Buch der Woche: Heimatloser Koreakämpfer

„Heimkehr“ – neuer Roman von Nobelpreisträgerin Toni Morrison

Nach ihrer 2006 getätigten Aussage, dass sie ihr Meisterwerk noch nicht geschrieben habe, weckt jeder neue Roman der Nobelpreisträgerin Toni Morrison zusätzlich große Erwartungen.

„Sklavenhandel und Sklaverei sind Themen, an die sich niemand erinnern will. Weder die Schwarzen noch die Weißen. Ich meine, es herrscht eine nationale Amnesie“, erklärte Toni Morrison im Zusammenhang mit ihrem 1989 erschienenen Erfolgsroman „Menschenkind“, für den sie mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde und der 1999 (Regie: Jonathan Demme, Hauptdarstellerin: Oprah Winfrey) auch in den deutschen Kinos zu sehen war.
Wie eine Geschichte der Unterdrückung der farbigen Bevölkerung über mehrere Jahrhunderte hinweg lässt sich Toni Morrisons umfangreiches literarisches Gesamtwerk lesen. Zuletzt hatte sie sich in „Gnade“ (2010) den Lebenswegen von vier Frauen am Ende des 17. Jahrhunderts gewidmet. Nun hat sie sich erzählerisch bis in die 1950er Jahre vorgearbeitet und ein weiteres dunkles Kapitel der jüngeren amerikanischen Geschichte aufgeschlagen – den Korea-Krieg.

"Der übelste Ort der Welt"
Die inzwischen 83-jährige Toni Morrison, die viele Jahre als Lektorin bei Random House und später als Professorin in Princeton tätig war, arbeitet in ihrem zehnten Roman „Heimkehr“ nun auch Fragmente aus der eigenen Familiengeschichte auf. Ihr Protagonist Frank Money nahm (wie Morrisons Bruder) mit einigen Freunden als Freiwilliger am Korea-Krieg teil und kehrte als einziger aus diesem Kreis heim – schwer traumatisiert ob des Verlustes seiner Freunde und der erlebten Verbrechen im Namen seines Vaterlandes. Er verzockt sein Geld, vagabundiert ziellos durchs Land, auf der Flucht vor der Vergangenheit und den weißen Häschern. Er verliert seinen Job, seine Freundin, die Bindung zu seiner Familie im Provinzkaff Lotus in Georgia („der übelste Ort der Welt, übler als jedes Schlachtfeld") und schlussendlich auch ein wenig seinen Verstand. In Seattle landet er schließlich in der Psychiatrie.

Zuviel gewollt
Franks Versuch, ein neues Leben zu beginnen, wird ziemlich abrupt unterbrochen, als ihn ein Hilferuf seiner Schwester Cee erreicht, die bei einem Arzt (ein ganz übler Rassist) arbeitet, der sie offensichtlich für medizinische Experimente missbraucht. Spätestens an dieser Stelle regt sich der Unmut über Toni Morrisons allzu sehr auf Effekte setzende Story. Wie selbstverständlich gelingt Frank die Befreiung seiner Schwester aus den Fängen des dubiosen Mediziners. Er gibt sie in die Obhut eines Kreises schwarzer Frauen, die sie mit Kräutern heilen und wieder ins Leben zurückholen. Doch damit noch nicht genug der märchenhaften Anleihen und des moralischen Zuckergusses, den Morrison über dieses nur gut 150 Seiten lange Romanfragment träufelt. Frank stellt sich seinen manischen, durch sein Mitwirken am Korea-Krieg ausgelösten Alpträumen.
Toni Morrison ist in ihrem neuen, ihrem 2010 verstorbenen Sohn Slade gewidmeten Roman, an den eigenen großen Ambitionen gescheitert. Der blutige Rassismus der 1950er Jahre, die traumatisierten Korea-Kämpfer, die völlige Entwurzelung eines heimkehrenden Menschen, eine tiefgehende Geschwisterliebe und fragwürdige medizinische Experimente: Das ist einfach zuviel Stoff für ein so schmales Büchlein, das sich wie ein hastig niedergeschriebenes Exposé liest.

„Ich glaube, du weißt nicht viel von mir“
Und auch Toni Morrisons formaler Kunstgriff, ihren Protagonisten Frank als kommentierenden Meta-Erzähler zu installieren, dessen „Einwürfe“ in Kursiv in den Text integriert sind, kann nicht wirklich überzeugen. „Ich glaube, du weißt nicht viel von mir“, entgegnet Frank auf der zweiten Erzählebene barsch seiner Schöpferin. Was wissen wir schon von anderen Menschen? Meistens sind es Spekulationen und Mutmaßungen, seltener gesicherte Erkenntnisse. Ich nenne es (aus Hochachtung vor einem großen Lebenswerk) eine Vermutung, dass wir das von Toni Morrison angekündigte noch ausstehende Meisterwerk nicht mehr erhalten werden. Begnügen wir uns also mit einer neuerlichen Lektüre von „Menschenkind“.

Toni Morrison: Heimkehr. Roman. Aus dem Englischen von Thomas Piltz. Rowohlt Verlag, Reinbek 2014, 18,95 Euro

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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