Tandemsprung: Ich falle, falle, falle ... - mit VIDEO !

Grüße aus rund 4.000 Metern über der Erde von Sara und Paul. Foto: Fallschirmsport Marl
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  • Grüße aus rund 4.000 Metern über der Erde von Sara und Paul. Foto: Fallschirmsport Marl
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Schnell noch eine Doppelschleife gebunden, zur Sicherheit. Nicht, dass die Latschen vor mir den Erdboden erreichen. Dann geht es rauf auf 4.200 Meter Höhe. Und im freien Fall wieder abwärts. Jawohl, ich habe ihn gewagt, den großen Sprung. Der Verein für Fallschirmsport Marl machte es möglich.

Eines ist mir bereits klar, bevor die ganze Aktion überhaupt los geht: Nein, ich bin nicht der einzige Mensch, der so bescheuert ist, ungebremst aus einem Flugzeug zu springen.
Vor mir gehen allein an diesem Tag auf dem Flugplatz Loemühle noch 16 andere Flieger in die Luft, an Bord jeweils bis zu 14 Fallschirmsprung-Passagiere. Und das bedeutet für mich: Warten! Und zwar über vier Stunden.
„Geduld, das ist das A und O eines Springers“, lehrt mich ein erfahrener „Kollege“, der, ganz entspannt, die Beine hochlegt und das Gesicht in die pralle Sonne hält.
„Genieße doch einfach das tolle Wetter, bis du aufgerufen wirst!“ Leicht gesagt, schwer getan. Ankunft, Springen, glücklich sein. So lautete mein simpler Plan. Doch zunehmend ergreift Unruhe meine Gedanken.

„Bitte in deinen Ärmel kotzen“

Kein Wunder, so wohne ich doch ohne Absicht zahlreichen Einweisungen der Tandem-Anfänger bei, die vor mir auf der Liste stehen. „Alles ganz einfach: Auf meinen Schoß setzen, Beine kreuzen, Arme auf die Brust, Gesicht schaut nach links, ...“
Schon jetzt ist mir unklar, wie ich mich auf all diese Aufgaben konzentrieren soll, wenn ich vorn an der Flugzeugkante sitze und die Erde nur noch wie ein kleines Pünktchen aussieht.
„Und wenn du kotzen musst, dann bitte in deinen Ärmel.“ Vorbei. Jetzt ist mir auch noch übel. „Sobald du unten bist, kannst du dann duschen gehen. Niemand braucht hier sein Gesicht verlieren.“ Auch das hilft mir jetzt nicht mehr weiter. Doch es dauert zum Glück noch, bis es für mich soweit ist.

Bis dahin hat sich auch mein Bauch beruhigt, und mein späterer Sprungpartner Paul wird diesen Teil der Einführung glücklicherweise aussparen.
Und fährt damit exakt die richtige Taktik für einen typischen Kandidaten der selbsterfüllenden Prophezeiung, wie ich es manchmal einer bin.

Flieger 17 ist endlich meiner

Flieger 17. Das bin ich, also neben zwölf anderen. „Bitte bereit machen!“ Jetzt schon? Meinen Tandemausbilder habe ich soeben erst kennen gelernt.
„Nur die Ruhe“, lässt sich Paul nicht von der Hektik anstecken, und gibt erst mal am Schalter Bescheid, dass wir noch ein paar Minuten benötigen.
Und dann geht es ganz schnell: Rein in den Anzug, Riemen zugezogen, Fliegermütze auf, Schutzbrille übergestülpt - mit einer solchen nämlich können auch Brillenträger problemlos die Aussicht von oben genießen -, und dann folgen noch die Trockenübungen. „Du sitzt zwischen meinen Beinen“, beginnt Paul, „aber Vorsicht, da oben wird es eng, da kann dir schon mal einer auf den Fuß treten.“ Was dann kommt, kenne ich bereits: Rauf auf seinen Schoß (hätte ich bloß vorher noch etwas abgespeckt) und die Absprungssituation simulieren. „Wenn ich dir auf die Schulter klopfe, breitest du die Arme aus, Daumen hoch, und schön immer nach oben gucken!“ Klar, soll ja für den Kameramann, der mir später ein Erinnerungsvideo aushändigt, auch alles gut aussehen.
„Aber die Landung ist am wichtigsten“, muss ich mich dann noch einmal konzentrieren. „Beim nächsten Schulterklopfen gehen die Hände wieder auf die Brust, und kurz bevor wir unten sind, greifst du mit den Händen unter die Knie und ziehst die Beine hoch“, erklärt Paul. „Aber streng dich an, da musst du schon etwas Kraft investieren.“ Warum das nötig ist? „Laufen kann dann nur einer von uns.“
Und das möchte nicht ich sein, schon klar. Das war´s, Paul schnappt sich den Fallschirm und es geht los Richtung Flieger.

Paul hält mich an der kurzen Leine

„Ich halte dich an der Leine“, grinst der Profi, „ab jetzt sind wir unzertrennlich“.
Rund 20 Minuten soll der Flug dauern, so haben es mir meine Vorgänger gesagt, die auf wackeligen Beinen vom Landeplatz zurück auf den Flugplatz gekommen waren. Mir kommt alles viel kürzer vor.
„Nicht erschrecken“, warnt Paul, „jetzt geht die Tür auf“. Wir sind aber noch nicht dran.
Zwei Damen verabschieden sich mit Handschlag von der Besetzung, stellen sich Aufrecht an die Kante, lassen los, und weg. Tür wieder zu.
Kurze Zeit später wird es dann aber ernst.
„Lasst das Tandem durch“, das ist unser Einsatz. Paul robbt mit mir auf sich sitzend zur Kante. Zuerst der Kameramann, wir hinterher. Ich konnte noch nicht einmal nach unten schauen, glaube aber, alle Anweisungen befolgt zu haben. Dann fühle ich mich wie in einem Geschwindigkeitstunnel. Mit rund 200 Stundenkilometern (so die vorherige Info) und einem 100 Kilo Mann an den Rücken geschnallt rase ich der Erde entgegen.
Ruhiger als vorher angenommen atme ich durch die Nase aus und ein (den Mund zu öffnen probiere ich nur ein einziges Mal und es ist nicht angenehm), genieße den Windzug und bemühe mich, die eingeübten Mätzchen videowirksam umzusetzen.

Um die Wette strahlen

Schulterschlag, Arme eingefahren, und mit einem Ruck öffnet sich der Fallschirm. Nicht so hart, wie es im Film ausschaut, und dennoch nimmt er mir die komplette Leichtigkeit und ich spüre die Kraft, die auf mich einwirkt, als würde ich einen schweren Wanderrucksack schleppen. Wo bin ich eigentlich?
„Siehst du den Flugplatz!“ Mein Ausbilder gibt mir die Orientierung zurück. Und dann sehe ich bereits die Wiese, auf der wir landen werden. „Jetzt, Beine hoch!“
Beinahe hätte ich das böse SCH-Wort benutzt, den unter diesen Gegebenheiten ist es mir kaum möglich, irgendetwas hoch statt herunter zu bewegen. Sei es drum, irgendwie hat es geklappt mit der Landung, und das ohne blaue Flecken oder wunden Hintern.
Super, einfach super, das ist das einzige, was ich noch denken kann.
Jetzt strahle ich mit Paul um die Wette. Der freut sich aber eher auf seinen Feierabend.
„Das war das sechste Mal, das ich heute mit einem Gast herunter gekommen bin, und das ist körperlich ganz schön anstrengend.“
Im Griff hat er mich und dann Fallschirm dennoch problemlos gehabt. Und er wird am folgenden Wochenende weitermachen, so wie immer, seit er 2007 mit der Springerei begonnen hat.
„Beim nächsten Mal können wir auch ein bisschen mehr probieren, da bist du ja schon erfahren“, verspricht er mir.
Erst einmal koste ich die Erfahrung aber aus und gönne mir eine Pause.
Wiederkommen werde ich irgendwann bestimmt, keine Frage. Großes Springer-Ehrenwort.

Verein für Fallschirmsport Marl:
- Der Verein für Fallschirmsport Marl e.V. wurde 1966 gegründet und ist ein vom Deutschen Aeroclub (DaeC) anerkannter Ausbildungsbetrieb in NRW.
- Die Springer werden vom Verein eigenverantwortlich vom Erstsprung bis zum Erwerb der Fallschirmspringerlizenz ausgebildet.
- Am Flugplatz Loemühle, der Vereinsheimat, trainieren Fallschirmspringer für die Teilnahme an nationalen und internationalen Wettbewerben. Für Neulinge werden intensive Ausbildungen angeboten.
- Die schnellste und simpelste Möglichkeit, den Fallschirmsport kennen zu lernen, ist jedoch der Tandemsprung. Hierfür wird kein ärztliches Attest benötigt, Voraussetzung sind lediglich, über 12 Jahre alt zu sein, eine Mindestgröße von 1,40 Meter mitzubringen, im Gesamtgewicht unter 90 Kilo zu liegen und nüchtern (Alkohol) zu erscheinen.
- Die Kleidung sollte bequem sein, weiteres Equipment wird komplett gestellt. Für die erfolgreiche Teilnahme gibt’s am Ende eine Urkunde. Foto- und Filmerinnerungen können hinzu gebucht werden.
- Weitere Infos und entsprechende Preise gibt es im Internet unter www.fallschirmsport-marl.de .

Autor:

Sara Drees aus Dortmund

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