Wie das Petanque Spiel nach Mülheim kam

Petanque gegen Fußball
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Fußball, das Spiel der Deutschen:
.....jetzt Deutschland am linken Flügel durch Schäfer. Schäfers Zuspiel zu Morlock wird von den Ungarn abgewehrt - und Bozsik, immer wieder Bozsik, der rechte Läufer der Ungarn am Ball. Er hat den Ball - verloren diesmal, gegen Schäfer. Schäfer nach innen geflankt. Kopfball - abgewehrt. Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen - Rahn schießt - Tooooor! Tooooor! Tooooor! Tooooor!"
Und fünf Minuten später schrie Herbert Zimmermann förmlich ins Mikrofon:

Aus! Aus! Aus! - Aus! - Das Spiel ist aus! Deutschland ist Weltmeister!

So war das damals bei der Fußballweltmeisterschaft 1954. Und so haben es viele Deutsche miterlebt vor ihren Volksempfängern. Fußball war der Nationalsport der Deutschen! Dagegen hatten viele andere Sportarten kaum eine Chance. Schon gar nicht so ein exotisches Kugelspiel wie Petanque. Man kannte es ja noch nicht einmal.
Petanque? Was ist das denn?
Ein Kugelspiel aus Frankreich
Ein Kegelspiel?
Nein, ein Kugelspiel
Du meinst wohl Boccia?
Nein, die französische Variante heißt Petanque.
So, oder so ähnlich wäre eine Unterhaltung vielleicht verlaufen.
Aber das sollte sich bald ändern.

Beginn des Wirtschaftswunders
1949 wurde Ludwig Erhard Bundesminister für Wirtschaft und brachte das Konzept der sozialen Marktwirtschaft in die Regierung ein. Damit begann im Westen Deutschlands ein dynamischer wirtschaftlicher Aufschwung, der ununterbrochen bis 1966 anhielt.
Plötzlich hatte man Arbeit in Deutschland und besonders im Ruhrgebiet ging es bergauf. Viele Familien konnten sich plötzlich einen Kleinwagen leisten, den man in der Urlaubszeit vollpackte, und ab ging's über die Alpen nach Italien, Frankreich oder Spanien. Und eine der ersten Familien, die ihre Urlaube in Südfrankreich verbrachte, war die Familie Kaufhold aus Mülheim an der Ruhr.
Südfrankreich:
Es war 1975, in einem kleinen Ort südlich von Bordeaux, wo ihr damals 11 jähriger Sohn Tobias zum ersten Mal Männer mit Kugeln spielen sah. Und damit fing die Migration des Petanque Spiels nach Mülheim an. Tobias hatte sich sofort mit dem Petanque Virus infiziert. Fasziniert beobachtete er, wie die Männer eine kleine Zielkugel, die sie das "Schweinchen" nannten, irgendwo hin warfen und dann versuchten, ihre Eisenkugeln so nah wie möglich an diese Zielkugel zu platzieren, oder mit einem schwungvollen Wurf die Kugel des Gegners aus dem Spielfeld zu befördern. "Bien joué", hörte man dann die Zuschauer beifällig rufen ohne dabei die geliebte Gauloises aus dem Mund zu nehmen. Petanque, Inbegriff des südfranzösischen Savoir-vivre ist die weltweit bekannteste und meistgespielte Variante des Boule-Spiels. Was die nordeuropäischen Urlauber so faszinierte, war diese Mischung aus Ruhe, Kontemplation und Konzentration, die das Spielgeschehen prägte.
Es war interessant die Spieler zu beobachten. Wie sie sich nach jeder Kugel unterhielten, wie sie Strategien diskutierten. Und wie sie dann am Ende in friedlicher Runde einen Pastis oder ein Glas Wein zusammen tranken. Diese lockere Heiterkeit kannte man in Deutschland nicht. Und es war diese Kombination aus Sport, Spiel und menschlichem Miteinander, dass Tobias damals schon faszinierte. Für ihn stand sofort fest, ein Satz Kugeln und etwas von dieser gallischen Gelassenheit musste mit nach Mülheim!

Wie es in Mülheim anfing.
Zunächst aber hatte das Petanque Spiel die gleichen Migrationsprobleme wie die Menschen, die aus dem Süden zu uns kamen. Denn: Kugeln mitzubringen ist eine Sache, das Savoir-Vivre nach Mülheim zu transportieren eine ganz andere. Wie konnte es auch anders sein. Dieses Lebensgefühl hat mit den Gewohnheiten der Menschen und deren Mentalität zu tun, und es ist zum Teil ja auch vom Klima und Umgebung abhängig. So etwas kann man nicht einfach mitnehmen. Und da sich das gleiche Gefühl, dass man unter Platanen und südlicher Sonne hatte, in Mülheim nicht einstellen wollte, blieben die Kugeln zunächst fast unberührt liegen. Nur gelegentlich legte Tobias mit seinem Freund Stefan Holtbernd auf dem Kiesweg, der das Kaufhold'sche Anwesen mit dem Garten verband, ein paar Kugeln. Aber die Begeisterung wollte sich noch nicht einstellen. Erst nach drei weiteren Urlauben in der Provence und Nordspanien war es dann soweit. Mit Rotwein, Käse und Baguette als Savoir Vivre Ersatz zog man von nun an los, um im Speldorfer Wald und später am Raffelberg einen geeigneten Spielplatz zu finden. Mittlerweile hatte man mit Michael Seehafer, Dirk Spicker und Andreas Kortz drei weiter Spieler von der Schönheit dieses Spiels überzeugt.
Und es waren diese fünf Jungen, die von 1978 bis Mitte der 80-iger Jahre regelmäßig am Raffelberg spielten und so dafür sorgten, dass Petanque eine feste Größe in Mülheim wurde.
Wenn man Dr. Tobias Kaufhold, Leiter der Camera Obscura in Mülheim heute fragt, was ihn an dem Petanque Spiel so fasziniert, muss er nicht lange nachdenken: "Es ist diese klassenlose Kommunikation die Menschen in kürzester Zeit verbindet. Und ich wurde schon als 11-jähriger Junge ernst genommen".
Von: Helmut Scholz

http://www.raffelberger-petanque-verein.de/

Autor:

Helmut Scholz aus Essen-Kettwig

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