Es ist ganz normal, zusammen zu lernen.

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Die Grundschule an der Bogenstraße in Solingen erlebte den „ganz normalen Tag“ der Elisabeth & Bernhard Weik-Stiftung einmal ganz anders.

Solingen/Langenfeld. Am Standort Langenfeld der Elisabeth & Bernhard Weik-Stiftung ist der „ganz normale Tag“ in den Grundschulen schon überall bekannt. Alle vier Jahre versucht Bernhard Weik, die einzelnen Schulen mit „dem ganz normalen Tag“ zu besuchen, „damit jedes Schulkind dies einmal erlebt.“ „Sensibilisierung für Menschen mit Handicap“ bezeichnet Weik diese Veranstaltung, bei der sich Schüler in Menschen hineinversetzen, die mit Einschränkungen aller Art leben müssen. Jetzt kam das cSc-Team der Weik-Stiftung zum zweiten Mal in eine Solinger Grundschule, diesmal in die Bogenstraße.

Normal ist, wenn Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam lernen.

„Heute geht es darum, wie Menschen mit einer Behinderung klar kommen“, begrüßte Nicole Wrana, Leiterin der Grundschule Bogenstraße zu Beginn des „ganz normalen Tages“ Schüler/innen, Lehrer/innen, Eltern und das Team der Weik-Stiftung und dankte Bernhard Weik, dass er in die Schule gekommen ist. Als besonderer Gast war auch der 1. Beigeordnete der Stadt Solingen, Hartmut Hofrichter, erschienen. „Einige Kinder haben mir erzählt, dass es hier eine ganze Reihe behinderter Kinder gibt, aber es ist ganz normal, mit ihnen zusammen zu lernen. Ich möchte selbst mal erleben, wie ihr mit ihnen zusammen lernt und spielt“, erklärte Hofrichter. „Ich finde das toll und wünsche Euch, dass Ihr Euch noch besser versteht.“ Bernhard Weik erzählte den Kindern, wie der „ganz normale Tag“ entstanden ist. „Vor zehn Jahren gab es ein Interview mit dem behinderten Sportler Heinrich Popow, der bei den Paralympics 2004 drei Bronzemedaillen gewann und dem mit acht Jahren ein Bein amputiert worden ist. Er erzählte, dass es nicht das Schlimmste war, nicht mehr herumspringen zu können, sondern die Hänseleien der Mitschüler.“ Dem entgegen zu wirken und die Schulkinder für solche Mitschüler zu sensibilisieren, habe er sich zur Aufgabe gemacht. Bevor es dann richtig los ging, sang eine Gruppe das Lied „vom Land der Blaukarierten, Rotgefleckten, Grüngestreiften, Gelbgetupften und der Buntgemischten“. Um die Vielfalt der Menschen optisch zu symbolisieren, wurden Zeichnungen in der jeweiligen Farbe hochgehalten.

Rollstuhl fahren will gelernt sein.

„Wie bewegt man sich sicher in einem Rollstuhl, wie lenkt man ihn, wie bremst man ab?“
Das führte den einzelnen Klassen Gundi Krütt-Arnold von der Förderschule für körperbehinderte Kinder in Leichlingen vor. „Ich bin heute von dieser Schule an Euch ausgeliehen worden“, erzählt die Sonderpädagogin. Mit Schwung müsse man die Räder bewegen, um Kraft zusparen, zum Lenken nach links oder rechts nur jeweils ein Rad bewegen. Noé findet Rollstuhlfahren schön, ebenso Timothy. „Aber immer im Rollstuhl sitzen, das wäre dann schlecht.“ Lea meint: „Ohne Beine hat man keine Bein-Muckies, aber Arm-Muckies.“ Die Kommandos für das jeweilige Losfahren und Anhalten gab die Lehrerin mit einer Trillerpfeife.

Eine andere Klasse lernt, mit dem Blindenstock und verbundenen Augen zu laufen. „Man muss schon ganz schön aufpassen“, weiß Enes. Während Stefan Leukel beim Parcour mit dem Blindenstock hilft, Horst Möhring den Kindern zeigt, wie man mit Gehhilfen Stufen überwindet, werden Schülern bei Wolfgang Schmelz und seinen Helfern Gewichtswesten und Gewichtsmanschetten angezogen. „So fühlen sich übergewichtige Kinder.“ Schmelz lässt die Schüler hüpfen, den Hampelmann machen und laufen, damit sie merken, wie belastend ein paar Kilo zuviel sein können.

Vitamine wurden gespendet.

Besonders gefällt allen, als Sozius mit verbundenen Augen auf dem Tandem mitzufahren, wie es blinde Menschen machen, wenn sie einen Tandem-Piloten finden. Am liebsten würden die meisten ein zweites Mal fahren. „Das ist cool“, hört man immer wieder. Herbert Jakubiak, Jo Ruppel, Günther Kraus und Peter Hahnel fahren zusammen rund 100 km, um die über 200 Kinder eine Runde auf dem Tandem mitzunehmen. Zwischendurch gibt es auf langen Tischen große Mengen Vitamine in Form von Gemüse- und Obststückchen, handgerecht zum Greifen auf großen Platten angerichtet: Kohlrabi, Möhren, Gurken, Mandarinen, Bananen. „Das hat jemand gestiftet, der ein Geschäft für Obst und Gemüse betreibt“, war von den Helfern zu hören.
Gemüse und Früchte schnippeln, Kürbissuppe kochen, Brötchen belegen, Kaffee kochen – in der OGATA-Mensa gab es viel Arbeit für die Helfer/innen aus dem Kreis der Eltern, die außerdem an den vielen Stationen geholfen haben.

Blinde fragen, ob man behilflich sein kann.

„Ihr sprecht mit jemandem, der Euch nicht sehen kann. Wie viele seid Ihr denn?“ „13, von der Klasse 1a“, kommt als Antwort. Petra Winke ist selbst blind und erklärt den Schülern, wie blinde Menschen im Alltag zu recht kommen und welche Hilfsmittel sie haben. „Woran erkennt man einen blinden Menschen?“ „Sie brauchen einen Führhund“, kommt eine Antwort. Ben sagt: „Blinde haben eine Binde mit drei Punkten drauf und so einen Stock.“ Isa hat schon mal gehört: „Stopp, da kommt eine Laterne.“ Manche Ampeln machen ein Geräusch bei Grün“, wissen die Kinder. Petra Winke erklärt, dass sie viele Hilfsmittel habe, z. B. sprechendes Thermometer, Fieberthermometer, Waage, Uhr. Auch, dass blinde Kinder besondere Schulen besuchen, lesen und schreiben lernen. Die Buchstaben und Wörter werden aus der unterschiedlichen Anordnung von insgesamt sechs Punkten gebildet. Man nennt sie Braille-Schrift. Wichtig sei, blinde Menschen anzusprechen und zu fragen, ob man ihnen behilflich sein kann. „Und wenn Du kochst, weißt Du doch gar nicht, was das alles ist?“ „Alles steht an seinem Platz“, erklärt Petra Winke. „Wenn es anders ist, wird der Tee versalzen anstatt süß.“ Das hätten ihre Kinder, die sehen können, schon mal erfahren und stellten nichts mehr um.

Gehörlose können sich mit Gesten verständigen.

Nicht hören zu können heißt oft, von vielen Dingen auf der Welt ausgeschlossen zu sein. „Guten Morgen alle zusammen. Wir wollen Euch zeigen, wie es ist, gehörlos zu sein. Aber Sedat (9) kann mit den Händen sprechen. Andela kann hören, sie war mit Sedat zusammen im Kindergarten.“ Einleitende Worte von Jelena Mijovic. Sie hat die Gebärdensprache, mit der sich Gehörlose verständigen, über das Internet gelernt und besucht jetzt eine Schule, um Gebärdendolmetscherin zu werden. „Wir buchstabieren mit den Händen und dem Oberkörper, auch ganze Begriffe“, sagt sie und zeigt die Bewegung für essen, trinken und schlafen. „Man muss immer auf das Gesicht, den Gesichtsausdruck achten, Sedat muss mich immer anschauen, und das ist anstrengend.“ Bei Bauchschmerzen könne man kein fröhliches Gesicht machen.
Sedat imitiert Tiere, hüpft wie ein Känguru, schnappt sich ein Tuch und hält es dem imaginären Stier vor den Kopf, springt mit Gebrüll wie ein Löwe. „Gehörlose können sich international verständigen, aber es gibt regionale Unterschiede“, berichtet Jelena Mijovic. Es müssten auch laufend neue Wörter und Begriffe als Zeichen umgesetzt werden wie z. B. Internet und Facebook. Leider gebe es ihres Wissens keine Therapeuten, die die Gebärdensprache beherrschen.

Entstehung des „ganz normalen Tages“.

Der „ganz normale Tag“ war ursprünglich nur für die Langenfelder Grundschulen gedacht. Er hat sich jedoch so positiv unter den Kollegien auch anderer Schulen von außerhalb herumgesprochen, dass immer mehr Anfragen von weiter entfernten Schulen die Weik-Stiftung erreichten. Die Grundlagen dieser Veranstaltung und dieses Anliegens waren vor einigen Jahren im cSc-Team der Weik-Stiftung von ehrenamtlichen Helfern diskutiert und entwickelt worden. Elmar Widera vom cSc-team hat sie dann in eine strukturierte Form gebracht und als Anleitung zur Verfügung gestellt. Dabei sind auswärtige Grundschulen besonders gefordert, weil hier allenfalls nur einzelne cSc-Teammitglieder unterstützend dabei sein können.

Jedes Kind hat Stärken und Fähigkeiten.

„Uns ist es wichtig, dass der Schulalltag durch soziales Miteinander und Toleranz geprägt ist“, heißt es im pädagogischen Leitbild der Grundschule an der Bogenstraße. 236 Schüler/innen lernen in zehn Klassen, dabei gibt es in sechs Klassen gemeinsamen Unterricht mit 36 Schüler/innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf. „Wir haben hier Kinder mit geistiger, emotionaler, sozialer und Lern-Behinderung“, zählt die Klassenlehrerin der 4b, Stefanie Stopka, auf. Gefragt werde: „Was kannst du besonders gut, welche Stärken, Schwächen, Fähigkeiten hast du?“ Wobei sich Kinder auch gegenseitig beschreiben.

Das Team der Grundschule Bogenstraße ist zusammengewachsen.

„Ein riesiges Thema an unserer Schule ist die Vielfalt der Herkunftsländer und des Leistungsvermögens“, erklärt Nicole Wrana, „und daran docken sich alle Aktivitäten auch in Bezug auf die Sozialkompetenz an.“
„Wir sind ein bunter, unterschiedlicher Haufen, multiprofessionell in unserer Arbeit, mit Grundschul- und Förderschullehrern, Lehramtsanwärtern und weiteren Mitarbeitern aus der OGATA (offene Gantagsschule) und dem FSJ (freiwilliges soziales Jahr), das ist für alle sehr befruchtend,“, so Wrana. Alle seien tatsächlich zu einem Team zusammen gewachsen und versuchten, das Beste für die Kinder sehr professionell zu tun. Unter Inklusion versteht Nicole Wrana nicht nur das gemeinsame Lernen von Kindern mit Behinderung, sondern auch die Vielzahl der Herkunftsländer und Muttersprachen. „Unser Schulträger ist pädagogisch sehr interessiert, und dort, wo er kann, auch sehr unterstützend“, sagt die Schulleiterin. Trotz finanzieller Engpässe habe man einen Computerraum eingerichtet, das Lehrerzimmer vergrößert und die OGATA ausgebaut. „Alles ist permanent in Bewegung, das fordert uns sehr, zahlt sich aber auch aus.“

Autor:

Jürgen Steinbrücker aus Langenfeld (Rheinland)

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