BUCHTIPP DER WOCHE: Der seltsame Tierarzt

Michael Wallner: Kälps Himmelfahrt. Roman. Luchterhand Verlag, München 2011, 224 Seiten, 18,99 Euro

Es ist ein rätselhafter Roman um eine ziemlich kauzige Hauptfigur, den der 53-jährige österreichische Autor Michael Wallner (Bild unten) fünf Jahre nach seinem in 24 Sprachen übersetzten Bestseller „April in Paris“ vorgelegt hat.
Im Mittelpunkt der Handlung steht der eigenbrötlerische und äußerst zurückgezogen in der Provinz lebende Tierarzt Kälp, dem die Tiere offenkundig näher sind als die Menschen und der oft darüber nachdenkt, ob er seinen Lebensabend in einem nahen Benediktinerkloster verbringen soll. Autor Wallner, der in der Vergangenheit auch als Schauspieler am Wiener Burgtheater und am Schillertheater Berlin tätig war, weiß, wovon er schreibt, denn seit einigen Jahren unterhält er (neben Berlin) einen Zweitwohnsitz auf einem alten Bauernhof in der „mythischen Landschaft“ des Schwarzwaldes.
Für die Dörfler im fiktiven Attensach bleibt der Veterinär immer der Fremde, der argwöhnisch beobachtete Zugezogene. Die beschauliche Ruhe in der Einöde wird durch einen mysteriösen Todesfall jäh zerstört. Der Schreiner Nurbrecht, als streitlustiger Geizhals im Dorf mehr geschmäht denn geliebt, war eine Kellertreppe hinuntergestürzt. War es ein Unfall? Welche Rolle spielte der Tierarzt?
Michael Wallners Roman startet äußerst vielversprechend, denn zeitgleich mit dem mysteriösen Todesfall gibt es in Kälps Leben eine zweite Zäsur. Er begegnet der aus Wolfsburg stammenden Automechanikerin Birgit, die mit ihrer entwicklungsgestörten Tochter Tabea im Nachbarhaus ihren Urlaub verbringt.
Obwohl die kettenrauchende und wenig charmante Birgit alles andere als eine Traumfrau ist, übt sie auf den Tierarzt, der sich gefangen im „im Eispanzer meiner Ängstlichkeit“ fühlt, eine geradezu magische Anziehungskraft aus. Sie hat eine gescheiterte Ehe hinter sich, changiert in ihrem Verhältnis zu Kälp zwischen Annäherungen und Abwendungen, zwischen Begierde und Gefühlslosigkeit.
Je weiter wir in die Handlung eindringen, umso mehr labyrinthische Fährten eröffnen sich, und der Erzählfaden droht etwas auszufransen: Anspielungen auf das Leben im Kloster und eine Freundschaft mit dem Subprior Daniel, die schwangere Thai-Frau des zu Tode gekommenen Schreiners, Kälps ambivalentes Verhältnis zu seinem verstorbenen Bruder, der ein renommierter Theologe war und einen internationalen Bestseller mit dem Titel „Intuitives Suchen“ vorgelegt hatte, und nicht zuletzt die undurchsichtige Una - die Ex-Verlobte des Bruders. Total verängstigt begegnet jene Una Kälp auf dem Dachboden. Er hat einen Strick in der Hand, doch es kommt nicht zum dramatischen Finale, der Tierarzt will lediglich Wäsche aufhängen.
Wallner kann sich zwar nicht so recht zwischen Krimi, Heimatroman und Liebesgeschichte entscheiden, gleichwohl versteht er es, der zeitweise nur eher gemächlich dahin trudelnden Handlung immer wieder ganz geschickt neue Spannungsmomente einzuverleiben und darüber hinaus sogar beim Leser Sympathie für einen unglücklich liebenden, paradigmatischen Antihelden zu wecken.

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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