"Shoe-Storys" - Wenn Latschen erzählen könnten
Erwanderte Erinnerungen

Das meiste Schuhwerk schmeißt man arglos fort. Manche Fußbereifung erlangt aber gewissermaßen "Kultstatus" - mindestens in den Augen des Trägers.  | Foto: St . Reimet
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  • Das meiste Schuhwerk schmeißt man arglos fort. Manche Fußbereifung erlangt aber gewissermaßen "Kultstatus" - mindestens in den Augen des Trägers.
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Apostelbereifung, Jesuslatschen, Stöckelschuhe oder Waldbrandaustreter, Sneaker, Latschen, Tussiletten oder Mainböötchen, unser Wortwerk kennt reichlich Bezeichnungen für die Bemantelung unserer Füße. Höchste  Aufmerksamkeit erhält das Schuhwerk aber eigentlich nur bei der Auswahl. Die Damen liegen da zeitmäßig ganz vorn, die Herren sind deutlich fixer. Diese intensivste Phase der Befassung ist aber schlagartig mit dem Gebrauch im Alltag beendet. Zu Outfit und Wetter muss die Fußbekleidung halt passen, halbwegs sauber sein, Punkt. Gelaufen, gequetscht, getreten und geschlurft, mal ehrlich, nur selten wirklich mit Hingabe gepflegt und nach Verschleiß einfach abgelegt. Aber flammt am Müllcontainer mal ein Gedanke auf, was man vielleicht mit den Tretern alles erlebt hat?

Die Hacken sind schief abgelaufen, das Leder hart, umrahmt von Wasserrändern, das Innenfutter mehr so fetzig, abgesehen vom old-school-Stil. Aber fortschmeißen wie einen Joghurtbecher konnte ich sie einfach nicht, das brachte ich nicht übers Herz. Meine ersten wirklichen Wanderschuhe kaufte ich (54), da war ich gerade volljährig. Die Neue Deutsche Welle nahm gerade Fahrt auf. Fräulein Menke mit „Hohe Berge“ änderte daran nix, wandern war damals sowas von out, dafür war Interrail mega angesagt. Mit „Dackelhütte“, Campinggeschirr, Schlaf- im Rucksack in miefigen, überfüllten Zugabteilen quer durch Europa. Auf dem Küstenwanderweg bei 40 Grad durch Jugoslawien waren kultige Jesuslatschen zwar luftig, aber ähnlich unzweckmäßig wie die teuersten Nikes. Gore-Tex und Co. Steckten noch in den „Kinderschuhen“. So richtig Halt boten eigentlich nur Leder-Wanderschnürschuhe in Luis Trenker-Manier. In den Bergen bei Brilon ebenso standhaft wie am Abstieg zum Blautopf in der Schwäbischen Alb. Was haben die Dinger von der Welt gesehen, nachdem die ersten Blasen verheilt waren: Trips in England, Italien, Dänemark, immer mal Benelux, den Bayerischen Wald, die Fränkische Schweiz und gerne die kürzere Wanderung oder längeren Spaziergang zwischendurch.
"Knöchelkiller"
Diese Kloben aus einem Dortmunder Schuhhaus, das es längst nicht mehr gibt, liebte ich, steif und unbequem wie sie waren. Steinchen setzten sich ins Profil und ruinierten manchen Parkettboden. An der britischen Südküste rissen die Schnürsenkel das erste Mal, drei Knoten hatten sie zum Schluss. Am abgelaufenen Profil versuchte sich ein Schuster am Lago Maggiore, die Reparatur hielt wenige Wochen und die Quittung war weg, Absätze mussten genagelt werden, ein Kleber hielt einfach nicht. Durchnass wurden die Globetreter zigfach, trockneten aus Zeitgründen oft nicht richtig durch, Pflege erlebte das „Vollmaterial Leder“ selten. Und wenn dann mit Froschfett, eine XL-Dose ging drauf. Die Wasseränder blieben trotzdem.
Vergangenes Jahr habe ich sie ausrangiert. Nicht ohne Grund: Zwar passten die Wandergurken noch immer,  aber 35 Jahre haben die Dauerläufer untragbar knüppelhart macht. Jetzt einfach wegschmeißen … In ihrem 36. Jahr n.K. (nach Kauf), woran erinnert mich das Alter, stehen sie im Garten. Als angemessener Platz erschien mir eine Steinsäule, im Schatten,  vonwegen Leder und so. . Gewissermaßen als Krone thronen die "Knöchelkiller" an prominenter Stelle erhaben über Lavendel und Hortensie. Wenn ich sie so sehe bin ich sicher: Genau dort gehören sie hin – mindestens die nächsten 36 Jahre.

Autor:

Stefan Reimet aus Holzwickede

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