Profitable Ferienhäuser im Landschaftsschutzgebiet
Übersteigt der „Massentourismus“ in Haltern am See die Belastungsgrenze für die Einwohner und die Natur?

HALTERN AM SEE. Seit dem Verkauf des Kreisjugendzeltplatzes am Stockwieser Damm in Haltern in 2017 kursierten bereits Gerüchte über Pläne für eine Wochenendhaussiedlung für „gut Betuchte“ dort im sensiblen Landschaftsschutzgebiet und Trinkwasserschutzgebiet. Die damaligen Bürgerproteste dagegen sind inzwischen verstummt.  Jetzt haben die Grundstückskäufer und Investoren als Projektentwickler nach 5 Jahren „die Katze aus dem Sack gelassen“: Sie wollen hier im geschützten Außenbereich am Nordostufer des Stausees nun „eine attraktive und hochwertige Ferienanlage für Urlauber“ mit insgesamt 124 Wochenendhäusern (62 Chalets sowie 17 „Stelzenhäuser“ und 45 "Radlerhäuser“) nebst Wohnmobilstellplätzen errichten, wie die „Halterner Zeitung“ begeistert berichtete. Die Stadt will bereitwillig einen Bebauungsplan dafür aufstellen und Vorab-Genehmigungen bereits nach Planreife erteilen. Der Kreis als Untere Landschaftsbehörde soll für eine Zustimmung für dieses profitable Vorhaben im Grünen gewonnen werden, wie stets bei den touristischen Großvorhaben in der schützenswerten Halterner Landschaft.

Spätestens mit dieser äußerst kritisch zu betrachtenden Projektplanung an einem empfindlichen Standort ist eine öffentliche Debatte in der Stadt überfällig, wie viele zusätzliche touristische Einrichtungen im Halterner Stadtgebiet für die Natur und Landschaft noch verträglich und für die Stadtbewohner noch erträglich sind. Der Stolz der Stadt auf jährlich 3 Mio. auswärtige Besucher, die damit fast touristischer Spitzenreiter in NRW ist, hat auch eine Kehrseite: Längst empfinden viele Bewohner die enormen motorisierten Touristenströme, die täglich und vor allem an den Wochenenden die immer weiter wachsenden Touristenattraktionen und Veranstaltungs-Events in Haltern aufsuchen, als unzumutbare Belastung. Das Tourismus- und Fremdenverkehrskonzept der Stadt Haltern bedarf dringend der Überarbeitung und Umorientierung, bevor weiterer „Wildwuchs“ und Zustrom die Wohn- und Lebensqualität und den Erholungswert der Stadt immer weiter schleichend beeinträchtigt und den Naturraum überlastet.

Anfangs hatte vor allem die naturnahe stille Erholung für Wanderer, Radfahrer, Reiter und Wassersportler Haltern als Erholungsstadt beliebt und begehrt gemacht. Dies führte zunächst zu Angeboten wie einem Dutzend Campingplätzen, Reiterhöfen, einem „Wohnmobil-Park“, einer Jugendherberge und Hunderten Gästebetten in Ferienwohnungen und Hotels sowie Zweitwohnsitzen. Inzwischen nehmen die kommerziellen Vergnügungs- und Freizeitangebote im Halterner Landschaftsraum allmählich Überhand und schmälern damit den Erholungswert und den Wohnwert gleichermaßen. Profiteure sind vor allem die finanzkräftigen Investoren und privaten Betreiber, allenfalls noch einige Händler und Gastronomen. Und immer mehr Auswärtige wollen hier im Grünen einen Erst- oder Zweitwohnsitz nahe der Natur und der Freizeiteinrichtungen, bis am Ende von der schützenswerten Erholungslandschaft und Wohnqualität nicht mehr viel übrig ist und die Bezahlbarkeit von Wohnungen oder Baugrundstücken für Einheimische utopisch wird.

Höchste Zeit für eine Debatte über einen Interessenausgleich

Dem Klima- und Artenschutz sind die verkehrsträchtigen und landschaftbelastenden Touristenaktivitäten ohnehin abträglich, so dass eine Besinnung auf die eigentlich Erholungsqualität der Halterner Naturlandschaft und ihrer schonenden Inanspruchnahme geboten erscheint. Stattdessen sind die Anwohner vieler Straßen  genervt vom Ausflugsverkehr, ob an der Weseler Straße, der Münsterstraße, der Rekener Straße, der Flaesheimer Straße, der Merfelder Straße usw. Erst gar nicht zu reden von den lautstarken Motorradkolonnen zwischen den Motorrad-Treffpunkten in Haltern (Drügen-Pütt, am Lakeside Inn und am Biker-Treff Vogel). Deren angekündigte Eindämmung durch bloße Appelle per Schilder scheiterte kläglich. Die Anwohner bleiben genervt und fast wöchentlich passieren schwere Motorradunfälle, nicht zuletzt auch durch Geschwindigkeitsüberschreitungen. Fans von vierrädrigen Motorrädern liebäugelten zeitweilig sogar mit der Beantragung einer Quad-Geländebahn im Lavesumer Miltärgelände, als touristisches Highlight mitten im geschützten nationalen Naturerbe. In den Borkenbergen hat man es schon illegal versucht. Natur und Landschaft als Rennbahn und auch als Mountainbike-Sportplatz auf Wanderwegen?

Während fast überall die großen Urlaubs- und Touristenzentren (z. B. auch auf Mallorca, in Venedig, Barcelona, Südtirol oder auf Sylt) die Bremse für die zunehmenden Touristenströme ziehen oder versuchen, die Touristenströme zu steuern, kann man in Klein-Haltern als Anziehungspunkt für die gesamte Ruhrgebietsbevölkerung und darüber hinaus davon nicht genug bekommen? Statt der angestrebten Reduzierung vor allem des Autoverkehrs sorgt der Massentourismus in Haltern für eine stetige Steigerung. Sehr beliebt sind auf den Halterner Straßen auch ziellose "Spritztouren" mit dem offenen Cabrio durch die Landschaft - dem Klima zuliebe? Der CO²-Ausstoß belastet die sterbenden heimischen Wälder auch in Haltern immens, deren Schäden unübersehbar sind. Ab wann die Belastungsgrenzen auch hier in Haltern insgesamt erreicht sind, sollte einer ernsthaften Debatte Wert sein mit Interessenausgleich zwischen geplagten Anwohnern und den Erholung oder Freizeitvergnügen suchenden Touristen in der arg strapazierten Naturlandschaft.

Problematische Fehlentwicklungen erfordern Selbstkritik

Ein selbstkritischer Blick auf die bisherigen Entwicklungen bzw. Fehlentwicklungen offenbart durchweg Problematisches: Aus anfangs illegalen und dann immer weiter wachsenden Wochenendhaus-Gebieten als Wildwuchs im geschützten Außenbereich, an Gewässern und Waldrändern wurden komfortable Wohngebiete mit Villencharakter wie an der Stever (Siedlung Overrath und Hohe Niemen) oder in Sythen Stockwiese, gegen alle anfänglichen Widerstände der Landschafts- und Naturschutzbehörden. Sämtliche Freizeitanlagen und Wochenendhausgebiete in Haltern sind erst im Nachhinein planungsrechtlich legalisiert worden über nachträgliche Bebauungspläne für Sondergebiete, nach langen Auseinandersetzungen mit den Aufsichtsbehörden und Landschaftsschützern. Aus Zweitwohnsitzen am ehemaligen Seestern wurden heimliche Dauerwohnsitze. Aus Ortsrandbebauungen wurden immer mehr ausgedehnte Wohnsiedlungen in den schützenswerten Landschaftsräumen in sämtlichen Stadtteilen.
(Siehe hierzu auch den früheren Beitrag im Lokalkompass über das „Halterner Landrecht“ unter https://www.lokalkompass.de/haltern/c-politik/empoerungswelle-in-sythen-doch-halterner-landrecht-hat-tradition-seit-jahrzehnten_a1524770 ).

Aus einem Campingplatz am Dülmener See wurde ein immer größerer expandierender Ferienpark mit zahlreichen neuen Wochenendhäusern, unterstützt durch die Stadt per Bebauungsplan. Am stark frequentierten Silbersee II mit seinem saisonalen Verkehrsansturm und -chaos mit bis zu 20.000 Besuchern an Spitzentagen gibt es Pläne für eine große Event-Arena für Konzerte und Festivals mit bis zu 15.000 Besuchern, zuzüglich Präsentations- und Verkaufsveranstaltungen, ergänzenden Gebäuden und erweiterter Außengastronomie. Dafür ist eine Parkplatz-Erweiterung auf bis zu 2.500 Autostellplätzen geplant, wofür fast 7 ha Kiefernwald gerodet werden sollen. Auch dieses Projekt, um das es momentan etwas still geworden ist, wird von der Stadt mit der Aufstellung eines Bebauungsplanes unterstützt, trotz des Nutzungskonfliktes wegen der Nähe zu einem wertvollen FFH-Naturschutzgebiet mit Biotobverbund. Wenn es kommerzielle Interessen zu bedienen gilt, bei denen es an manchen Standorten um Jahresumsätze in Millionenhöhe geht, plant die Stadt unsensibel ohne Rücksicht auf Verluste? Schon in der Vergangenheit wurden die 2005 hier am Silbersee vorausgegangenen Baugenehmigungen erst im Nachhinein 2009 planungsrechtlich legalisiert.

Aus idyllischen Bauernhöfen werden profitable „Rummelplätze“

Aus idyllischen Bauernhöfen in Haltern wurden profitable Anziehungspunkte für Massentourismus wie am Prickingshof, der sich mit Oldtimertreffen bis zu 1.500 Fahrzeugen aus ganz Deutschland und mit lautstarken Tractor Pullings, Oktoberfesten u. a. immer mehr vom „Erlebnis-Bauernhof“ entfernt und motorisierte Besucher auf Großparkplätzen anzieht. (Hinzu kommt im betroffenen Ortsteil Lehmbraken die Lärmbelästigung aus der Luft durch Motorflieger vom Flugplatz Borkenberge, doch jeder kann hier seinem Hobby frönen?)

Aus einer anfänglichen Ausflugsgaststätte mit Ponyreiten und Spielplatz am Ketteler Hof wurde in Lavesum ein ausgedehnter Freizeitvergnügungspark mit Großparkplätzen für 400.000 Besucher im Jahr, der an manchen Wochenenden für einen Rückstau bis nach Lavesum sorgt. Aus einem Wildgehege in Granat wurde ein touristischer Wildtierpark, der ebenfalls an manchen Tagen für Rückstaus durch allzu viele Besucher sorgt. Und aus einer kleinen Imbißbude mit einigen Tischen und Bänken am Halterner Stausee wurde mitten im Wald ein ausgedehnter „Erlebnis-Biergarten“ mit Gebäuden und einem Kletterwald.

Nachträgliche Legalisierung unzulässiger Vorhaben im geschützten Außenbereich

Auch ein einstmals kleiner Hofladen in Lavesum (Hof Hagedorn) dehnt sich derzeit bis in das Landschaftsschutzgebiet hinein zu einem quasi großflächigen Einzelhandelsbetrieb auf grüner Wiese aus, mit neuen Betriebs- und Verkaufsflächen und großem Gastronomie-Gebäude sowie hunderten Parkplätzen, versiegelten Flächen und unverträglichem Verkehrsaufkommen. Und das alles auf der Grundlage einer städtischen Außenbereichssatzung, die sich als rechtswidrig erwiesen hat. Die Erweiterung um das 3-4-fache des Bestandes läuft allen Vorgaben der Regional- und Landespläne und des Flächennutzungsplanes sowie des Landschaftsplanes zuwider, die hier die regional bedeutsame Kulturlandschaft bewahren wollten.

Allen diesen anfangs unzulässigen Projekten im schützenswerten Außenbereich ist gemeinsam , dass sie zum Verdruss der Aufsichts- und Landschaftsbehörden und Naturschützer meist erst im Nachhinein legalisiert wurden - durch nachträgliche städtische Bebauungspläne als „Sondergebiete für Freizeit und Erholung“. In Haltern herrscht offenkundig die Mentalität vor, dass Grundbesitzer am besten selber bestimmen können und sollen, was sie auf ihrem Grundstück planen und wie sie es möglichst  lukrativ vermarkten? Und am besten erstellen sie auch ihre Bebauungspläne selber. Städtische Planungshoheit heißt hier, planerische Hürden zu beseitigen zur Realisierung von Investorenwünschen? Das ersetzt aber kein touristisches Planungskonzept im Interesse der Bevölkerung und der Erholungsuchenden mit Bürgerbeteiligung. Insgeheim hat die Stadt wohl auch noch nicht ihren Wunschtraum von einem Golfplatz ad acta gelegt, der vor Jahrzehnten eigentlich in der geschützten Lavesumer Kulturlandschaft entstehen sollte.

Veranstaltungs-Events locken zusätzliche Touristen in die Stadt

Die Stadt selber trägt überdies mit dazu bei, durch eine Vielzahl von eigenen oder unterstützten kommerziellen Veranstaltungsangeboten auswärtige Touristen das ganze Jahr über scharenweise in die Stadt zu locken zu allerlei Events. Dafür schlägt der Baudezernent sogar ein neues großes Parkhaus vor. Die Angebote reichen vom Stauseefestival oder Sunset-Beach-Festival oder Strand-Comedy-Festival und den 1. Mai am Seeuferpark über das Neujahrsschwimmen oder die karibische Nacht im Sythener Freibad, das Klassic-Open Air-Konzert am Schloß Sythen, die Halterner Musiknacht „Wight-Night, das Streetfood-Festival, die Wikinger am Silbersee, die Disco Stadtmühle, den Gänsemarkt, den Abendmarkt, die Krammärkte oder Flohmärkte, das Heimatfest und, und , und.

Da sind die örtlichen Schützenfeste zur Traditionspflege noch gar nicht mitgezählt, die durch die Vereine und Bewohner selber aufgezogen und gepflegt werden. Für die als Touristenmagnete angebotenen Event-Veranstaltungen hingegen gilt: Weniger kann mehr sein. Denn alle Events ziehen Hunderte und tausende Touristen zusätzlich in die Stadt. Trefflich war auf einem Bollerwagen am 1. Mai im Seeuferpark auch zu lesen; „Haltern am Bier“. Doch niemand will jemandem den reichlichen Alkoholgenuss als Ausfluss der Lebensfreude missgönnen und sich als „Spaßbremse“ betätigen. Ein lebendiges Kulturleben und vielfältige Freizeitangebote in der Stadt vor allem für die eigene Bürgerschaft und interessierte Besucher sind weiterhin willkommen

Welchen Mehrwert hat das neue Projekt von 125 Wochenendhäusern?

Aber immer dann, wenn Belastungsgrenzen für Menschen, Landschaft oder Verkehrsteilnehmer überschritten werden, sollte neu nachgedacht werden über das städtische Tourismuskonzept als Ganzes und über einzelne Projekte. Welchen Mehrwert für die Stadt und ihre Bewohner oder für auswärtige Naturfreunde hat die Planung von 124 Wochenendhäusern inmitten eines Landschaftschutz – und Trinkwasserschutzgebietes direkt in Stauseenähe in einem von Erholungsuchenden überformten Landschaftsraum? Und das versuchen die Investoren als "Klimaschutzprojekt" zu verkaufen...

Rückbesinnung auf nachhaltige Erholungsplanung

Das „Minimieren von versiegelten Flächen und das Pflanzen von Grün“ als „klimabedeutsame Maßnahmen“ bei diesem Projekt anzupreisen, ist ein wertloses Versprechen der Investoren, wenn es um die sorgfältige Abwägung der Landschaftsschutzbelange und öffentlichen Belange geht. Hier sind Rat, Verwaltung und Landschaftsbehörden besonders gefordert. Denn das Nachhaltigkeitsprinzip sollte auch für Tourismusprojekte gelten, mit Rückbesinnung auf den Vorrang von naturnaher und naturverträglicher stiller Erholung, die für die Anziehungskraft Halterns ausschlaggebend ist.

Wilhelm Neurohr, 11. Mai 2023

Autor:

Wilhelm Neurohr aus Haltern

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