Bundesverfassungsgericht stärkt die Rechte von Leistungsempfängern

In einer erst kürzlich veröffentlichten Entscheidung stärkt das Bundesverfassungs-gericht abermals die Rechte sozial Schwacher auf einen Rechtsbeistand (BVerfG, 1 BvR 2493/10, vom 24.3.2011)

Das Thema wird im Rubrum wie folgt zusammengefasst:

„Die Verfassungsbeschwerde betrifft ein sozialgerichtliches Verfahren, wonach die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts mit der Begründung versagt wurde, die wirtschaftliche Bedeutung der Angelegenheit liege im Bagatellbereich.“

Die zunächst zuständigen Instanzen - Sozial- und Landessozialgericht - hatten dem Kläger die Beiordnung eines Rechtsvertreters übereinstimmend verweigert, weil die im Streit stehende Summe geringer war, als die Anwaltskosten:

„In Anlegung dieses Maßstabes sei die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht gerechtfertigt. Denn die wirtschaftliche Bedeutung des beim Sozialgericht anhängigen Rechtsstreits liege mit 42 Euro im Bagatellbereich. Ein Bemittelter würde bei Abwägung dieses Betrages mit dem Kostenrisiko - allein die Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 des Vergütungsverzeichnisses zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) betrage zwischen 40 und 460 €  - von der Beauftragung eines Rechtsanwalts Abstand nehmen.“

Diese Betrachtungsweise erkannten die Verfassungsrichter jedoch nicht an. Relativ scharf rügten die Verfassungsschützer die Gerichte, und forderten die Richter unmissverständlich auf bei der Rechtsprechung verfassungsrechtliche Maßstäbe anzulegen.

In der Entscheidungsbegründung heißt es u.a.:

bb) Das Landessozialgericht wie auch das Sozialgericht reduzieren die Frage, ob die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint, auf eine ausschließliche Beurteilung des Verhältnisses von Streitwert und Kostenrisiko. Beide lassen dabei außer Betracht, dass Bewertungsmaßstab für die Frage der Beiordnung eines Rechtsanwalts vornehmlich ist, ob die besonderen persönlichen Verhältnisse dazu führen, dass der Grundsatz der Waffengleichheit zwischen den Parteien verletzt ist […]

Die Ausführungen des Landessozialgerichts rechtfertigen auch nicht den Schluss, dass hinsichtlich Kenntnisstand und Fähigkeiten der Prozessparteien kein Ungleichgewicht besteht. […]
Zu berücksichtigen ist aber, dass dem Beschwerdeführer rechtskundige und prozesserfahrene Vertreter einer Behörde gegenüberstehen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 6. Mai 2009 - 1 BvR 439/08 -, juris Rn. 18). In einem solchen Fall wird ein vernünftiger Rechtsuchender regelmäßig einen Rechtsanwalt einschalten, wenn er nicht ausnahmsweise selbst über ausreichende Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, um das Verfahren in jedem Stadium durch sachdienlichen Vortrag und Anträge effektiv fördern zu können. […]

d) Die angegriffenen Beschlüsse des Sozialgerichts und Landessozialgerichts beruhen auf dem Verfassungsverstoß. Es ist nicht auszuschließen, dass die Gerichte bei der erforderlichen Beachtung der verfassungsrechtlichen Maßstäbe in der Sache zu einer anderen Entscheidung gelangt wären. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers 21 angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Der Beschwerdeführer hat nachvollziehbar dargetan, dass der Wert des fachgerichtlichen Streitgegenstandes für ihn von existentieller Bedeutung ist.

(Volltext der Entscheidung: http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20110324_1bvr249310.html

andere Lesart:

„Ob in einem sozialgerichtlichen Verfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen ist, hängt in erster Linie davon ab, ob die Beiordnung eines Rechtsanwaltes notwendig ist. Dies ist der Fall, wenn eine unbemittelte Person in der gleichen Lage einen Rechtsanwalt einschaltet. Dabei kommt in erster Linie nicht, wie das LSG meint, auf die Kosten des Rechtsanwaltes, sondern in erster Linie auf die Ungleichheit von Kläger und Behörde hinsichtlich ihrer Kenntnisse und ihrer Prozesserfahrung an. Es sei auch nicht fern liegend, dass ein Bemittelter auch verhältnismäßig hohe Rechtsanwaltskosten nicht scheut, wenn er mit einem Obsiegen und der Erstattung seiner Aufwendungen rechnet.“

Es ging um Kosten der Heizung iHv 7 EUR monatlich und 42 EUR in einem halben Jahr.“

Quelle:
http://www.existenzsicherung.de/forum/viewtopic.php?f=22&t=40&sid=5a6960bd430bb7fa48bb80c85db690c7

Leistungsbezieher nach dem SGB II oder SGB XII haben grundsätzlich Anspruch auf Beratungshilfe durch einen Rechtsanwalt in der Auseinandersetzung mit den Sozialbehörden, wenn eine Rechtsdurchsetzung im einfachen Gespräch mit den Behördenmitarbeitern nicht zum Erfolg führt. Außerdem muss bei fast 50 Gesetzesänderungen seit Einführung der neuen Hartz IV-Sozialgesetzgebung vermutet werden dürfen, dass die Mitarbeiter der Leistungsträger nicht immer ausreichend auf dem aktuellen Stand der Rechtsprechung sein können.
Erschwerend kommt außerdem die überproportional hohe Mitarbeiterfluktuation hinzu.

Bereits in der Entscheidung vom 30.6.20091 (BvR 470/09) hatte das Bundesverfassungsgericht bereits unmissverständlich klargestellt:

„Der Begriff der Zumutbarkeit wird von den Fachgerichten überdehnt, wenn ein Rechtsuchender für das Widerspruchsverfahren zur Beratung an dieselbe Behörde verwiesen wird, gegen die er sich mit dem Widerspruch richtet.“
Quelle: http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20090630_1bvr047009.html

Mit der Neuregelung der Hartz IV-Gesetze wird ein weiteres Ansteigen der Klagewelle erwartet. Die Ursache dafür sind jedoch weder die existenziell bedrohten Erwerbslosen, noch die Sachbearbeiter in den Behörden. Geschuldet ist dies allein der schlecht gemachten Gesetzgebung.

Autor:

Ulrich Wockelmann aus Iserlohn

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