Bekenntnisse
Erste Liebe

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Der Text wurde 1934 von der "Gesellschaft der Bücherfreunde zu Chemnitz" veröffentlicht. Ich habe die Frakturschrift  für uns heute lesbarer gemacht. Der Dichter  Schmidtbonn hat seine Geburtsstadt in seinen Familiennamen aufgenommen.

Aus: „Jugend am Rhein“, Wilhelm Schmidtbonn, 1934

Erste Liebe

Mit zwölf Jahren verliebte ich mich in ein Mädchen von acht. Sie hatte zwei übergroße blonde Zöpfe, aber das was mich am meisten bestach, waren wohl die im Gegensatz dazu überkurzen Röckchen, die die ganzen kleinen Beine sehen ließen, den Ballettröckchen eine Tänzerin ähnlich, während meinen sonstigen Gespielinnen, meinen Schwestern und den Schwestern meiner Freunde, nach damaliger Mode die Röcke steif bis auf die halben Waden hingen.
Dazu kam, dass diese neue Freundin in einer Straße wohnte ohne Kaufmannsgeschäfte – also eine noblere Umwelt! Da die Straße zugleich eine viertel Stunde entfernt war, schien das Mädchen gleichsam aus einer anderen Stadt oder gar einem anderen Land zu sein, was den Schein von Seltsamkeit und Vornehmheit noch erhöhte.
Zu meinen Besuchen bei ihr, wobei wir mit ihren Brüdern in einem großen Garten spielten, mußte ich mich also richtig auf den Weg machen. Dazu band ich mir vorerst eine neue Kravatte um, wechselte auch den Kragen, ließ wie die Studenten vorn aus der Brusttasche einen Zipfel des Taschentuchs sehen, wobei ich sorgen mußte, daß ich einen möglichst sauberen Zipfel erwischte, was nicht immer leicht war, da die Mutter nur Sonntags ein neues Taschentuch herausgab. (Bei sieben Geschwistern waren das im Monat schon dreißig!) Unter den spöttischen Zurufen meiner verlassenen, ja verratenen bisherigen Spielkameraden marschierte ich los – ja, meine Beine hoben sich zu einem wirklich geschwellten Marsch, nach einer inneren Musik, sodaß ich selber darüber erstaunt war.
Ich nahm meine schönsten Bücher mit, um sie zum Geschenk zu bringen. Als die meinen alle waren, machte ich mich über die Bücherbretter meiner älteren Brüder und suchte für meinen Zweck alles heraus, was schön gebunden war, möglichst in Gold, und viele Bilder sehen ließ.
Die bisherigen Spielkameraden kamen mir bald auf den Weg. Denn sie machten sich heimlich hinter mir her und sahen durch die Eisenstäbe des Gartengitters mich mit meiner kleinen Geliebten im ernsten Gespräch auf irgend einem Steinhaufen sitzen – Gespräch, das recht bald durch ein allgemeines wüstes Geheul unterbrochen und in seiner Fortsetzung unmöglich gemacht wurde. Auch die Brüder meiner Geliebten machte ich mir zu Feinden. Während sie durch die entfernten Teile des Gartens stoben und sich in allen erdenklichen Schlupfwinkeln versteckten, in der Meinung, daß ich hinter ihnen her sei, um sie nach den Spielgesetzen zu suchen, saß ich auf eben jenem Steinofen und fühlte die blonden Zöpfe meiner Geliebten vorsichtig und bewundernd an.
Schließlich fielen sogar der Mutter meiner Geliebten meine häufigen Besuche und meine unzähligen Geschenke auf. Die großen Zöpfe und die kleinen Röcke wurden ins Haus gesperrt. Mich aber traf ein merkwürdiger, halb neugieriger, halb unwilliger Blick der Mutter, und ich kam mir bei allem Leid noch wie ein kühner und gefährlicher Abenteurer vor.
Bei einem Ausflug trafen sich die beiden Familien zufällig im Wirtgarten eines Rheindörfchens. Ich war selig, mit meiner Geliebten zusammen sein zu dürfen, während die Alten von Tisch zu Tisch sich erzählten und alles sonst, was an Kindern da war, am Rheinufer Steine übers Wasser springen ließ oder in angebundenen Kähnen sich schaukelte.
Wir beide aber versteckten uns in einem Pflaumenbaum, griffen, im Übermaß unseres Glückes, in die erst noch hellblauen unreifen Früchte um uns und aßen, aßen. Das erregte Temperament, das noch nicht Worte finden konnte, befreite sich durch diese eifrige Bewegung der Zähne und Kiefer.
Und dann folgte das zarteste Liebeserlebnis, das von kaum einem anderen meines späteren Lebens an vollkommener Unschuld erreicht wurde. Meiner achtjährigen Geliebten wurde von den vielen unreifen Pflaumen schlecht. Sie hielt sich mit beiden Händen den Unterleib, es gurgelte, rollte und zischte darin, ihre Augen hatten einen erschreckten und ergreifenden Ausdruck.
Ich hob sie den Baum hinunter, wir liefen gemeinsam zu der ländlichen Stätte, die hier aufs eiligste angebracht war. Es gab nur einen Raum mit schwankendem Bretterboden, einem unermeßlich hohen Sitz mit entsetzlich weiter Öffnung, einen Deckel, den zu heben fast Männerkraft nötig war, und zu all diesem Schrecken noch das Schrecklichste: Finsternis. Trotz der gebotenen Eile überwand meine Geliebte ihre Furcht nicht. Sie begann zu weinen, Schmerzschreie drangen dazwischen.
Umsichtig, plänereich, unerschrocken fühlte ich einen Helden in mir auferstehen. Schnell und unhörbar schlich ich mich in ein Gastzimmer, nahm Kerze und Streichhölzer von einem Nachttisch und stürzte mit beidem zurück. Während meine Geliebte rührend und reizend auf dem großen Aufbau saß und unter dem Zwang der Natur stöhnte, leuchtete ich besorgt und zärtlich mit der Kerze dazu, bemüht, mit der freien Hand sie am Arm zu halten, damit sie nicht in den Abgrund der Öffnung stürzte – ein Engel in die Hölle.

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Autor:

Franz Bertram Firla aus Mülheim an der Ruhr

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