BUCH DER WOCHE: Venedig und Brunetti

Donna Leon: Reiches Erbe. Roman. Diogenes Verlag, Zürich 2012, 320 Seiten, 22,90 Euro

„Es gibt literarische Figuren, die beinahe bekannter sind als ihre Schöpfer. Das gilt für Georges Simenons Kommissar Maigret und für Agatha Christies Miss Marple ebenso wie für Donna Leons Romanprotagonisten Guido Brunetti. Zwanzig Kriminalromane um den eigenbrötlerischen Kriminalkommissar Brunetti aus Venedig sind seit 1992 erschienen, und viele von ihnen standen (auch dank der Verfilmungen) lange auf den Bestsellerlisten.

„Er ist ein interessanter Mann. Er ist intellektuell und auch emotional interessant. Aber er ist ein ganz normaler Mann. Ich nehme an, es gibt viele Männer wie Brunetti, die intelligent und sensibel sind, die ihre Familie lieben und das Bedürfnis haben, ihren Job gut zu machen“, befindet Donna Leon (Foto unten) über ihre Hauptfigur.
Brunetti ist aber nicht nur der Kommissar, der darunter leidet, das Böse nicht aus der Welt schaffen zu können; Brunetti ist stets auch der Familienvater und Ehemann. Seine Frau Paola, die aus eine der ältesten Familien Venedigs stammt, arbeitet als Professorin für englische Literatur (ähnlich wie Donna Leon) selbst) und wirkt bisweilen mit ihrem aufbrausenden Temperament und ihrer leidenschaftlichen Diskussionswut wie ein leibhaftiges Relikt der 68er Bewegung. Ihre heranwachsenden Kinder Raffaele und Chiara stehen oft hilflos zwischen den elterlichen „Fronten“.
Das Nebeneinander von Kriminalfällen und der Einblick in Brunettis Familienleben – das ganze eingebettet in das malerische Flair Venedigs: Dieses Erfolgskonzept von Donna Leon scheint sich zu einem Dauerbrenner zu entwickeln.
Donna Leon, die am 28. September ihren 70. Geburtstag feiert, wurde in Montclair im US-Bundesstaat New Jersey geboren, arbeitete nach dem Studium als Reiseführerin, Werbetexterin und Dozentin für Englisch und englische Literatur, ehe sich seit den frühen 90er Jahren ganz der Literatur widmete. In ihrer Freizeit reist die Opernliebhaberin quer durch Europa und verpasst kaum eine Händel-Inszenierung. In ihrem frühen Roman „Aqua Alta“ rahmte eine Händel-Arie ein Treffen Brunettis mit einem mysteriösen Mann in einem riesigen Palast ein.
In Venedig, wo Donna Leon seit vielen Jahren lebt, gibt es mittlerweile Stadtpläne, auf denen die Handlungsschauplätze ihrer Romane extra ausgewiesen sind. „Weil Venedig so außergewöhnlich schön ist, glauben die Menschen wahrscheinlich unbewusst, dass diese Stadt in jeder Hinsicht etwas Besonderes sein müsse“, erklärte Donna Leon ihren Kritikern, die ihr ein undifferenziertes und stark überzeichnetes Italienbild vorwerfen. Korruption und Vetternwirtschaft sind in fast allen Romanen tragende Handlungssäulen.
Als Kontrast dazu preist Donna Leon in Handlungsnebensträngen auch immer wieder das dolce vita, die italienische Küche, die exzellenten Weine und den etwas lockereren Lebensstil. Dennoch hat es die Autorin bisher untersagt, dass italienische Übersetzungen ihrer Werke erscheinen.

Brunetti als Flaneur

Jetzt ist gerade der 20. Fall mit Commissario Brunetti erschienen. Der Protagonist scheint noch ruhiger geworden zu sein, flaniert stundenlang sinnierend durch Venedig, grübelt simultan über seinen jüngsten Fall und die architektonischen Veränderungen in seiner Heimatstadt.
Eigentlich ist der jüngste Fall von wenig aufregendem Kaliber. Eine alte Dame wird tot in ihrer Wohnung aufgefunden. Zunächst sieht es nach einem tödlichen Sturz aus, doch Brunetti entdeckt seltsame Hämatome bei der Toten und startet seine Ermittlungen. Dabei stößt er auf eine dubiose Hilfsorganisation, die sich um weibliche Opfer von häuslicher Gewalt kümmert und auf ein rätselhaftes Erbe.

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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