DRK - Wattenscheid
„Da hinten ist jemand gestürzt“ – unterwegs mit Sanitätskräften beim Wattenscheider Karneval

Foto: DRK - Wattenscheid
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Der Straßenkarneval hat auch in Wattenscheid seinen Höhepunkt erreicht – Belastungsprobe auch für die Sanitätskräfte in der Hellwegstadt. Was die Ehrenamtlichen beim Einsatz an der Zugstrecke des Rosenmontagsumzugs in Höntrop und Sevinghausen erlebt haben – und warum Humor dabei ebenso so wichtig ist wie der Sanitätsrucksack:

Sanitäter, Krankenschwester oder Chefarzt gehören seit jeher zu den beliebteren Verkleidungen im Karneval – und auch Lea Piske war in diesem Jahr am Rosenmontag in Höntrop und Sevinghausen in roter Einsatzkleidung unterwegs. Für sie handelte es sich dabei jedoch nicht um ein Kostüm, sondern um Arbeitskleidung – Lea Piske ist Rettungssanitäterin. „Der Einsatz am Rosenmontag ist immer einer der krassesten Dienste“, sagt sie mit Blick auf die rund 30.000 feiernden Jecken an der Umzugsstrecke. „Aus ganz Wattenscheid kommen Menschen nach Höntrop, um zu feiern – was das Potenzial für Verletzungen an diesem Tag deutlich erhöht“. Jecken würden sich an oder durch Bierflaschen verletzen, es gebe extrem viele Stürze und kleinere Unfälle. „Und dann gibt es natürlich noch diejenigen, die einfach sehr alkoholisiert sind und nicht mehr klarkommen“, so Lea Piske. Gerade von letzteren hat sie auch in diesem Jahr wieder einige gesehen.

Jetzt muss es schnell gehen. Wie gut, dass Lea Piske und ihre Kollegen den Sanitätsrucksack in Griffnähe haben. Innerhalb von Sekunden sind sie aufbruchbereit. Eine ältere Dame hat die Einsatzkräfte um Hilfe gebeten: Da hinten sei jemand gestürzt und habe sich verletzt. „Habt ihr schon den KTW 1 informiert?“, fragt Lea Piske. „Der Gruppenführer Sanität meldet, wir sollen zuerst hin“, bekommt sie als Antwort. Der Trupp des Erstversorgungsteam hat sich da längst in Bewegung gesetzt.

Vor Ort ist die Lage unübersichtlich. Die offenbar verletzte junge Frau sitzt in der Nähe einer Gruppe von Feiernden am Wattenscheider Hellweg. Die meisten wirken jünger als 20, sie tanzen ausgelassen am Rande der Zugsstrecke, laute Karnevalsmusik dröhnt. Wer zu wem in welchem Verhältnis steht? Unklar. „Das ist immer so, man kommt in eine Situation und muss sich erstmal einen Überblick verschaffen“, erklären Max Hempel und Alexander Bicanic, die für die Besatzung des Krankentransportwagen 1 eingeteilt sind. Die Kunst sei, diese Chaos-Phase so kurz wie möglich zu halten und die Lage schnell zu ordnen.

Was sich in diesem Chaos zuerst herausstellt: Die verletzte junge Dame ist leicht alkoholisiert und hat sich beim Sturz den Fuß verletzt. Sie sagt, sie sei umgeknickt und habe sich dabei „irgendwie den Fuß verknackst. Es schmerzt doch sehr.“ Gemeinsam bringen Erstversorgungsteam und KTW-Besatzung die junge Frau ins Einsatzfahrzeug und damit wird die Patientin in die nahegelegene Unfallhilfsstelle transportiert. Sie besteht aus zwei Zelten mit medizinischer Ausstattung in rund 400 m Entfernung vom Einsatzort in Höntrop.

Der Rosenmontag ist auch für Ordnungs- und Rettungskräfte in Wattenscheid eine Kraftanstrengung. In Höntrop besonders, wo neben dem Umzug auch noch das traditionelle Gänsereiten stattfindet. Höntrop wird an Rosenmontag stets von tausenden Feierwütigen besucht – das bedeutet neben dem karnevalistischen Feiern leider auch Saufgelage, Stürze und manchmal auch kleinere Prügeleien. Mit einem ausgeklügelten Konzept wollen die Verantwortlichen der DRK-Einsatzleitung mit den Folgen so gut wie möglich umgehen.

Um das feierwütige Volk im Verletzungsfall zu versorgen, werden in Höntrop 3 Krankentransportwagen (KTW), zusätzlich 2 Rettungswagen (RTW) und im Bedarfsfall ein Notarztwagen (NAW) eingesetzt. „Damit kann man normalerweise schon ganz Wattenscheid versorgen“, so Einsatzleiter Christian Wilde. Zudem gebe es eben auch mobile Erstversorgungsteams, die mitlaufen würden, sowie besagte Unfallhilfsstelle, wo sich ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter um die Erstversorgung verletzter Jecken kümmern. Von dort aus werden die Patienten bei Notwendigkeit von Krankentransport- oder Rettungswagen abgeholt und in die umliegenden Krankenhäuser gebracht.

„Natürlich geht in solchen Einsatzsituationen der Puls auch bei uns hoch“, erklärt Rettungssanitäter Florian Knopp, der im Einsatzleitwagen die Koordination der Krankentransportwagen und Erstversorgungsteams an der Zugstrecke übernimmt. „Wir haben an Rosenmontag immer einige knifflige Versorgungen und Transporte verletzter Personen zur weiteren Behandlung in unserer Unfallhilfsstelle und dortiger Sichtung durch unsere Ärzte.“

Diese DRK-Basis befindet sich auf dem Parkplatz des örtlichen REWE-Marktes am Wattenscheider Hellweg in direkter Nähe zum Geschehen. An ihr sollen Menschen erstversorgt werden, die etwa verletzt oder stark alkoholisiert sind. 10 Einsatzkräfte, darunter eine Notärztin, versorgen die Patienten in zwei Zelten. Sie helfen, wenn sie selbst Menschen beobachten, denen es nicht gut geht oder wenn sie benachrichtigt werden. Manchmal kommen die Patienten auch selbst vorbei.

„Es gab schon Fälle, in denen eine Tafel Schokolade von einem Königswagen in die Menge geworfen wurde und für eine Platzwunde gesorgt hat", berichtet Andrea Körschgen. Sie ist Gruppenführerin in der Unfallhilfsstelle. Insgesamt hatten die junge Rotkeuzlerin und ihr Team oft mit stark alkoholisierten Personen, Kreislaufproblemen und Schnittverletzungen zu tun. „Nach der Erstversorgung wird dann ausgesiebt, wer zur weiteren Behandlung noch ins Krankenhaus muss und wer nicht", erklärt Andrea Körschgen, die auch von Ärztin Carina Kruppa-Schürmann unterstützt wird. „Unsere Ärztin entscheidet, wer nach der Erstbehandlung zur klinischen Weiterbehandlung durch den Rettungsdienst in die örtlichen Kliniken transportiert werden muss.“ Am Ende des Rosenmontags-umzuges in Höntrop waren es schlussendlich 5 Patienten, die weitere Behand-lungen im Krankenhaus benötigten.

Nicht so ein junger Karnevalist, der schon um kurz nach 15 Uhr an der Hilfsstelle auftaucht. Er schafft es, selbstständig ins Zelt zu gehen und sich vorzustellen. Offensichtlich hat er in der Wartezeit auf dem Rosenmontagszug bereits viel getrunken und sinkt gleich auf eine Liege. „Hi, was ist passiert?“, fragt eine Sanitäterin. „Bisschen zu viel gesoffen“, lallt der Patient. „Wie viel hast du getrunken?“ Der „Cowboy“ bringt nur noch „15“ heraus – vermutlich spricht er von den kleinen Fruchtschnäpsen, mit denen er seinen gesamten Pistolengürtel bestückt hat. „Ja, das ist schon einiges“, sagt die Sanitäterin. Der junge Mann bleibt vorerst liegen und kann sich unter Aufsicht ein wenig erholen. Eine gute Stunde später kommt er wieder halbwegs auf die Beine und sieht sich in der Lage, eigenständig den Heimweg mit seinen Freunden, die mittlerweile hinzugekommen sind, anzutreten. Den eigentlichen Umzug verpassen die Drei.

Wie den Patienten in den beiden Zelten geholfen wird, bekommen die mobilen Erstversorgungsteams und die Besatzungen der Krankentransportwagen, wie Rettungssanitäterin Chantal Lüchtemeier und ihr Kollege Sebastian Hoffmann, gar nicht mit. Ihre Aufgabe ist es, die Menschen auf der Straße zu versorgen und, wenn nötig, in das DRK-Behandlungszelt zu bringen. Dann übernehmen Kollegen. Auch das Einsatzfahrzeug der beiden Rettungssanitäter Heinrich Kister und Niels Henkel ist nach einer Anforderung der Feuerwehr Bochum gleich wieder gefordert. „Sie müssen zu einem Notfall in einer Seitenstraße“, berichtet Rettungsmittel-Koordinator Thomas Reelsen. Die beiden Rettungskräfte machen sich mit ihrem Fahrzeug mit Blaulicht und Martinshorn auf den Weg zur Unfallstelle.

Die Herausforderung diesmal: Den Transport der verunglückten Person am Zuggeschehen vorbei. Das Team entscheidet sich nämlich, die Patientin mitzunehmen. „Die Frau ist ansprechbar, oder?“, fragt Reelsen seine KTW-Kollegen über Funk. „Naja, ihre Ansprache war jetzt so lala“, sagt Heinrich Kister schmunzelnd. „Der Alkohol hat auch hier Wirkung gezeigt, wenngleich die Reaktion zumindest lieb und damit lustig ist. Wir kommen zum Behandlungszelt, denn unsere Ärztin soll trotzdem mal drüberschauen.“

Aufgrund der im Vorfeld der Rosenmontagsumzüge in Höntrop und Bochum ausgesprochenen Drohung, standen beide Großveranstaltungen auf der Kippe und begannen nach behördlicher Freigabe mit deutlicher Verspätung. Es kamen deswegen und aufgrund des wechselhaften Wetters in diesem Jahr etwas weniger Besucher nach Höntrop als vom DRK erwartet. Entsprechend geht es in der Unfallhilfsstelle am Wattenscheider Hellweg diesmal eher grundsätzlich etwas ruhiger zu.

Trotzdem haben die Rettungskräfte zu tun. Als nächstes kommen zwei Männer auf das Zelt zu. Sie sind als Arzt und Krankenpfleger verkleidet, einer der beiden wirkt ein wenig desorientiert. Die Einsatzkräfte führen ihn ins Zelt. „Die Beiden können doch gleich bei uns mitmachen. Dienstkleidung tragen sie ja schon?“, scherzt auch Tobias Reelsen, der für die Technik an der DRK-Einsatzstelle verantwortlich ist. Humor sei wichtig im Einsatz, sagt er. „Man sieht Sachen, die nicht so schön sind. Wir sprechen untereinander viel über das, was wir erleben“, sagt der Gruppenführer Technik. Und eine positive Art helfe. Gute Nachrichten gibt es dann auch für die beiden Männer: Sie haben zu tief ins Glas geschaut – nichts Ernstes.

Foto: DRK - Wattenscheid

Zurück auf dem Parkplatz des REWE-Marktes auf dem die Einsatzfahrzeuge, Behandlungsstelle und Verpflegungsbereich für die Einsatzkräfte untergebracht sind. Auch hier bleibt den Sanitätern des Deutschen Roten Kreuzes gerade ein Moment zum Verschnaufen. Bei frisch gekochter Kartoffelsuppe mit Bockwurst, süßen Snacks und Getränken tauschen sie sich aus. Auch Sanitäter aus den befreundeten DRK-Ortsvereinen Gevelsberg und Schwelm unterstützen die örtlichen Rotkreuzler beim diesjährigen Rosenmontagseinsatz genauso wie ein Notarzt des Martin-Luther-Krankenhauses. So steht neben der Arbeit bei vielen Einsatzkräften auch das Gemeinschaftsgefühl im Mittelpunkt. Zwischendurch bleibe immer auch noch Zeit, sich auszutauschen. Zum Beispiel über die Arbeit und kuriose Fälle, die die Sanitäter an Karneval auf Trab halten. Florian Knopp betont die Vorteile der kreisübergreifenden Zusammenarbeit: „Wir können voneinander lernen. Außerdem spürt man diese positive Gemeinschaft.“ Es gebe einen Spruch, der heißt: „Das DRK funktioniert vor allem als TEAM."

Im Einsatzleitfahrzeug in der Nähe, einem kleinen mobilen Büro, wo neben Einsatzleiter Christian Wilde auch Thomas Reelsen die Lage im Blick hat, bleibt man aber immer aufmerksam, denn jeden Augenblick könnte schon ein neuer Anruf via Satelliten-Telefonie oder Funkspruch eingehen. „Wir sind im Bereich des Rosenmontagsumzuges auch in Amtshilfe für den Rettungsdienst der Stadt Bochum mit unserem Notarzt im Einsatz. Während des Zuggeschehens werden Rettungswagen und Notarzt zweimal zu Einsätzen unabhängig vom karnevalis-tischen Treiben in Höntrop angefordert.“

Gegen 18:00 Uhr liegt der Alkoholpegel bei vielen Feiernden schon ziemlich hoch. Doch die Unfallhilfsstelle ist – von Einsatzkräften abgesehen – inzwischen wieder leerer. Alle Patienten konnten behandelt und entlassen werden oder wurden verlegt, zum Beispiel ins Krankenhaus. „Bislang ist es nach den Behandlungen wieder ruhig“, so Einsatzleiter Christian Wilde. Der Eindruck vor Ort deckt sich mit den Angaben der Polizei, laut der Rosenmontag bis zum Nachmittag „durchaus ruhig und gesittet“ geblieben sei. . Auch wegen der Anschlagsdrohung haben sich wohl weniger Menschen nach Höntrop aufgemacht – und den Rettern so einen halbwegs ruhigen Straßenkarneval in Wattenscheid beschert.

Insgesamt wurden in Behandlungszelt 20 Personen behandelt und versorgt, 5 von ihnen mussten in ein umliegendes Krankenhaus transportiert werden. Hinzu kommen noch einige Dutzend weitere leichtere Erstversorgungen direkt an der Umzugsstrecke und zwei rettungsdienstliche Einsätze im Umfeld.

Auf dem Parkplatz werden gegen Abend bei einsetzendem Regen von den ehrenamtlichen Einsatzkräften noch die Zelte abgebaut und medizinisches Equipment wieder in die Fahrzeuge verladen. Im DRK-Zentrum werden vom Verpflegungsteam um Truppführerin Thorina Wegener und Norbert Vlatten noch die Kochutensilien gespült und wieder verräumt: „Auch das gehört zu einem solchen Großeinsatz, denn die Einsatzkräfte gehören natürlich ordentlich versorgt“, so Konditormeisterin Thorina Wegener. Die Nacharbeiten des Rosenmontags-Sanitätsdienstes gehen für die vielen Rotkreuzler dann nach rund 14 Stunden gegen 22:30 Uhr endlich im heimischen DRK-Zentrum an der Sommerdellenstraße zu Ende.

„Wir freuen uns aber schon auf 2025, dann sogar in der doppelten Ausführung, wenn auch der große Karnevalsumzug des Festausschusses Wattenscheider Karneval wieder sonntags stattfindet“, freut sich Lea Piske schon auf das kommende Jahr. „Hoffentlich sind die Menschen an der Zugstrecke dann auch wieder so dankbar für unsere Hilfe wie in Höntrop in diesem Jahr. Es haben sich wahnsinnig viele Menschen lobend über unsere Arbeit geäußert. Das war wahrlich nicht immer so und Gewalt gegen Einsatzkräfte war zum Glück überhaupt kein Thema. So machen Karnevalseinsätze auch uns –trotz der Arbeit- einfach auch Spaß!“

Autor:

Karl - Heinz Lehnertz aus Wattenscheid

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