Dieses bescheuerte Herz

Lars Amend las nur wenige Zeilen aus seinem Buch, der eigens für ihn aufgestellte Tisch blieb unbesetzt. Doch das Publikum war gefesselt. (Foto: T. Richter-Arnoldi)
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  • Lars Amend las nur wenige Zeilen aus seinem Buch, der eigens für ihn aufgestellte Tisch blieb unbesetzt. Doch das Publikum war gefesselt. (Foto: T. Richter-Arnoldi)
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So lautet der Titel eines Buches, das am Abend des 20. Mai in der Hattinger Stadtbibliothek von seinem Autor Lars Amend vorgestellt wurde - vorgestellt, nicht vorgelesen. Doch nicht nur deshalb stellte diese Veranstaltung in der Reihe der Autorenlesungen eine Besonderheit dar. Auch die Botschaft des fast noch jugendlich wirkenden, 36-jährigen Autors ging zu Herzen, und das zahlreiche und ungewöhnlich junge Publikum wusste das zu schätzen.

Aber ich will das Pferd nicht von hinten aufzäumen. Der Abend begann nämlich ganz "klassisch" mit Sekt und anderen Erfrischungsgetränken für die über 50 Gäste und mit einer kurzen Begrüßung durch Bibliotheksleiter Bernd Jeucken. Das anschließende kurze Interview mit dem Autor, das von Katharina Arnoldi (Evangelische Erwachsenenbildung Ennepe-Ruhr als Kooperationspartner der Bibliothek) geführt wurde, leitete dann nahtlos in den weiteren Abend über, denn die Entstehung des vorgestellten Buches ist erst vor dem biographischen Hintergrund von Lars Amend zu verstehen.

Erfolgreich, aber sinnsuchend

Ohne hier alle Einzelheiten zu erwähnen, kann gesagt werden, dass Amend mit seinem Interesse für Musik und seinem journalistischen Talent schon recht früh ein erfolgreicher Autor wurde. Doch irgendwie vermochte dieser Erfolg ihn nicht wirklich glücklich zu machen, sein Leben kam ihm zunehmend sinnentleert vor. Ein dreimonatiger Aufenthalt in Brasilien und die Erfahrungen von Armut und Gewalt in einer Favela von Rio ließen ihn erstmals wieder das Leben spüren, doch den Sinn fand er auch dadurch noch nicht.
Das änderte sich jedoch, als eine Bekannte, Gründerin eines Kinderhospizes in Hamburg, sich nach seiner Rückkehr nach Berlin bei ihm meldete und ihm von dem 15-jährigen Daniel (englisch ausgesprochen) erzählte. Daniel hat einen angeborenen Herzfehler und ist in diesem Hospiz eine Ausnahme, älter als die anderen und als einziger in der Lage, sich noch normal zu unterhalten. Zudem zeigte er sich außergewöhnlich offen, als Amend ihn schließlich das erste Mal im Hospiz besuchte - indem er ihm unvermittelt mit den Worten "Endlich bist du da!" in den Arm fiel.

(K)Ein ganz normaler Jugendlicher

Bis dahin hatte sich Daniels Leben im Hospiz auf das Pendeln zwischen Schule und seinem Kinderzimmer beschränkt. Die einzige Vertrauensperson, mit der er seine Gedanken und Gefühle teilen konnte, war seine Mutter, deren Leben sich mehr oder weniger nur um ihn drehte. Doch welcher normale Jugendliche - und genau das wollte Daniel sein - würde alles, was ihn bewegt, uneingeschränkt mit seiner Mutter teilen? So gesehen, konnte ihm nichts Besseres passieren als die Bekanntschaft von Lars Amend, und schon bald entwickelte sich daraus ein Verhältnis wie zwischen einem älteren und jüngeren Bruder.
Eine der ersten gemeinsamen Aktionen entsprechend der "Wunschliste", die Daniel zusammen mit seinem neuen "Bruder" Lars schon bald aufgeschrieben hatte, war ein abendlicher Ausflug zu einer Tankstelle, um dort Zigaretten zu kaufen. Die Mutter wusste nichts davon, und Daniel musste versprechen, ihr auch kein Wort zu verraten, denn natürlich hatte er bis dahin nie eine Zigarette rauchen können bzw. dürfen. Doch nach der Rückkehr erlitt er prompt einen Herzanfall, und fast sah es so aus, als wäre die gerade erst begonnene gemeinsame Zeit schon wieder zu Ende. Daniel hielt jedoch dicht, und so folgten auf dieses erste Abenteuer noch viele weitere, die in dem Buch geschildert werden.

Eine Lesung, die eigentlich keine war

Bevor dies nun aber in eine Inhaltsangabe des Buches abschweift, noch einige Sätze über die "Lesung". Tatsächlich nahm Amend sein Buch nur ein einziges Mal kurz zur Hand, nämlich um Daniels "Wunschliste" vorzulesen. Seinen Platz am Tisch dagegen, ausgestattet mit Leselampe und Wasserglas, ließ er völlig ungenutzt. Stattdessen erzählte er so, wie er da stand, weiter von der Entwicklung dieser ungewöhnlichen Beziehung, streute immer wieder lustige oder auch nachdenklich stimmende Anekdoten ein und fesselte auf diese Weise das Publikum - mal abgesehen von einer kurzen Pause - fast zwei Stunden lang an die Stühle.
Am Ende der Veranstaltung bestand für die Gäste noch die Gelegenheit zu persönlichen Fragen an den Autor. Eine davon war die nach seiner Rolle als "großer Bruder" vor dem Hintergrund, dass er durch Daniels jederzeit möglichen Tod einen großen Verlust zu erwarten habe. Amend beantwortete dies mit der Gegenfrage, was denn seine Alternative dazu gewesen wäre, und machte klar, dass die übliche Befangenheit im Umgang mit behinderten oder sterbenden Menschen völlig fehl am Platze sei. Statt immer Angst zu haben, etwas falsch zu machen, solle man so entspannt wie möglich mit diesen Menschen umgehen, so seine Erkenntnis.
Wichtig war Amend auch die Erfahrung, dass Daniel zwar einerseits fast selbstverständlich davon ausging, sein "großer Bruder" würde alles für ihn bezahlen, andererseits aber auch großartige Gelegenheiten ungenutzt ließ. So entschied er sich gegen einen Besuch beim FC Bayern München, den Amend für ihn eingestielt hatte - weil Daniel sich zu schwach dafür fühlte und lieber mit Lars einen Abend in seinem Zimmer verbringen und quatschen wollte. Einmal mehr lernte Amend, dass die wirklich wichtigen Dinge im Leben ohne Geld zu haben sind: Jemanden zum Reden zu haben, wenn es einem nicht gut geht, und Zeit mit Menschen zu verbringen, die man gerne hat.

"Wenn du nicht fragst, ist die Antwort immer Nein."

Dass dieser Abend letztlich trotz der ausgebliebenen Lesung sowohl aus Sicht des Publikums packend als auch aus Sicht der Veranstalter erfolgreich war, lag sicherlich nicht zuletzt daran, dass Amend es verstand, seine innerliche Beteiligung und die für ihn daraus folgernden, bisweilen geradezu religiös anmutenden Lebensweisheiten glaubhaft herüberzubringen. Mehr als ein Mal endete die Schilderung eines der gemeinsamen Erlebnisse mit einem Zitat von Daniel. Beispiel: Nachdem er ein fremdes Mädchen angesprochen und tatsächlich ihre Handynummer erhalten hatte, sagte er auf Amends Frage, ob er denn keine Angst gehabt habe, sie danach zu fragen: "Wenn du nicht fragst, ist die Antwort immer Nein."

Dieses bescheuerte Herz (Über den Mut zu träumen), Fischer Krüger Verlag 2013, ISBN 978-3810513328 (als Hardcover 18,99 €, als Taschenbuch 9,99 €)
Leseprobe: http://www.fischerverlage.de/media/fs/308/LP_978-3-8105-1332-8.pdf
Facebook: https://www.facebook.com/ichbinlarsamend

Autor:

Torsten Richter-Arnoldi aus Hattingen

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