30 Jahre nach dem Mauerfall
Als ganz Deutschland swingte: Zwei alte Mülheimer Jazzer erinnern sich

Manfred Mons (links) und Klaus Dieter Freymann erlebten den Mauerfall in der DDR. Fotos (3): PR-Fotografie Köhring/AK
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  • Manfred Mons (links) und Klaus Dieter Freymann erlebten den Mauerfall in der DDR. Fotos (3): PR-Fotografie Köhring/AK
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Manfred Mons und Claus Dieter Freymann gehören zu der Generation, die im 2. Weltkrieg geboren und mit dem Jazz aufgewachsen sind. "Für uns war und ist der Jazz die Musik der Freiheit", sagen die beiden Mitgründer der 1982 ins Leben gerufenen Ruhr-River-Jazzband und des 1989 gegründeten Mülheimer Jazzclubs. Dass sie ihre geliebte Musik vor 30 Jahren vor begeisterten Zuhörern in einem Berlin spielen konnten, das damals am Tag nach dem Mauerfall seine neue Freiheit und Einheit feierte, erscheint ihnen noch heute wie ein Wunder. "So eine positive Euphorie erlebt zu haben, ist ein Geschenk", sagt Manfred Mons.

Und er fügt hinzu: "Man kann über Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher sagen und denken, was man will, aber in dieser entscheidenden Phase der deutschen Geschichte haben sie mit Unterstützung des damaligen sowjetischen Staatschefs Michail Gorbatschow und des damaligen US-Präsidenten George Bush Senior zur richtigen Zeit das Richtige getan und die Chance zur Wiedervereinigung Deutschlands genutzt", sagt Manfred Mons. Wie Freymann war auch Mons in der Zeit der deutschen Teilung aufgrund familiärer Verbindungen mit den Landsleuten in der damaligen DDR verbunden.

Deshalb waren die beiden Ruhr-River-Jazzer auch daran interessiert mit ihrer Musik die Mauer zu überwinden und Kontakte zu Gleichgesinnten in der DDR zu knüpfen. 1986 gelang der deutsch-deutsche Brückenschlag zum Dresdener Jazzclub Tonne. Beim Dresdener Jazzfestival entstanden dann im Mai 1988 auch freundschaftliche Bindungen zur Ost-Berliner Pappa-Binnes-Jazzband. "Macht bloß keine politische Ansage. Sonst holen die euch von der Bühne", erinnern sich Freymann und Mons an die unmissverständliche Ansage des Dresdener Festival-Moderators. "Auch wenn vertrauliche Gespräche schwierig waren, weil wir ständig von zwei Stasi-Leuten begleitet wurden, wurde uns schnell klar, dass es in der DDR brodelte und die Leute nicht länger auf Reise- und Meinungsfreiheit verzichten wollten. Sie hatten die Schnauze voll vom eingesperrt sein", erinnert sich Manfred Mons.

Oberbürgermeisterin half als Brückenbauerin

Mithilfe der damaligen Oberbürgermeisterin Elenore Güllenstern schafften es Mons und Freymann, der auch Kontakte zur Evangelischen Kirche in der DDR unterhielt, die Ost-Berliner Freunde der Papa-Binnes-Jazzband im Oktober 1989 nach Mülheim einzuladen, wo die Jazzer aus der noch real existierenden DDR den Musikfreunden im Mülheimer Jazzclub, der sich damals noch im Schifferhaus an der Kohlenstraße befand, kräftig  einheizten. "Wir sehen uns in einem Monat wieder", verabschiedeten sich die Mülheimer und Berliner Jazzfreunde. Denn am 11. November 1989 sollten die Ruhr-River-Jazzer aus Mülheim beim Jubiläumskonzert der 1959 gegründeten Pappa-Binnes-Jazzband im Ostberliner Haus  der sowjetischen Offiziere spielen.

Dass dieses Konzert unter dem Eindruck der Maueröffnung stattfinden sollte, war, trotz der bereits zugespitzten politischen Situation im Oktober 89 noch nicht absehbar. "Es ist verrückt, aber wir haben vom Mauerfall erst einen Tag später erfahren. Die Nachricht platzte am 10. November in unser Konzert bei den Freunden vom Dresdener Jazzclub Tonne." Wie war das möglich? "Dresden lag damals im Tal der Ahnungslosen, weil man dort kein Westfernsehen empfangen konnte", erklärt Manfred Mons die Ironie der Geschichte.

Als sich die Ruhr-River-Jazzer am nächsten Tag auf den Weg zu ihrem Konzert nach Berlin machten, kamen sie nur im Schritttempo vorwärts. "Wir haben nie wieder solche Menschenmassen auf der Autobahn gesehen. Manche Leute stellten ihre Autos sogar auf dem Grünstreifen der Autobahn ab und gingen zu Fuß nach Berlin", erinnert sich Claus-Dieter Freymann an die denkwürdigste Konzertanreise seines Lebens.

Unvergessliche Augenblicke und Emotionen

Die Ruhr-River-Jazzband spielte damals nicht nur, wie geplant beim Festkonzert im Haus der sowjetischen Offiziere, sondern auch ganz spontan vor mehreren 1000 Zuhörern vor dem damals noch nicht abgerissenen Palast der Republik. "Zu unseren Zuhörern im Haus der sowjetischen Offiziere gehörte damals auch Professor Kurt Biedenkopf, der 1989 für die CDU in NRW aktiv war, an der Ruhruniversität Bochum lehrte und ein Jahr später sächsischer Ministerpräsident werden sollte. Er war zufällig auf unser Konzert aufmerksam geworden und kam als Jazzliebhaber spontan vorbei", erinnert sich Manfred Mons.

"Ich erinnere mich auch daran", sagt Mons, "dass wir an diesem Abend mit Biedenkopf und unseren Freunden aus Ost-Berlin zum ersten Mal über die Möglichkeit einer Wiedervereinigung gesprochen haben. Und wir haben uns versprochen: Wenn es soweit ist, spielen wir gemeinsam am Brandenburger Tor!" Die Ruhr-River-Jazzer und ihre Freunde von der Papa-Binnes-Jazzband sahen sich am 3. Oktober 1990 in Berlin wieder und lösten ihr Versprechen ein. Und 30 Jahre nach dem Mauerfall wird es vom 8. bis 13. November, anlässlich des 60. Band-Geburtstag der Papa-Binnes-Jazzer, nicht nur am Brandenburger Tor ein jazziges Wiedersehen und Wiederhören geben.

Autor:

Thomas Emons aus Mülheim an der Ruhr

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