„Abschiedsfarben“ - die neuen Erzählungen von Bestsellerautor Bernhard Schlink (seit 22. Juli im Buchhandel)
Abschied, Schuld und Sühne

„Schuld ist ein Lebensthema. Es ist nicht das Lebensthema, und es ist auch nicht das Thema meiner Bücher, sondern nur eines“, hatte Bestsellerautor Bernhard Schlink vor zwei Jahren in einem Deutschlandfunk-Interview erklärt.

Er war immerhin schon Mitte 40, als er seinen ersten Roman vorlegte, war bis zu seinem 65. Lebensjahr nicht einmal Berufsschriftsteller, und doch hat er mit „Der Vorleser“ einen der (vor allem auch international) erfolgreichsten deutschen Romane der letzten 25 Jahre geschrieben. Schlink war fast 20 Jahre Richter am Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster und wurde vor etwas mehr als zehn Jahren als Professor für öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der TU Berlin emeritiert.
Sein „Vorleser“ wurde in über 50 Sprachen übersetzt und war das erste deutsche Buch, das auf Platz eins der Bestsellerliste der New York Times stand. Auch die Kinoversion mit Oscar-Preisträgerin Kate Winslet und David Kross in den Hauptrollen war ein respektabler Erfolg. „Einmal im Leben einen solchen Erfolg zu haben, ist wunderbar. Das kann und muss man nicht beim nächsten und übernächsten Buch wieder erwarten. Es genügt mir, dass ich die nächsten Bücher mit der gleichen Freude schreibe“, hatte Schlink kürzlich vor dem Erscheinen seines neun Erzählungen umfassenden Bandes „Abschiedsfarben“ erklärt.
Es geht darin um Erinnerungen, um Schuld (wie sie oft aus Missverständnissen entsteht) und Abschiede in all ihren Facetten – mit Schmerz, Trauer und verletzten Gefühlen. Lügen, Selbstbetrug und Probleme mit dem Älterwerden ziehen sich wie rote Fäden durch die neun Texte.
Lebensetappen gehen zu Ende, die Figuren stehen an Weggabelungen, Beziehungen stehen auf dem Prüfstand. „Wenn man liebt, braucht man den anderen zum Glücklichsein, nicht zum Überleben“, bilanziert ein Senior von über Siebzig seine Liaison mit einer vierzig Jahre jüngeren Partnerin. Als Leser denkt man beinahe unverzüglich an Nabokovs „Lolita“, und dieser skandalumwitterte Roman aus dem Jahr 1955 taucht dann sogar in einem der Texte auf und spielt eine geheimnisvolle Rolle zwischen Mutter und Sohn. Sie liest den Roman während des gemeinsamen Urlaubs; er findet das Buch im Strandkorb und liest es ebenfalls. Ein erotisches Knistern entsteht in den Köpfen, aber es bleibt beim dezenten Funkenschlag.
An anderer Stelle steht ein junger Mann im Rollstuhl im Mittelpunkt, der einen liebgewonnenen Freund verliert, dann geht es um Verrat bei einer geplanten Republikflucht und der späteren mehr als fadenscheinigen Rechtfertigung der „Tat“.
In den Erzählungen des inzwischen 76-jährigen Bernhard Schlink wird ganz viel zurück geschaut, und schon der erste Satz des Bandes verströmt die durchgängig melancholische Hintergrundmelodie: „Sie sind tot – die Frauen, die ich geliebt habe, die Freunde, der Bruder und die Schwester und ohnehin die Eltern, Tanten und Onkel. Ich bin zu ihren Beerdigungen gegangen, vor vielen Jahren oft, weil damals die Generation vor mir starb, dann selten und in den letzten Jahren wieder oft, weil meine Generation stirbt.“
Die Figuren dieses Bandes sind alle etwas zu kopflastig angelegt, etwas zu selbstkritisch und zu reflektierend. Unvorhergesehenes passiert nicht, es fehlt das Feuer der Spontaneität, eine Prise irrationale Verrücktheit. Schlinks Protagonisten sind alle verdammt klug und abgeklärt. Vielleicht so, wie wir gerne wären, aber nicht sind.
Der erfolgreicher Erzähler und der langjährige Jurist moderieren ganz ausgewogen diese Geschichten, in denen es um die großen Themen des Lebens geht: Liebe, Trennung, Schuld, Erinnerung, Trauer, Hoffnung und vor allem Abschiede.
Es geht alles ziemlich harmonisch und gesittet zu. Man möchte fast sagen: ganz nach Recht und Moral. Den großen emotionalen Super-Gau gibt es in den neun Erzählungen nicht, stattdessen an einigen Stellen eine große Portion Zuckerguss.
Kein Zufall, dass der letzte Satz des Bandes lautet: „Ich kann mein Glück nicht fassen.“

Bernhard Schlink: Abschiedsfarben. Erzählungen. Diogenes Verlag, Zürich 2020, 232 Seiten, 24 Euro

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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