Die Stille ...

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Mit hoher Geschwindigkeit brettert der umgebaute Militärtransporter über den leeren Strand in westliche Richtung. Etwa ein Dutzend Mitfahrer haben auf den Seitenbänken platz genommen und werden kräftig durchgerüttelt. Jedes Mal, wenn der Laster eine Querrinne durchfährt, fliegen ihre Köpfe fast durch die Plane, die vor den sengenden Sonnenstrahlen Schutz bietet. An der Rückseite des Fahrzeugs ist eine kleine Plattform angebracht, an der auch die ausklappbare Treppe befestigt ist, ohne die man das monströse Gefährt weder besteigen noch verlassen kann. Stahlrohre, an denen man sich gerne festklammert, sichern diesen Stehplatz ab. Ein idealer Platz für Fotografen. Es rüttelt und klappert ohne Ende und nach einer Viertelstunde Fahrt spürt man alle Knochen im Leib. Aber hier weht wenigstens ein frischer Wind und man sieht, wie die hinterlassene Spur in der durchfahrenen Weite verschwindet.

Mehr als die Hälfte der Insel wird von einer riesigen, zusammenhängenden Sandfläche eingenommen, die sich wie eine endlose, flache Wüstenfläche vor dem bewohnten Ostteil der Insel ausbreitet. Kein Gras, kein Strauch, kein Baum – nur weißer Sand, so weit der Blick reicht.

Nach einer gefühlt endlosen Fahrt erreichen wir eine Schutzhütte. Wir halten an. Das kleine, weiße Häuschen ist auf Holzstelzen gebaut, um bei Flut oder Hochwasser Wanderern Schutz bieten zu können. An einer Seite befindet sich ein kleiner „Innenhof“, der von einem „Wald“ aus Treibholz, angeschwemmten Bojen, Stangen, Kisten und Rettungsringen eingezäunt wird.

Während die Mitfahrer das kleine Museum im „Stelzenhaus“ besichtigen, entferne ich mich von der Raststelle, um die völlige Stille dieser Mondlandschaft auf mich wirken zu lassen. Eine unwirkliche Landschaft; unter mir weiß, über mir tiefblau. Sonst absolut nichts. Kein Laut, keine Möwen. Die Stille schmerzt. Das Licht ist so hell, dass ich es nur durch den Spalt meiner zusammengekniffenen Augenlider ertragen kann.

Alleine in dieser unendlichen Leere zu stehen ist überwältigend. Ich fühle, wie meine Gedanken von mir abfallen, wie ich gleichzeitig innen und außen erlebe. Wie sich in mir alles zentriert, um sich anschließend auszudehnen. So weit auszudehnen, bis mein Kopf das Blau über mir berührt, während sich die Füße in dem blendenden Weiß unter mir verwurzeln. Dazu diese unwirkliche Stille. Ich erfahre mich selber, bin ganz in mir – ein unglaubliches, bleibendes Erlebnis.

Nach dieser kurzen Rast geht es weiter nach Westen. Die Schutzhütte wird zum winzigen Punkt in der endlosen Weite und verschwindet nach wenigen Minuten völlig. Nur das Doppelband unserer Wagenspur, das wir hinter uns herziehen, ist die einzige Verbindung zurück.

Als wir am westlichsten Punkt der Insel ankommen, haben wir 25 km² Sandfläche durchquert. Wir sind wieder am Wasser, das auch dem Sand eine dunklere Farbe zurückgibt. Ein Seehund steckt neugierig seinen Kopf aus dem Wasser und taucht wieder ab. In der Ferne zeigt sich die Silhouette der Nachbarinsel. Im 17. Jahrhundert zerteilte eine Sturmflut an dieser Stelle die bis da hin zusammenhängende Insel, ein Dorf versank in den Fluten.

Ich wende meinen Blick zurück nach Osten. Über der gleißenden, weißen Fläche flimmert die erhitzte Luft, gaukelt Wasserflächen vor, wo keine sind. An anderer Stelle türmen sich Gebilde auf, die wie Häuser an einer Küste wirken – auch sie nur eine Fata Morgana, Täuschung der Sinne.

Wir steigen auf, die Fahrt geht zurück. Diesmal umfahren wir die Schutzhütte, ohne anzuhalten. Die Sonne steht schon tief, als wir die Dünen erreichen, über den festen Strand fahren, wieder Wasservögel und einzelne Wanderer sehen. Ein letztes Mal werden wir noch durchgerüttelt, bevor wir wieder festen Boden unter den Füßen haben.

Irgendetwas von mir ist in der verlassenen Weite zurückgeblieben …

© Fotos und Text: G. Lambert / 2012

Autor:

Gottfried (Mac) Lambert aus Goch

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