chef heute auch das Abitur von seinen Azubis, denn seiner Meinung nach mangelt es nicht nur an der Quantität, sondern auch der Qualität der Interessenten.
„Ein Koch muss nicht mehrere Sprachen beherrschen, obwohl es wünscheswert wäre, wenigsten Englisch zu sprechen und sich die Küchenfachsprache Französisch anzueignen. Dafür gibt es aber auch fachliches Knowhow für die jungen Leute. Ein Restaurantfachangestellter bringt ja auch nicht nur Teller und Getränke an den Tisch. Er flambiert und arrangiert und gibt ähnlich wie der Koch Auskünfte zur Speisekarte und den Speisen selbst“, schildert der Hotel-Chef, der selbst eine Lehre zum Koch absolviert hat.

Backhandwerk bildet mehr als nur Bäcker aus

Pro Jahr 60 Auszubildende zählt die Bäckerei Malzer in ihren derzeit 140 Filialen im Ruhrgebiet. In diesem Jahr beklagt das Unternehmen erstmals 20 offene und nicht zu besetzende Stellen für angehende Bäcker, Bäckereifachverkäuferinnen, Systemgastronomen und Fachkräften für Lebensmitteltechnik.
„Wir haben keine Ahnung, woran das liegt“, schildert Oliver Hein, Leiter der Marketing bei Malzer‘s Backstube. „Zuerst fassen wir uns dabei natürlich an die eigene Nase und suchen nach dem Grund und ob es was mit uns zu tun hat. Aber das glauben wir nicht, weil wir überdurchschnittlich bezahlen, auch bei den Azubis, und Zuschläge für Sonn- und Feiertagsschichten zahlen. Auch an den Chancen nach der Ausbildung kann es nicht liegen, denn wir übernehmen unsere Azubis mit einer Quote von 90%. Unsere Fachkraft zur Systemgastronomin, die gerade ihre Prüfung macht, wird zum Beispiel sofort als Filialleiterin übernommen.“
Aber woran liegt es dann? Hein vermutet die extrem späten Ferien und weil vielleicht viele Schulabgänger versuchen, am Ende das Beste zu geben, um ein endsprechend gutes Abschlusszeugnis zu bekommen. Darüber gerät vielleicht die Zukunft ein wenig ins Hintertreffen. Denn auch die Agentur für Arbeit kann der Großbäckerei keine Interessenten vermitteln.
Dabei reichen die Voraussetzungen vom Hauptschulabschluss für die Bäcker und Bäckereifachverkäuferinnen bis zum Realschulabschluss für die Fachkraft für Lebensmitteltechnik. „Wichtig ist uns Wille und Engagement“, wirbt Oliver Hein.

Im Restaurantbereich sind gute Leute rar

Sami Nofal, der Betriebsleiter des Restaurant Heiner‘s am Nordsternpark, kennt ebenfalls das Problem der Suche nach den passenden Azubis.
„Wir haben hier bisher jedes Jahr jeweils eine Restaurantfachkraft und einen Koch ausgebildet. Das ist immer wieder eine mühselige Suche nach passenden Bewerbern. Dabei können wir auch Perspektiven bieten, denn in diesem Jahr haben wir zwei Auszubildende direkt übernommen, weil sie einfach gut waren“, schildert der Betriebsleiter.
Für das neue Ausbildungsjahr ab September geht das Heiner‘s nun nicht mehr auf die Suche, doch der nächste Ausbildungsstart ist schon im Januar und dafür werden wieder interessierte junge Leute gesucht, die sich für die Ausbildung zu Koch und Köchin oder Restaurantfachkraft begeistern können.

Interessenten bitte
melden!

Wer nun auf den Geschmack gekommen ist und sich für einen der genannten Berufe interessiert, der kann sich gern bei der Stadtspiegel-Redaktion melden, die dann gern den Kontakt zu den Ausbildungsbetrieben vermitteln wird. Nur keine Scheu, einfach zum Telefon greifen und die Redaktion unter Tel. 17084-22 anrufen!

Autor:

silke sobotta aus Gelsenkirchen

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